Wolfratshausen:Friedlich, aber unversöhnlich

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Die Corona-Proteste in der Region gehen weiter. Eine von Josef Hingerl angekündigte Aktion in Wolfratshausen erweist sich als Flopp, in Bad Tölz bleiben die Gegner der Corona-Maßnahmen erstmals in der Minderheit, in Penzberg sind es laut Polizei um die 1500

Von Konstantin Kaip, Klaus Schieder und Alexandra Vecchiato

In der Region halten die stummen Proteste gegen die Corona-Maßnahmen an. In fast allen Städten gingen am Montag aber auch erneut Bürgerinnen und Bürger für ein solidarisches Miteinander auf die Straße. Nur in Geretsried blieben die Maßnahmen-Gegner unter sich. 130 Personen zogen schweigend mit Polizeigeleit von der Stadtbücherei zum Rathaus und wieder zurück.

Wolfratshausen dialogfrei

Vor einer Woche ist der unangemeldete Protestzug gegen die Corona-Maßnahmen in der Wolfratshauser Altstadt direkt an der Menschenkette der Gegendemonstranten vorbeigelaufen. Diesen Montag bleibt eine Konfrontation zwischen den beiden Lagern aus. Das Bündnis "WOR tolerant", das ein Zeichen für Solidarität mit den gefährdeten Bevölkerungsgruppen und den Beschäftigten im Gesundheitswesen setzen will, hat sich bewusst dafür entschieden, dies ein Stück abseits der Marktstraße zu tun. "Wir wollen diesen Graben nicht", erklärt dazu die Dritte Bürgermeisterin Annette Heinloth (Grüne). Etwa 300 Bürgerinnen und Bürger, einige mit brennenden Kerzen, haben sich zwischen Alter Floßlände und Rathaus am östlichen und westlichen Loisachufer aufgereiht, in gebührendem Abstand und mit Masken, als Ines Lobenstein auf dem Sebastianisteg die angemeldete Versammlung eröffnet. "Es ist ein gutes Zeichen, dass wir hier stehen und für Demokratie demonstrieren", sagt sie ins Mikrofon.

Dass die Befürworter der Corona-Maßnahmen weniger sind als vergangene Woche, führt Lobenstein auch auf das "Durcheinander" zurück, das es vorab gegeben hat: Neben "WOR tolerant" hatte auch der Wolfratshauser Rechtsanwalt und erklärte Gegner der Corona-Maßnahmen Josef Hingerl eine Versammlung angemeldet, bei der es, so seine erklärte Absicht, zum "Dialog" beider Gruppen kommen sollte. Wie sich diese Aktion auswirken soll, bleibt zunächst unklar.

Pünktlich um 18.30 Uhr machen sich an der Sauerlacher Straße die Gegner der Corona-Maßnahmen - die Polizei zählt 950 von ihnen - zu ihrem unangemeldeten Protestzug auf. Im Gegensatz zu ihnen bleiben die Gegendemonstranten am Fluss nicht stumm. Vom Sebastianisteg aus gibt es drei kurze Reden. Josef Orthuber, Chefarzt der Anästhesie und Intensivmedizin an der Kreisklinik, bedankt sich bei den Teilnehmern "sehr herzlich für Ihr Engagement". Dieses sei sehr wichtig für ihn und seine Mitarbeiter, die sich seit zwei Jahren in einer Ausnahmesituation befänden und stark strapaziert seien. Damit man aus dieser Situation herauskomme, bittet er "um Rücksichtnahme und Achtsamkeit der Menschen". Marius Schlosser, Angestellter des Bundestags, warnt vor der "rechten Vereinnahmung" der Protestmärsche. Neben demokratiefeindlichen Drohschreiben erhalte der Bundestag aber auch Zuschriften von Menschen, die berechtigte Sorgen und Kritik äußerten, berichtet er. Etwa habe es Versäumnisse im Umgang mit den Schülern gegeben, auch dass viele große Unternehmen lange weitermachen konnten wie zuvor, während Freiheitsrechte der Bürger eingeschränkt wurden, könne man "durchaus kritisieren". Dagegen könne man aber auch protestieren, "ohne wissenschaftliche Erkenntnisse zu leugnen". Der Münsinger Hausarzt Jörg Lohse erklärt, die "demokratiefeindlichen Kräfte", die auch ihn als Mediziner und sein Team teils offen anfeindeten, überschritten eine "rote Linie ". Er verlange keinen Applaus, aber Respekt für seine Arbeit als Arzt, sagt er. "Den verlange ich auch für die Polizisten."

Von denen sind am Montag circa 45 im Einsatz - 15 von der Wolfratshauser Inspektion und ein Zug der Bereitschaftspolizei. Als die Gegner der Corona-Maßnahmen auf dem Marienplatz ankommen, wird geklatscht und gejubelt - offenbar ein Ritual, dessen Bedeutung sich nicht unbedingt erschließt. In der großen Menschentraube auf dem Platz und auf der Straße stehen die Leute dicht an dicht, niemand trägt eine Maske. Statt die Verstöße gegen die Abstandsvorgaben zu ahnden, setzt die Polizei darauf, den Zug schnell wieder in Bewegung zu setzen. "Wir haben immer die Option, aktiv einzugreifen", sagt die Einsatzleiterin Christine Loy. "Aber wir wollen ja im Dialog bleiben." Der Abend bleibt dann auch friedlich, besondere Vorfälle gibt es nicht. Nur einmal gibt es kurz Aufregung: Ein Jugendlicher lässt am Jugendhaus La Vida einen Luftballon platzen, was wie ein Schuss klingt. Dafür gibt es eine ernste Ermahnung der Polizei.

Zu Dialogen zwischen Protestlern und Gegendemonstranten kommt es hingegen kaum. Hingerl habe seine Versammlung gar nicht erst eröffnet, erklärt Loy auf Anfrage. Laut Polizei war er mit etwa zehn Mitstreitern gekommen und hatte zunächst an der Sauerlacher Straße gestanden. Kurz vor Ende der Veranstaltung taucht er dann noch am Sebastianisteg auf, wie Teilnehmer der Menschenkette berichten. Zu längeren Dialogen aber sei es nicht gekommen. Der Anwalt und Golfplatzbetreiber selbst will sich nicht dazu äußern, warum er seine Veranstaltung nicht eröffnet hat. Er werde eine Presseerklärung dazu abgeben, sagt er.

Bad Tölz "entspazifiziert"

In Bad Tölz haben die Impfbefürworter am Montag dieser Woche die Marktstraße fast für sich. Impfskeptiker sind nur wenige gekommen, um so die Pro-Maßnahmen-Kundgebung aus ihrer Sicht ins Leere laufen zu lassen. (Foto: Manfred Neubauer)

Wie sich die Bilder unterscheiden: Am Montagabend vor einer Woche zogen noch gut 700 Gegner der Corona-Maßnahmen im Kreis durch die obere Fußgängerzone in Bad Tölz, unten am Marienbrunnen demonstrierten etwa 150 Befürworter der Corona-Politik gegen diesen unangemeldeten Protestmarsch. Dagegen wirkt die Marktstraße nun fast schon leer. Um die 80 Gegendemonstranten haben sich an diesem Montagabend versammelt - aber nur wenige Impfskeptiker sind gekommen, nachdem sie unter anderem über Facebook aufgerufen worden waren, besser woanders "spazieren zu gehen" und so die Pro-Maßnahmen-Kundgebung ins Leere laufen zu lassen. Ihr Fernbleiben "werte ich als einen Teilerfolg", sagt Andreas Richter, Organisator der Gegendemo.

Das sieht Klaus Krämer ganz ähnlich. Zusammen mit fünf anderen Mitgliedern der Kleinpartei "Die Partei" hat er sich am Winzerer-Denkmal postiert. Wenn der Protestmarsch in der Fußgängerzone diesmal nicht stattfinde, "dann haben wir Tölz erfolgreich entspazifiziert", sagt der Kreisvorsitzende. Wären die Impfgegner gekommen, hätte er ihnen auf handbeschriebenen Plakaten einen "Workshop" zum Thema "Wie melde ich eine Versammlung an" offeriert. Auf anderen Tafeln, die sich Partei-Angehörige umhängen, steht "Demokratie ohne Haken" oder auch "Seid lieb zueinander". Florian Merkl, der 2021 als Bundestagskandidat antrat, zeigt sich "ein bisschen ratlos, was die Querdenker von uns wollen". Anstatt schweigend im Kreis zu laufen, sollten sie dies doch kundtun.

Unten am Marienbrunn erklärt SPD-Kreisrätin Filiz Cetin, warum das so sei. Sie müssten schweigen, "weil sie sich sonst als Demonstrierende entlarven würden", sagt sie. Wenn es unter ihnen, wie behauptet, auch Geimpfte gebe, dann frage sie sich, warum solche Leute, die sich selbst geschützt haben, aber da s Virus noch weitergeben können, so viele Kinder und Erwachsene in dem Protestzug in Gefahr bringen. Was eine Impfpflicht betrifft, wünsche sich niemand einen Zwang, so Cetin. Aber man werde die Debatte darüber nicht ausblenden können, solange "die Gefahr durch das Coronavirus nicht von allen richtig eingeschätzt", von manchen gar geleugnet werde. Und nicht zuletzt: Man habe kein Verständnis dafür, wenn die Gegner der Corona-Politik nach ihren Rechten riefen, sich zugleich aber an Aktionen beteiligen, "zu denen von Ultrarechten in unsrem Land wie etwa dem Dritten Weg, aber auch durch die AfD aufgerufen wird", betont Cetin. Darauf rekurriert auch Richter. Das Hauptziel von AfD, "Drittem Weg" oder auch der "Basis" sei es, den Rechtsstaat zu zerschlagen, sagt er. Wer sie unterstütze, möge sich genau überlegen, welch herbe soziale Einschnitte dann drohten. "Leerer Kühlschrank, kein Strom? Und natürlich keine Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, keine freien Wahlen? Wollen Sie das?", fragt Richter.

Bei der Kundgebung wird noch ein Brief von Susanne Reichhardt-Geisbauer verlesen. Die Ärztin von der Kreisklinik Wolfratshausen war selbst durch ihre Arbeit an Corona erkrankt. "Tagtäglich setzen Kollegen, Ärzte wie Pflegekräfte, ihr Leben für die Rettung von Erkrankten mit ansteckenden Krankheiten aufs Spiel", erklärt sie. "Trotzdem laufen wir von unserer gesellschaftlichen Verantwortung nicht davon, weil wir an ein durch Solidarität funktionierendes soziales Miteinander glauben." So manchen Impfgegnern wirft sie vor, dass sie vormals kein Problem damit hatten, sich für eine Fernreise die nötigen Impfungen geben zu lassen - ungeachtet der möglichen Nebenwirkungen. "Aber da war es ja im eigenen Interesse."

Penzberg überstrapaziert

"What a wonderful world" hallt es über den Penzberger Stadtplatz. Es ist Montagabend, wieder einmal haben sich Kritiker der Corona-Maßnahmen versammelt, um durch die Innenstadt zu marschieren. Dieses Mal hat der Penzberger Jürgen Wolff die Versammlung angemeldet. Er lebe seit mehr als 50 Jahren in Penzberg, sagt er zu Beginn der Veranstaltung. Er gehöre weder einer rechten noch linken Gesinnung an, vielmehr sei er ein "neutraler Bürger", der sich Sorgen mache und deshalb an diesem Abend auf dem Stadtplatz stehe.

Wolff verzichtet auf Programmatisches. Er bittet die Anwesenden, sich an Hygieneabstände zu halten. Die haben Kerzen, Instrumente und Plakate mitgebracht. Auf einem ist zu lesen, dass Ärzte ihren Hippokratischen Eid vergessen hätten, dass man nach- statt querdenken solle. Dann geht es los. Vom Stadtplatz führt der Protestmarsch über die Friedrich-Ebert-Straße und Sonnenstraße zurück über die Bahnhofstraße zum Stadtplatz. An der Ecke bei der Sparkasse haben sich erneut die Impfbefürworter versammelt. Rund 20 Männer und Frauen sind es dieses Mal. Ein Dialog kommt kaum zustande. Die Ordner des Marsches halten die Teilnehmer an weiterzugehen. Sätze wie "Das hat ja eh keinen Sinn" fallen. Auch werden die Impfbefürworter von einigen Demonstranten ausgelacht angesichts ihrer geringen Anzahl. Die wiederum halten Plakate hoch, die belegen sollen, dass eine deutliche Mehrheit in Deutschland sich habe impfen lassen und die Kritiker die Minderheit seien. Ein paar junge Leute fordern die Protestmarschierer auf, lieber zu "saufen statt laufen" und mahnen zugleich: "Spaziergänger sind auch Mitläufer."

Für die Polizei gibt es nicht viel zu tun. "Alles ist friedlich verlaufen", sagt Einsatzleiter Armin Ritterswürden von der Penzberger Inspektion. Er zählte 1500 Teilnehmer bei der sogenannten fortbewegenden Versammlung an diesem Abend. Die Hygieneregeln werden kaum eingehalten - was problematisch sei, da die Teilnehmer nur dann ohne Masken unterwegs sein dürften, wenn zwischen ihnen eineinhalb Meter Abstand eingehalten werde, sagt der stellvertretender Ordnungsamtsleiter Johannes Jauß. Es sei allerdings schwer zu kontrollieren, wer zum selben Hausstand gehöre. Dann nämlich käme die Abstandsregel nicht zum Tragen. Dennoch ist für die Stadt Penzberg die 1500-Marke sozusagen ein Wendepunkt. "Wir sind der Meinung, dass bei so vielen Menschen die geltenden Hygienebestimmungen nicht eingehalten werden können", betont Jauß, was montags gut zu beobachten sei. Im Rathaus möchte man die Versammlung daher an einen anderen Ort verlegen, eventuell auf die Berghalde. Das ist nur möglich, wenn das Landratsamt Weilheim-Schongau als Genehmigungsbehörde dies ebenso sieht. "Wir stehen in Abstimmung mit Weilheim", sagt Jauß.

© SZ vom 19.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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