Mobilität:Freiheit auf vier Rädern

Lesezeit: 3 min

"Manul 4x4" heißt das geländetaugliche Handquad für Rollstuhlfahrer, dessen vierter Prototyp nun kurz vor Serienreife steht. Von links: Peter Kirschke (Entwickler), Carsten Hage, Markus Pohl (beide Geschäftsführer der Tretzeug GmbH) und Tobias Fiedler (Entwickler). (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Eurasburger Firma Tretzeug hat ein Handquad für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen entwickelt. Das "Manul 4x4" erschließt Rollstuhlfahrern verloren geglaubte Bewegungsspielräume.

Von Arnold Zimprich, Eurasburg

Eine gute Erfindergeschichte beginnt in einer Garage. Diese hier in der von Peter Kirschke, einem Schreiner und handwerklichen Multitalent. Kirschke wohnte einst in Faistenberg bei Penzberg und damit in einem Weiler, der von allen Seiten nur über steile Zufahrten erreicht werden kann. "Mich hat genervt, dass ich im Winter mit dem Rad nicht mehr hochgekommen bin", sagt Kirschke. Kurzerhand baute er sich ein muskelbetriebenes, traktionsstarkes Trike, ein Dreirad mit Kettenantrieb. Um gleichgesinnte Tüftler zu treffen, fuhr er dann mit einer weiteren Entwicklung, einem ebenfalls muskelbetriebenen vierrädrigen Quad, im Jahr 2018 auf das "Fat Trike"-Treffen in Lüneburg - und lernte dort über einen Freund Tobias Fiedler aus Iffeldorf kennen. Nur wenige Kilometer von Kirschke entfernt betreibt Fiedler dort die Firma TMI und entwickelt leichte Handbikes für sportlich orientierte Rollstuhlfahrer.

"Das war bei uns nicht anders als bei Steve Jobs", sagt der studierte Maschinenbauer Fiedler, der seit langem bei Siemens tätig ist, mit einem Lächeln. Mit 28 hatte Fiedler einen schweren Rennradunfall, seitdem sitzt er im Rollstuhl. Jahrelang fuhr er professionell Handbike-Rennen. Als der 60-Jährige Kirschkes Prototyp sah, war er begeistert. "Ich habe sofort gesehen, dass er professionell baut", erinnert sich Fiedler. Er habe erkannt, dass sich Kirschkes Können für die Rolli-Community nutzen lasse. "Da müssen wir ein Handbike draus machen!"

Blick auf die geländegängigen Vorderreifen, den Lenker und den Handantrieb des Manul. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die beiden setzten sich ans Tüfteln. 2018 wurde schließlich die Idee für den "Manul 4x4" geboren: Peter Kirschke warf den Schweißbrenner an und verschwand in seiner Garage. So entstand der erste von mehreren Prototypen. Die Kooperation läuft ganz auf Freundschaftsbasis. "Das Wirtschaftliche stand nicht im Vordergrund", sagt Fiedler. Doch eines ist ebenfalls klar: "Wir waren von Anfang an in einer privilegierten Situation." Fiedler und Kirschke steckten viel Geld und Zeit in den allradgetriebenen Manul, wie sie das Handquad nach einer Wildkatzenart nennen, die in den Bergen Zentralasiens bis auf 5200 Meter lebt. Doch nach dreieinhalb Jahren intensiver Entwicklungsarbeit war "die Kerze bei uns abgebrannt", sagt Fiedler. Zwischendurch, geben die beiden zu, waren sie schon kurz vor dem Aufgeben.

Für ihr Projekt war es ein Glücksfall, dass im Jahr 2022 der Kontakt zu Markus Pohl und Carsten Hage entstand, die im Eurasburger Ortsteil Bierbichl nebeneinander wohnen. Pohl ist studierter Wirtschaftsinformatiker, arbeitete jahrelang in Zürich und pendelte 17 Kilometer mit dem Rad in die Arbeit. "Ich wunderte mich immer, dass so viele Leute auch kurze Strecken mit dem Auto fahren", erzählt Pohl. Noch unabhängig von Kirschke und Fiedler hatte er selbst begonnen, ein Transportrad zu entwickeln. "Die Idee war, ein Quad zu konstruieren, mit dem sich auch größere Lasten transportieren lassen und das sich wie ein Baukasten erweitern lässt." Handelsübliche Lastenräder sind Pohl zu kippelig und zu wenig modular aufgebaut. So entstand die Idee zum "Majokl", einem "Universalfahrzeug für den Alltag mit Tandemmöglichkeit und viel Platz für Wocheneinkäufe", wie er das Gefährt beschreibt. Um das Projekt voranzutreiben, gründete Pohl 2021 zusammen mit Hage, der ausgebildeter Zweiradmechanikermeister ist, in Bierbichl die Firma Tretzeug GmbH.

Nach der Kontaktaufnahme mit Kirschke und Fiedler war für Pohl und Hage schnell klar: Ihr Majokl muss warten, denn Manul 4x4 ist das weiter gediehene und schlichtweg interessantere Projekt. Kirschke und Fiedler sind als externe Mitarbeiter weiterhin eng mit dem Projekt verbunden und entwickeln es laufend weiter.

"Ich kann Strecken fahren, die ich mir als Rollstuhlfahrer nicht mehr erträumt hätte"

Zielgruppe für das Manul sind sportlich orientierte Rollstuhlfahrer und verunfallte Sportler, die, wie Tobias Fiedler, auch mit körperlichen Einschränkungen Ausdauersport betreiben und autark im Gelände unterwegs sein wollen. Begeistert zeigt Fiedler auf seinem Handy Videos und Fotos eines Dolomitenurlaubs mit dem Manul 4x4. Bis auf über 2000 Meter hohe Pässe ist er damit gefahren, hat Schneefelder gequert und das 36 Kilogramm schwere Spezialgefährt schwierige Pfade hinaufmanövriert. Das Ein- und Ausladen aus dem Auto funktioniert ebenfalls ohne fremde Hilfe: Per Flaschenzug lässt sich das Gefährt aus dem Kofferraum heraus- und wieder hineinziehen, der Rollstuhl selbst wird in den Manul 4x4 eingehakt und mitgenommen.

Wenn Fiedler davon erzählt, wie sich sein Bewegungsspielraum durch das innovative Quad erweitert hat, beginnen seine Augen zu leuchten: "Mit dem Manul 4x4 kann ich Strecken fahren, die ich mir als Rollstuhlfahrer nicht mehr erträumt hätte", sagt er.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Dem Quartett, das wird im Gespräch in der Werkstatt schnell deutlich, kommt es auf mehr an als nur den Spaß an der Technik und Schrauberei. "Da geht es um eine Lebensphilosophie", sagt Carsten Hage. "Das ist was ganz, ganz Besonderes", konstatiert auch Entwickler Peter Kirschke. "Ich hab' mir immer gesagt, dass ich in meinem Leben noch was Gescheites machen will."

Seine Erfindung steht nun kurz vor der Produktreife, auch dank seiner Mitstreiter. Nun geht es für das umtriebige Quartett nur noch darum, den Manul 4x4 unter die Leute zu bringen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Außergewöhnliche Sportarten im Praxistext
:Die Überflieger der Wellen

Dass man vom Alpenvorland aus erst einmal Tausende von Kilometer fahren musste, um zu surfen, diese Zeiten sind vorbei. So manche Wassersport-Variante, die sich einst auf den Meeren ausgeprägt hat, lässt sich inzwischen auch auf Binnengewässer übertragen. Neuerdings kann man am Walchensee sogar Wingfoiling lernen - und damit über dem Wasser schweben.

Von Lorenz Szimhardt

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: