Theater:Über allen Gipfeln keine Ruh

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Was tun, um die Erde zu retten? Das Stück "Natur" von Lukas Hammerstein spießt am Landestheater Schwaben in Memmingen zum Beispiel die Natursehnsucht bayerischer Großstädter auf (vorne: Regina Vogel). (Foto: Monika Forster)

Die Klima- und Umweltproblematik wird verstärkt auf den Bühnen zum Thema - zum Beispiel mit Inszenierungen von "Keinland" in Regensburg, "Natur" in Memmingen oder "Elias Revolution" in München.

Von Sabine Leucht

Viele Themen des Theaters gehören zu den ewigen. Untreue, Inzest, Intrigen und alle Arten von Mord und Totschlag etwa kennt es seit seinen Anfängen. Wie die Menschheit auch. Für das in diesen Tagen mitten in Europa wieder schrecklich real Gewordene können Regisseure auf ein ganzes Arsenal an Stücken zurückgreifen. Das Umwelt-Thema, das auf der Straße liegt, seit es die #FridaysforFuture-Kids dort hingetragen haben, aber hat die Dramatiker an die Schreibtische gerufen und die Spielpläne der deutschsprachigen Theater mit Klima- und Umweltstücken geflutet.

Angesichts der Dringlichkeit der Lage reicht es ihnen nicht mehr, vermehrt die Texte des sprachgewaltigen Thomas Köck zu spielen, der als einer der ersten Theaterautoren die drohende Umweltkatastrophe mit unserem Wirtschaftssystem und dem globalen Ungleichgewicht verknüpfte. Inzwischen gibt es Gerichtsdramen, in denen der globale Süden den Norden verklagt, Bühnengesänge ausgestorbener Tierarten, Pflanzentheater - und moderne Klassiker wie Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" werden mit Videos von Umwelt-Demos dekoriert, um einer von Kapital, Gier und Selbstsucht motorisierten Gesellschaft ins Gewissen zu reden. Sorgen die jungen Umwelt-Aktivisten so vielerorts fürs aufgeklärt-kritische Gratis-Bühnenbild, holen sie Regisseure wie Verena Regensburger an den Münchner Kammerspielen ("These kids will safe the future") oder Volker Lösch ("Volksfeind for Future" am Düsseldorfer Schauspielhaus) gleich selbst auf die Bühne.

Meist folgt daraus ein Bombardement mit Fakten, wie auch in Gernot Grünewalds Stückentwicklung "2017 - Die Zeit die bleibt" am Nationaltheater Mannheim, wo die Uhr auf der Bühne rückwärts läuft: Sind es wirklich nur noch sechseinhalb Jahre, bis unsere Erde kein CO2 mehr absorbieren kann? Wundert es einen dann, dass die Klima-Aktivisten rund um Extinction Rebellion zunehmend militanter werden und der Umschlag vom Mahnen ins Drohen nun auch die Bühnen erreicht? Die Münchner Autorin und Regisseurin Maja Das Gupta ließ im Dezember ihr Jugendstück "Elias Revolution" im Pathos München mit einem Aufruf zur kollektiven Selbstverbrennung enden, wobei der Vorschlag, Autos zu beschädigen, bezeichnenderweise für mehr Aufregung sorgte. (Die Wiederaufnahme ist für Ende Juli geplant.)

Wenn das Land nur noch aus Müll besteht: Magdalenas Stück "Keinland" am Stadttheater Regensburg (mit Gero Nievelstein, Thomas Weber, Michael Heuberger und Silke Heise, von links). (Foto: Martin Kaufhold)

Man mag Das Guptas "aggro-melancholischer" Protagonistin Elia fast nicht widersprechen: Insektenhotels bauen oder vegan kochen genügt nicht mehr, wenn die Paradiese von gestern vielerorts schon so ähnlich aussehen, wie sie Magdalena Schrefel in ihrem Stück "Keinland" beschreibt: "An den Riffen hängen Babywindeln wie Quallen im Sand. Sonnencreme-Flaschen stapeln sich, Ölfässer, Batterien, Lack-Eimer lagern daran an, dazwischen aufblasbare Plastik-Giraffen und Einhörner oder - Elefanten oder das, was von ihnen überbleibt, wenn sie einmal geplatzt sind." Schrefels Stück, das Pia Richter im Januar am Stadttheater Regensburg inszenierte, hat ebenso wie Lukas Hammersteins "Natur" - in Auftrag gegeben vom Landestheater Schwaben in Memmingen - einen guten Weg aus dem Dilemma gefunden, dass Theaterabende zum Klima-Gau häufig zur trockenen Kanzelrede oder zur agit-prop-artigen Wachrüttelveranstaltung tendieren und nur selten ästhetische Leckerbissen sind. Und das bei einem eigentlich gruselthrillertauglichen Stoff.

Dass es kein Weiter-So geben kann, davon sind auch diese beiden Abende überzeugt. Aber sie fragen auch nach dem emanzipatorischen Potenzial des Lachens und nach der emotionalen Erreichbarkeit des Publikums auf raffinierteren Wegen als dem moralischen Frontalangriff. Zum Beispiel durch Sprachwitz und ausgesucht schräge Situationen. Vielleicht gar nicht so doof, denn wann hat ein Stück über Umweltthemen seit der "Welt-Klimakonferenz" von Rimini Protokoll 2014 mal mehr erreicht als lähmende Zerknirschung und Betroffenheit?

Dort übernahmen - ein Jahr später auch beim Münchner Festival Spielart - die Zuschauer die Rollen der internationalen Delegierten und mussten in einem hochkomplexen Setting ebensolche Entscheidungen treffen. In Memmingen hat man es dagegen mit einer klassischen Theatersituation zu tun. In Regensburg mit "135 Bildern einer Ausstellung", von denen das größte auf der Bühne steht. Beide Abende erzeugen Komplexität durch Irritation, Abstand zum Ernst, zum Naturalismus und zum Jetzt. Sie katapultieren ihr Personal und ihre Szenerien an den Horizont des Dystopischen, hinter dem vielleicht schon wieder eine Utopie aufscheint.

Zurück zur Natur - wo bitte geht´s da hin?

In "Keinland" etwa ist das Steigen des Meeresspiegels schon Geschichte. Zwei Ritter von der traurigen Gestalt räumen rund um einen Warten-auf-Godot-Baum wie seinerzeit der Film-Roboter WALL-E den Planeten auf, der zusammengezurrt ist auf ein kleines Fleckchen Land beziehungsweise Nicht-Land. Denn das Malediven-Inselchen Thilafushi widersteht der Flut nur noch dank des Mülls, den die Urlauber der Nachbarinseln hinterlassen haben. Es ist Müll - gesammelt und komprimiert. Doch das erfährt man erst nach und nach von einem Guide, der das in eine Art Riesen-Terrarium eingesperrte Geschehen kommentiert. Für eine Nachwelt, der von unserer Zeit nur unzählige Dinge aus Plastik geblieben sind.

Auch das Stück "Natur" denkt den Menschen von seinem Ende her. Der Münchner Romancier Lukas Hammerstein ist ein eloquenter Spötter und hat in seiner über eine funkelnde rhythmische Textfläche ausgebreiteten "grünen Komödie" die Natursehnsucht bayerischer Großstädter aufgespießt. Wenn es die in die Berge zieht, nehmen sie ihren Ausstattungswahn und den Inhalt ganzer Biosupermarktregale mit hinauf und den Müll brav mit runter. In einer Berghütte mit Panoramablick begegnet eine dubiose Gruppe aus Influencern, Alpinisten, Gründerzeit-Grünen, politischen und anderen Blendern einem Yeti, singenden Schneekanonen und ihrem eigenen durchaus komplexen Verhältnis zur Natur. "Zurück zur Natur", sagt einer von ihnen, "wo bitte geht's da hin?" Es geht um den menschlichen Blick auf die Natur, der sein Recht auf Spektakel einfordert. Und das Spektakel kommt, aber anders als man sich das je hätte ausrechnen können. Denn vielleicht will die Natur auch einfach ihre Ruhe? Robert Teufels sehenswerte Inszenierung wird in Memmingen noch bis 21. Juni gezeigt.

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