Außergewöhnliche Sportarten im Praxistext:Die Überflieger der Wellen

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Der Walchensee liegt rund 800 Meter über Meeresspiegel. Trotzdem kann man hier Wassersportarten lernen und ausüben, die ihren Ursprung an Küsten haben. Eine recht neue Variante des Surfens ist etwa das Wingfoiling. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Dass man vom Alpenvorland aus erst einmal Tausende von Kilometer fahren musste, um zu surfen, diese Zeiten sind vorbei. So manche Wassersport-Variante, die sich einst auf den Meeren ausgeprägt hat, lässt sich inzwischen auch auf Binnengewässer übertragen. Neuerdings kann man am Walchensee sogar Wingfoiling lernen - und damit über dem Wasser schweben.

Von Lorenz Szimhardt, Kochel am See

Am Anfang steht das Paddeln. Bis zum geschickten Sprung in die richtige Position, um die Welle zu reiten, getragen von den Elementen der Natur, Wind und Wasser - und natürlich einem Brett: So geht Surfen, bis heute Inbegriff einer der coolsten Sportarten unter der Sonne, mit noch cooleren Menschen, deren zerzauste Matte kein Stylist der Welt nachbasteln kann. Ein Sport als Lebensgefühl also. Dass man dafür als Bewohner des Alpenvorlands oft erst einmal Tausende von Kilometern ans nächste Meer fahren musste, diese Zeiten sind vorbei. Denn der Wassersport unterliegt einer rasanten Entwicklung. So manche Variante, die sich einst auf den polynesischen Inseln oder anderen Küstenorten ausgeprägt hat, lässt sich inzwischen auch auf Binnengewässer übertragen: Windsurfen etwa, Kitesurfen, Stand-Up-Paddling, und inzwischen sogar Wingfoiling.

Diese junge Sportart hat sich aus den ersten drei entwickelt: Mit beiden Händen hält man einen kleinen Flügel ("Wing") in den Wind und steht auf einem kleinen Board, an dem eine lange Finne ("Hydrofoil") montiert ist. Könner schweben damit scheinbar über dem Wasser - und wecken die Neugierde: Wie schwer ist das, was so leicht aussieht? Kann das jeder lernen, und vor allem wo? Und wie viel Beach Boy oder Girl steckt in einem selbst?

Man steht auf einem kleinen Board, an dem eine lange Finne ("Hydrofoil") montiert ist. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das "Wo" ist schnell beantwortet, nämlich am Walchensee. Dort lehrt André Wacke, Inhaber der Surfschule Sunnawind, das Wingfoiling. "Im Grunde genommen verbindet das Wingfoiling die Vorteile vom Windsurfen und vom Kitesurfen", sagt er. "Es ist sozusagen die nächste Evolutionsstufe."

André Wacke, Inhaber des Eventunternehmens Sunnawind, mit einem Wingfoiling-Board. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Doch bevor es samt Brett und Wing raus aufs Wasser gehen kann, steht für den Anfänger erst einmal das Gegenteil davon auf dem Programm: Trockenübungen. Denn wer den Umgang mit Board und Wing nicht erst auf festem Untergrund übt, der wird später auf dem Wasser Schwierigkeiten haben. Zudem müssen Laien sich zuerst mit den Vorfahrtsregeln auf dem Wasser vertraut machen und verstehen, wie der Wind auf dem See weht, um höchstmögliche Sicherheit gewährleisten zu können.

Auf dem Wasser sollte man "immer seine Fühler ausstrecken"

"Auf dem Wasser bewegt man sich grundsätzlich in einem potenziell lebensgefährlichen Raum", so Wacke, und das unabhängig davon, ob man mit einem Ruderboot, zum Schwimmen oder zum Wingfoiling auf dem Wasser sei. Deswegen müsse man "immer seine Fühler ausstrecken" und zum Beispiel äußerst aufmerksam das Wetter beobachten.

Am Anfang steht die Theorie auf festem Untergrund. (Foto: Harry Wolfsbauer)
André Wacke zeigt, wie man den "Wing" richtig hält. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Grundsätzlich sei das Wingfoiling jedoch nicht gefährlicher als alle anderen Wassersportarten, so Wacke. "Wenn alle die Vorfahrtsregeln kennen und genug Abstand voneinander halten, kann eigentlich nicht viel passieren." Speziell am Walchensee empfiehlt Wacke Anfängern nur unter Anleitung aufs Wasser zu gehen, da die Gefahr abzutreiben und nicht mehr zurückzukommen sonst recht hoch sei.

André Wacke war zunächst Windsurfer. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Wacke betreibt die Trendsportart seit fünf Jahren, auf dem Wasser ist er jedoch schon wesentlich länger unterwegs. Eigentlich komme er vom Windsurfen, sagt der 52-Jährige, "und wenn es richtig viel Wind hat, gehe ich immer noch sehr gerne Windsurfen". Wacke ist groß, braun gebrannt und hat immer ein Lächeln auf den Lippen, man sieht ihm den Spaß an seinem Beruf in jeder Sekunde an. Ursprünglich habe er das Wingfoiling gar nicht probieren wollen, erzählt Wacke, aber nachdem er sich dazu durchgerungen und es das erste Mal probiert hatte, habe es ihn direkt gepackt. Da 2018 noch niemand Wingfoil-Kurse gegeben habe, habe er es sich in mühsamer Arbeit selbst beigebracht, so Wacke weiter. Genau deshalb habe er auch "herausgefunden, wie man Leuten bestimmte Hürden im Lernprozess nehmen kann".

Eine Schwimmweste gehört zur Ausrüstung. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Sobald Wacke einem die Regeln auf dem See beigebracht hat und man mit dem Material vertraut ist, geht es auch schon runter von der Wiese, über die Straße und einige Steintreppen hinunter in Richtung Wasser. Aus einer kleinen Holzhütte, die auf Stelzen über dem Wasser steht, holt Wacke nun das restliche Material, das für jeden Wassersport unverzichtbar ist: Neoprenanzug und Schwimmweste. Es gibt sicherlich angenehmere Dinge, als sich bei knapp dreißig Grad in einen schwarzen, engen Neoprenanzug hineinzuzwängen, aber was sein muss, muss eben sein.

Auch ein Neoprenanzug muss sein. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Drin in der zweiten Haut und der dazugehörigen Weste will man am liebsten nur noch ins Wasser, um sich ein wenig abzukühlen. Aber nicht so eilig. Wer empfindlich ist, sollte nämlich davor unbedingt zur Sonnencreme greifen. "Wir sind hier am Walchensee auf 800 Meter über dem Meeresspiegel, an deiner Stelle würde ich mich einschmieren", sagt Wacke. Also schnell die 50-er drauf und los geht's. Doch auch beim ins Wasser gehen, ist Vorsicht geboten. Die großen, flachen Steine an der Wasserkante seien nämlich rutschig, warnt Wacke.

Ein Balanceakt

Das erste Mal auf dem Brett ist ein weiterer Balanceakt. Neulinge beginnen zunächst auf einem normalen Stand-Up-Paddle-Board. Es dauert nicht lange bis der Gleichgewichtssinn das erste Mal seine Grenzen erreicht, schon bei der zweiten Übung ist es so weit. Bei der Hitze, die mittlerweile im Neoprenanzug herrscht, ist der Abflug in den See jedoch eine willkommene Abkühlung.

Das erste Mal auf dem Brett ist ein Balanceakt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Wenn das Gleichgewicht auf dem Brett nach einigen Minuten gesichert ist, kann es endlich mit dem Wing losgehen. Also beide Hände an die jeweiligen Schlaufen am großen Handdrachen und auf geht's - so zumindest die Hoffnung. Denn als Anfänger kommt man nur voran, wenn der Wind richtig weht, also heißt es, erst einmal auf die richtige Böe warten. "Jetzt geht's gleich los, mach dich bereit", ruft Wacke. Für den Laien ist nicht erkennbar, wovon er spricht. Doch der Experte erkennt bei einem Blick auf das Wasser sofort, dass eine Windböe im Anmarsch ist. Das Brett nimmt an Fahrt auf, und bevor man sich versieht, sind etliche Meter zurückgelegt. Der Wind im Gesicht und das Wasser, das einem während der Fahrt an die Beine spritzt, lassen jeden Gedanken an den Schweiß, der einem den Rücken und das Gesicht herunterläuft, verfliegen.

Die ersten Meter auf dem Board sind geschafft. Nun gilt es, verschiedene Manöver und Szenarien zu üben. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Doch wer nur in eine Richtung fahren und nicht wenden kann, hat ein Problem: Er muss paddeln - und das jeden Meter zurück, den Wind und Wellen einen weiter auf den See hinaustreiben. Deswegen wird als nächstes das Wenden in Angriff genommen: Wing in Position bringen, auf den Wind warten und schon geht's wieder los, aber mit einem Unterschied. Nach einigen Meter wird der Wing in eine neutrale Position gebracht, um stehen zu bleiben. Doch um wieder in die andere Richtung zu fahren, muss jetzt ein kleines Kunststück vollbracht werden, eine 180-Grad-Drehung auf dem Brett - spätestens jetzt machen sich die Gleichgewichtsübungen bezahlt. Mit einem kleinen Sprung werden die Füße in die richtige Position gebracht, das Brett wackelt, kurz besteht die Gefahr das Gleichgewicht zu verlieren und baden zu gehen - doch es klappt. Jetzt nur noch am Wing umgreifen, ihn in den Wind halten und schon kann es weitergehen.

Sich vom Wind treiben lassen, ist eine Sache. Doch auch das Wenden will geübt sein. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Mit einem Ruck bläst der Wind auf einmal stärker in das Segel, Adrenalin rauscht durch die Adern. Der Wing, der vorhin an Land noch mit viel Mühe und Muskelkraft in Position gehalten werden musste, wird nun allein vom Wind getragen, pro Schlaufe reicht ein einziger Finger, um ihn zu halten. Auch wenn man sich in diesem Lernstadium noch mit dem Brett direkt auf dem Wasser befindet, fühlt es sich schon ein bisschen so an, als würde man schweben. Von den schweren Armen und auch den Schmerzen in den Füßen, weil sich die Zehen vor Anspannung fest in das Brett gekrallt haben, ist in diesem Moment keine Spur mehr.

Bis man jedoch mit seinem Board tatsächlich die ersten "Flüge" über Wasser erlebe, seien in der Regel je nach Person noch zehn bis fünfzehn weitere Wasserstunden nötig, erklärt Wacke. Aber schon der Start schürt Glücksgefühle, und der Blick über die Weite des Wassers lässt ahnen, dass es nicht der letzte Ritt auf dem Board war.

Das Wingfoiling einmal selbst ausprobieren können Interessierte zum Beispiel bei der Surfschule Sunnawind auf dem Gelände der Jugendherberge am Walchensee. Geeignet dafür ist jeder, der einigermaßen sportlich und beweglich ist, schwimmen kann und keine Angst vor tiefem Wasser hat. Mit dem Sport kann man in etwa ab einem Alter von 11 bis 12 Jahren starten. Betrieb ist bei Sunnawind ab Mai und je nach Wetter bis Oktober oder November. Eine Privatstunde kostet 135 Euro, ein Semi-Privatkurs mit zwei Personen liegt bei 110 Euro je Stunde pro Person. Der Intensiv-Gruppenkurs für Einsteiger mit maximal fünf Teilnehmern kostet 310 Euro je Person. Dieser Kurs beinhaltet zehn Stunden, verteilt auf zwei Tage. Weitere Informationen finden Interessierte unter www.sunnawind.de/wingsurfen-wingfoilen .

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