Lenggries:Nachts, wenn die Schneekanonen am Brauneck dröhnen

Lesezeit: 4 Min.

Der Lärm und ökologischer Sinn von Beschneiungsanlagen stört manche ob des Klimawandels. (Foto: Manfred Neubauer)

Die Beschneiungsanlagen am Lenggrieser Hausberg bringen die Anwohner um den Schlaf. Diese fordern nicht nur die Abschaltung in den Nachtstunden, sondern auch ein Umdenken beim Wintertourismus.

Von Benjamin Engel, Lenggries

Sobald das Thermometer ins Minus fällt, wird es für Kreszenz und Richard König unangenehm. Der Schlafzimmerbalkon ihres Hauses in Anger liegt direkt gegenüber den Liften und Pisten des Braunecker Skigebiets. Hat es mindestens drei Grad Minus, ist es nächtens mit der Ruhe vorbei. Von der anderen Talseite brummt und rattert es. Wie monotone Motorengeräusche klingt es, manchmal die ganze Nacht durch. Kreszenz König kann dann nicht mehr schlafen, selbst wenn sie die zweifach verglasten Fenster und die Läden schließt. "Ich wache immer wieder auf", sagt sie. "Nach dem vierten oder fünften Mal nehme ich Ohropax, aber gewöhnen werde ich mich nie daran."

Was die 56-Jährige und ihren 60-jährigen Mann um die Nachtruhe bringt, sind die Geräusche der Beschneiungsanlagen am Brauneck. Die rund 130 Propeller-Schneekanonen und Schneilanzen sind für die Schneesicherheit am Lenggrieser Hausberg unabdinglich. Damit sie in Betrieb gehen können, braucht es allerdings mindestens drei Grad minus, ideal sind fünf Grad und mehr unter Null. Und so kalt ist es gerade nachts, weswegen die Skigebietsbetreiber die Kunstschneeproduktion dann auf Hochtouren laufen lassen.

Interview am Morgen
:"Wir erleben in den Alpen ein Wettrüsten"

Schneesicher sind viele bayerische Skigebiete längst nicht mehr. Im "Interview am Morgen" kritisiert Tobias Hipp vom Deutschen Alpenverein, dass trotzdem noch immer Millionen investiert werden.

Von Isabel Bernstein

Davon fühlt sich Kreszenz König massiv gestört. Vor zwei Jahren seien die Schneekanonen längere Zeit am Tag und in der Nacht durchgelaufen. Deshalb wünscht sich die gebürtige Lenggrieserin, dass die Maschinen wenigstens in den tiefsten Nachtstunden zwischen Mitternacht und 5 Uhr früh abgeschaltet würden. "Das wäre schon ein Sieg", sagt König. Anwohner und Touristen hätten dann Ruhe. Doch mit ihren Forderungen erfolgreich zu sein, glaubt das Ehepaar kaum. Zu sehr stünden die Kommune und das Tourismusamt hinter dem Skigebiet, sagen beide.

Andererseits fragen sich die Lenggrieser, wie nachhaltig der Wintertourismus am Berg überhaupt noch ist. Angesichts der Klimaerwärmung müsse die Kommune aus ihrer Sicht umdenken und neue Tourismuskonzepte entwickeln. Im österreichischen Lechtal setzten die Touristiker etwa auf Winterwanderungen.

Für alternative Wintertourismusangebote scheint auch eine Studie der Universität Innsbruck und des Deutschen Alpenvereins von 2013 zu sprechen. Laut den Forschern könnten die Temperaturen bis 2030 durchaus um 1,5 Grad steigen. Käme es so, wären am Brauneck selbst mit Kunstschnee nur noch die Hälfte der Pisten schneesicher, bei plus zwei Grad keine mehr. Bislang hat die Brauneck- und Wallbergbahnen GmbH rund zehn Millionen Euro in die Beschneiung am Berg investiert. Wie Geschäftsführer Peter Lorenz erklärt, kostet eine einzige Schneekanone mit Propeller 30 000 bis 40 000 Euro.

Eine Schneilanze kommt auf 10 000 Euro bis 15 000 Euro, wovon es allerdings mehr brauche, um die gleiche Fläche wie mit einer Propellermaschine zu beschneien. Um dafür genügend Wasser zu haben hat die GmbH im Garlandkessel einen umstrittenen, 100 000 Kubikmeter fassenden Speicherteich gebaut. Seit etwa 20 Jahren gibt es laut Lorenz schon einen etwa ein Fünftel so großen Speicherteich im Tal für den unteren Bereich der Abfahrten.

Und der Ausbau soll weitergehen: Kurz vor Saisonbeginn hat die Bergbahn GmbH die Singhammer-Lifte im Finstermünzkessel am Bayern- und am Florihang gekauft. Dafür sind weitere Beschneiungsanlagen geplant. Dass sich an deren Geräuschpegel jemand stört, kann Lorenz kaum nachvollziehen. "Es laufen sowieso fast nie alle gleichzeitig", sagt er. Zudem verweist er auf Genehmigungen und Prüfungen der Behörden. Ortsfeste Beschneiungsanlagen unterliegen dem Immissionsschutzrecht.

Laut einem Sprecher des bayerischen Umweltministeriums dürfen nachts in Dorf- und Mischgebieten Grenzwerte von 45 Dezibel sowie von 40 Dezibel in Wohngebieten nicht überschritten werden. Werte zwischen 40 und 60 Dezibel entsprechen der normalen Gesprächslautstärke. Wer Schneekanonen oder Schneilanzen nutzen will, braucht dafür auch eine wasserrechtliche Genehmigung. Zum Verfahren zählt nach Sabine Schmid, Pressesprecherin am Tölzer Landratsamt, auch der Immissionsschutz.

Vor einer Genehmigung gibt die Behörde Lärmgutachten in Auftrag, die dann auf ihre Plausibilität geprüft werden. Zwischen 22 Uhr und 6 Uhr morgens müssten die nächtlichen Grenzwerte eingehalten werden. Auf Basis des Lärmgutachtens hat das Tölzer Landratsamt der Brauneck- und Wallbergbahn GmbH die Genehmigung für die künstliche Beschneiung erteilt. "Wir gehen davon aus, dass die Grenzwerte auch eingehalten werden", erklärt Schmidt.

Nachts nicht zu beschneien wäre aus Sicht von Bergbahn-Sprecherin Antonia Asenstorfer "in ökologischer und ökonomischer Sicht nicht sinnvoll". Denn dann sei es am trockensten und am kältesten. Es herrschten also die besten Bedingungen zum Erzeugen von Kunstschnee, was weniger Energie verbrauche. Bisher kostet die Beschneiung etwa 80 000 bis 90 000 Euro an Strom pro Saison. Zudem liefen die Beschneiungsanlagen nur an drei bis vier von etwa 120 Betriebstagen im Winter die ganze Nacht.

Den Schlaf können allerdings schon Geräusche mit Dezibelwerten von 20 bis 40 Dezibel stören, was einem Weckerticken entspricht. Wie Mediziner Martin Patscheider von der Universitätsklinik München-Großhadern erklärt, löst Lärm im Schlaf Weckreaktionen aus. Das mache die Nachtruhe weniger erholsam, könne zu Stressreaktionen im Herz-Kreislauf-System und im Stoffwechsel führen.

An der Zukunftsfähigkeit der Beschneiung zweifelt Friedl Krönauer, Kreisvorsitzender im Bund Naturschutz. Durch den Bau von Speicherbecken und die Planierung des Pistengeländes leide die Vegetation. Allerdings will er die soziale Komponente des Braunecker Skigebiets nicht ausblenden. "Viele Leute in der Region leben von dem System, von den Gastgebern bis zu den Handwerkern", sagt Krönauer. Ein Skigebiet sei im Grunde nichts anderes als ein Betrieb, der versuche, mit den vorhandenen Ressourcen wie Wasser, Energie und Kälte so zu wirtschaften, dass das Geschäftsmodell funktioniere.

Angesichts des Klimawandels müssen die Destinationen nach Krönauer im Wintertourimus jedoch umdenken. Er selbst gehe Skitouren, wolle sich deswegen aber nicht zum besseren Wintersportler stilisieren. Gehe er durch den Wald, werde das Wild mehr gestört als durch den Lärm von Schneekanonen. Denn die Tiere gewöhnten sich an stetige Lärmquellen. Den Wintersport am Brauneck sieht Krönauer folglich pragmatisch. Werde der Betrieb nicht vergrößert, könne er einigermaßen damit leben, sagt er.

Unterdessen will sich Kreszenz König im Lenggrieser Ortsteil Anger im Frühjahr noch schalldichtere Fenster einbauen lassen - damit sie hoffentlich ruhiger schlafen kann, wie sie erklärt.

© SZ vom 03.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Skigebiete
:Immer mehr Lifte stehen im Winter still

Wenig Schnee, kaum Besucher, ein Ausbau ist zu teuer: Viele Lifte in den Alpen sind unrentabel. Manche Betreiber setzen auf Schlittenfahrer oder Tourengeher.

Von Isabel Meixner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: