Nach der tödlichen S-Bahn-Kollision:Die Frage nach der Zukunft der S7

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Die Bahnlinie, auf der es am Montag zu einer Kollision zweier Züge kam, soll von Wolfratshausen bis nach Geretsried verlängert werden. Doch es gibt Zweifel am Sinn der Planungen.

Von Marie Heßlinger und Claudia Koestler, Wolfratshausen

Es ist das größte Infrastrukturprojekt im Landkreis mit bayernweiter Strahlkraft: die Verlängerung der S -Bahn-Linie 7 von Wolfratshausen nach Geretsried. Auf einer 9,2 Kilometer langen Trasse sollen auch neue Bahnhöfe entstehen, und der nächste Halt auf dem Weg zur Umsetzung wäre eigentlich der Planfeststellungsbeschluss. Doch wann dieser erlassen wird, ist nicht nur angesichts von mehr als 800 Einwänden mehr als unsicher.

Nach dem Zusammenstoß zweier S-Bahnen zwischen Ebenhausen und Schäftlarn am Montag stellen sich neue Fragen nach der Zukunft der Linie. Etwa, wie sinnvoll angesichts eines solch schweren Unfalls mit einem Toten und zahlreichen teils schwer Verletzten ein weiterer eingleisiger Ausbau ist.

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Nachdem im August des vergangenen Jahres beinahe zwei Züge auf der Höhe von Icking zusammengekracht waren, hatte Andreas Wagner, damalig Bundestagsabgeordneter der Linken, eine Anfrage an das Bundesverkehrsministerium geschickt, wie die Sicherheit auf der Strecke zu erhöhen sei. Die Antwort: Diese zu gewährleisten sei Aufgabe der Deutschen Bahn. Heute sagt Wagner, er habe anschieben wollen, dass der Vorfall "schnell und zügig aufgeklärt" werde. Darüber, wie es damals zum Beinahe-Crash kommen konnte, weiß Wagner jedoch bis heute nicht Bescheid.

Auch wie es am Montag tatsächlich zu dem Unfall kommen konnte, ist noch nicht geklärt. Für Wagner steht trotzdem fest: Ein zweigleisiger Ausbau ist für die Zukunft entscheidend, auch im Hinblick auf die Verkehrswende. "Wenn man möglichst viele Menschen mit der Bahn transportieren möchte, müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden." Jetzt müssten sich die Verantwortlichen darüber Gedanken machen, wie der Schienenverkehr in 20 Jahren aussehen solle.

Zwischen Ebenhausen und Schäftlarn sind die zwei Züge zusammengestoßen. Dabei ist ein Mensch gestorben, zahlreiche Passagiere wurden verletzt. (Foto: Hartmut Pöstges)

"Dass so etwas passieren musste, das ist schon sehr drastisch", sagt Wolfratshausens Bürgermeister Klaus Heilinglechner (BVW). Bereits im Jahr 2017 hatte sich der Wolfratshauser Stadtrat einer Initiative der Gemeinde Schäftlarn angeschlossen: Damals forderte Schäftlarn die Bahngesellschaft zu einem zweigleisigen Ausbau auf. Er hoffe nun, sagt Heilinglechner, dass der Unfall das Verfahren beschleunige. "Wenn ich einen zweigleisigen Ausbau habe, verringere ich das Risiko, dass zwei Züge aufeinanderprallen können."

Aber der Rathauschef sagt auch im Hinblick auf die Planungen: "40 Jahre können wir nicht darauf warten, bis die S-Bahn hier zweigleisig ausgebaut wird." Er gehe jedoch derzeit nicht davon aus, dass wegen des Unfalls für die eingleisig geplante Strecke nach Geretsried nun eine Zweigleisigkeit in Betracht gezogen werden könnte. "Dann müsste man die Planungen nochmal komplett über den Haufen werfen - ich glaube nicht, dass da jemand dazu bereit ist", sagt Heilinglechner.

Es sei noch zu früh, über die Frage der Ein- oder Zweigleisigkeit der S-Bahn zu diskutieren, findet hingegen Schäftlarns Bürgermeister Christian Fürst (CSU). Zunächst müssten die Betroffenen und die Hilfskräfte das Geschehene verarbeiten und die Unfallursache geklärt werden. Fürst sagt aber auch: "Die Gemeinde Schäftlarn wird sich mit Sicherheit nicht gegen einen zweigleisigen Ausbau der S-Bahn stellen."

Abzuwarten sei jedoch, an welchen Stellen das überhaupt realisierbar sei. An jener Stelle etwa, an der die beiden Züge aufeinander trafen, könne er sich schwer vorstellen, dass ein zweigleisiger Ausbau aufgrund der Hänge auf beiden Seiten möglich sei. Skeptisch sieht Fürst außerdem, wann ein solcher Ausbau umgesetzt würde, und kritisiert die lange Planungszeit, die große Bauprojekte in Deutschland in Anspruch nehmen. "Die S-Bahn-Verlängerung nach Geretsried wurde geplant, da war ich noch in der Grundschule und jetzt bin ich schon 45 Jahre alt", sagt er. Bund, Länder und Bahnen müssten in dieser Hinsicht besser zusammenarbeiten. "Da müsste man echt schauen, ob man was ändern kann, dass es schneller geht."

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Geretsrieds Bürgermeister Michael Müller (CSU) indes will sich nicht zum Bahnunglück und möglichen Konsequenzen äußern. "Wir sind froh, wenn wir eine S-Bahn-Verlängerung bekommen", egal ob eingleisig oder zweigleisig, sagt Müller. "Die Stadt möchte die S-Bahn, aber die Stadt plant sie nicht und baut sie nicht."

Die Verlängerung der S 7 von Wolfratshausen nach Geretsried ist nach Angaben der Deutschen Bahn zwar fester Bestandteil des vom Freistaat auf den Weg gebrachten Programms "Bahnausbau Region München". Doch der noch vor einem Jahr kolportierte Baubeginn 2024 und eine mögliche Inbetriebnahme 2028 scheinen auch abgesehen vom Unfall mehr als unwahrscheinlich. Zumal es auch zu den Kosten keine aktuellen Zahlen gibt. Die bisherige Schätzung von insgesamt 164 Millionen Euro stammt noch von 2012, der Tiefbahnhof in Wolfratshausen wurde zuletzt auf 44 Millionen Euro taxiert. Ob der Unfall nun zu zeitlichen Verzögerungen oder signifikanten Änderungen in der Planung seitens der Deutschen Bahn führen wird, will das Unternehmen gegenwärtig nicht sagen. "Wir bitten um Verständnis, dass wir uns mit Blick auf die laufenden Ermittlungen zu Detailfragen derzeit nicht äußern können", teilt eine Sprecherin des Unternehmens mit.

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