Nach den Vorwürfen gegen Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wegen eines antisemitischen Flugblatts scheinen führende Parteikollegen im Landkreis auf Zeit spielen zu wollen. Am Dienstag stellte keiner die politische Zukunft des stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten offen infrage. Niemand erklärte die Angelegenheit aber für erledigt. Einig sind sich Landrat Josef Niedermaier und der Fraktionsvorsitzende im Kreistag, Hubert Oberhauser, dass der Inhalt des bei Aiwanger zu Schulzeiten Ende der 1980er-Jahre gefundenen Flugblatts verabscheuungswürdig und menschenverachtend sei. Laut beiden sei Aiwanger nie durch derartige Ansichten aufgefallen.
"Ich habe bisher kein einziges Mal bei ihm das Gefühl gehabt, dass er rechtsradikales oder antisemitisches Gedankengut mit sich trägt", so Landrat Niedermaier über Aiwanger. Diesen kenne er seit 2006 sehr gut. "Er ist ein Politiker mit Ecken und Kanten und ich bin beileibe nicht immer seiner Meinung."
Gleichzeitig erinnerte Niedermaier an seine eigene Schulzeit mit dem Abitur im Jahr 1983. Zu dieser Zeit habe es andere moralische Werte gegeben. Das halte er zwar nicht für gut. Zwischen "extrem links und rechts" sei es aber damals ziemlich heftig hin- und hergegangen. "Mich würde schaudern, mit allem konfrontiert zu werden, was ich im jugendlichen ungestümen Leichtsinn alles gesagt habe", teilte Niedermaier mit. Er spricht von einem "permanenten Lernprozess", den er jedem zugestehe. Die wichtigste Grundregel für den Landrat: "Immer bei der Wahrheit bleiben, auch wenn es weh tut."
Dass einige Exemplare des Flugblatts in seiner Schultasche gefunden worden seien, hatte Aiwanger selbst eingeräumt. Das Flugblatt soll jedoch sein Bruder verfasst haben. Oberhauser hält es aber für bedenklich, dass die Zeugen anonym geblieben seien. Wer so massive Vorwürfe erhebe, müsse sich persönlich klar bekennen. "So steht Aussage gegen Aussage", sagte Oberhauser. Für ihn ist Aiwanger keine "einfache" Persönlichkeit. Dieser treffe aber mit seinen klaren Ansagen, die er selbst nicht alle teile, den Nerv vieler Leute. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) habe Aiwanger aufgefordert, detaillierte Antworten zu geben. Erst wenn das passiert, stelle sich die Frage nach Konsequenzen.
Von "leider sehr dürftigen" bisherigen Aussagen Aiwangers spricht der scheidende CSU-Stimmkreisabgeordnete Martin Bachhuber. "Problematisch ist alles, was mit Antisemitismus zu tun hat. Da darf man auch kein Auge zudrücken oder von einer Jugendsünde sprechen." Abschließend zu beurteilen sei der Fall aber erst, wenn Aiwanger alle 25 an ihn gerichteten Fragen beantwortet habe. Die Koalition mit den Freien Wählern stehe nicht infrage, so Bachhuber. Der Grund: "Politische Koalitionen und parlamentarische Zusammenarbeit hängen nie an einer einzigen Person."