Neues von den Rolling Stones:Lecko mio

Lesezeit: 3 Min.

Gestatten, "The Cockroaches": Unter diesem Pseudonym traten die Rolling Stones 1977 im Club Mocambo in Toronto auf. Das Konzert gibt es jetzt auf einem Album nachzuhören. (Foto: Helmut Newton/Universal)

Das neue Album der Rolling Stones lässt noch auf sich warten. Für Keithologen und Sammler gibt es aber einige alte Fundstücke, Briefmarken und einen Comic.

Von Michael Zirnstein, München

Kurz streckten sich einem überall in der Stadt überlange Zungen entgegen. Ehe jedem klar war, was dies bedeutete, nämlich dass wirklich die Rolling Stones noch einmal anrücken würden, war die Leckparade schon wieder verschwunden. Was nicht festgekleistert war, war weg. Stattdessen gähnten einen die leeren Münder der grauen Plakatkästen an, teils mit herabhängenden Schutzfolien. Beim Veranstalter beklagt man zwar keinen Diebstahl der Werbematerialien für die "Sixty"-Tournee, das doch ziemlich überraschend angekündigte Rock'n'Roll-Spektakel in diesem Jahr. Aber die Vorstellung ist einfach sehr rührend, dass da nachts alte Stones-Fans loszogen, um sich eine Reliquie ihrer Lieblings-Band zum 60. Band-Geburtstag zu sichern. Gerade in München, jener Stadt, die durch den Auftritt der britischen Jung-Stars auf der "Bravo Blitz Tour" 1965 im Circus Krone zur Stones-Stadt wurde.

Es folgten noch viele Besuche, mit noch mehr Geschichten aus dem Musiclandstudio, wo die Band 200 Session-Bänder à fünf Kilo aufnahm (eine Tonne Stones-Sound, aus der immerhin die beiden Platten "It's Only Rock'n'Roll" und "Black And Blue" wurden); aus dem Jet-Set rund um Uschi Obermaier und Gloria von Thurn und Taxis; und aus dem Olympiastadion, wo Mick, Keith & Co. zuletzt 2017 in einer ziemlich starken "No Filter"-Show lümmelhaft dem Alter trotzten, das Jagger am Vortag auf einem Facebook-Foto im Englischen Garten noch so würdevoll hatte erscheinen lassen.

Leider befindet sich von all diesen Geschichten und Bildern nichts im Buch "Rolling Stones - Das Comic!" von 2017, das in seiner deutschen, oder besser: sachte österreichischen Übersetzung 2021 der Wiener Verlag Bahoe Books herausgegeben hat. Das ist schade, denn diese gezeichnete Biografie ist ein Schatz, und damit ein prima Geschenk oder Kauf für alle Stones-Sammler. 21 Episoden sind darin fein vom Rockjournalisten Ceka recherchiert und aufgeschrieben, mit Zitaten und Fotos garniert, und dann von Comiczeichnern der jungen franko-belgischen Generation - mal expressionistisch, mal romantisch, mal cartoonhaft - gestaltet: Vom schicksalhaften ersten Treffen der Blues-Freunde Mick und Keith in einem Zug in Dartford bis zur nachträglichen Hommage an den 2021 gestorbenen Gentleman-Schlagzeuger Charly Watts. Noch wunderbarer als die ganzen Sex-Abenteuer Jaggers von Marianne Faithful (nackt gezeichnet!) bis Rudolf Nurejev (aber wer fehlt? die Münchner Uschi!) und die Erklärung der offenen Gitarrenstimmung von Richards sind darin all die Irrtümer, die ihrer Bestimmung als Olympier des Rock nicht im Wege standen: Sie seien "nicht kommerziell genug", sie seien "zu laut und zu elektrisch", sie seien "eine Jazzband" (behauptete Jagger immer selbst), er wolle nicht sein "ganzes Leben lang ein Rockstar sein" (Jagger mit 33), und so weiter.

Keith Richards Gitarrenkünste erklärt der Zeichner Patés in seiner Geschichte im Rolling-Stones-Comic-Band. (Foto: Pates/Bahoe Books)

Und doch arbeitet der 78-Jährige immer noch an neuen Songs. Nur die schwere Krankheit von Charly Watts habe ein neues Album verhindert. Mit Hilfe vom alten Weggefährten und neuen Drummer Steve Jordan wolle man es bis zum Sommer fertigstellen, heißt es. Bis dahin müssen sich die Fans mit Neu- und Wiederveröffentlichungen aus alten Tagen zufriedengeben. So gibt es eine "30th Anniversary Edition" von "Main Offender", dem zweiten Solo-Studioalbum, das Keith Richards 1992 mit seiner Lieblingstruppe X-Pensive Winos eingespielt hat. Der damalige Drummer, eben Steve Jordan, hat das alte Material neu abgemischt, ein Deluxe-Box-Set erfreut Sammler mit einem 88-seitigen Buch, Essays, alten Bildern, Lyrics in Handschrift und einem Konzert-Mitschnitt aus London. Die Platte (damals Platz 4 in Deutschland) feierte Keith in Reinform, nämlich die Kunst des Gitarren-Rockriffs als Selbstzweck. Viele Fans mochten das, weil es an die rowdyhafte Coolness der frühen Stones-Jahre erinnert.

Und suchen nicht alle Getreuen danach? Nach einer Neu-Erweckung, die dem Ur-Erlebnis nahe kommt? So etwas könnte das Album "Live From El Mocambo 1977" bieten. Darauf zu hören ist der Mitschnitt eines Geheimkonzertes in einem kleinen Club in Toronto. Die Band kämpfte damals gegen den hippen Punk, Keith Richards Drogeneskapaden und Auflösungsgerüchte. Da stellte ein Radiosender die Frage: "Was würdest du tun, um die Rolling Stones live zu sehen?" Als Gewinn winkten 300 Karten für ein Konzert von April Wine, im Vorprogramm The Cockroaches. Welch Überraschung, als sich diese als die Stones entpuppten. Die beglückten den erlesenen Kreis mit einem hübsch rohen Programm aus ihren Klassikern (wie dem inzwischen als rassistisch oder sexistisch in Verruf geratenen "Brown Sugar", das gerade mal wieder von der Setlist gestrichen werden soll), von frühen R'n'B-Nummern zu ersten Rock-Krachern.

Von wegen Rock'n'Roll: Anfangs beharrten die Rolling Stones darauf, eine Jazz-Band zu sein, wie der Zeichner Kyung-Eon Park in seiner Geschichte skizziert. (Foto: Kyung-Eon Park/Bahoe Books)

Größer geballert wurde freilich 2003, als die Stones zum 40. Band-Geburtstag im New Yorker Madison Square Garden auftraten - auch dieses Konzert wird bald unter dem Titel "Licked Live in New York City" in diversen Sets (2 CD, DVD, 3 LP, inklusive dem Dokumentarfilm "Tip of the Tongue" ) zu kaufen sein; ebenso wie eine "streng limitierte Box" mit 18 Vinyl-Singles als Faksimiles, ergänzt um Poster, Buch und Fotokarten. Vergleichsweise günstige Sammlerstücke bringt die Royal Mail in Großbritannien heraus. Zum 60. Band-Geburtstag ehrt sie die Rock-Ritter des Vereinigten Königreichs mit einer Briefmarkenserie. Darauf zu sehen sind Porträts, Live-Fotos (etwa aus Düsseldorf, nicht aber München!) und das Zungen-Logo - in Email-Zeiten fast schon eine Anleitung, was mit dem Papierchen zu tun ist.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: