Mit Ende 40:Neustart nach dem Burn-out

Lesezeit: 3 min

Andrea und Armin Hermann in ihrem Winterdomizil in Starnberg. Hier bieten sie mit "2 Souls 4 You" Massagen und Life-Coaching an. (Foto: Nila Thiel)

Arbeit, Familie, Verpflichtungen: Andrea und Armin Hermann wollten es immer besonders gut machen. Doch dann wurde alles zu viel. Jetzt haben sie ein Unternehmen gegründet, das anderen hilft, ihr Leben neu zu sortieren.

Von Ann-Marlen Hoolt, Starnberg

Der Wendepunkt kam für Armin Hermann im Oktober 2021: Als er sich aus dem Home-Office am Computer anmelden wollte, fiel ihm sein Benutzername, den er jahrelang täglich eingegeben hatte, einfach nicht mehr ein. Er brach in Tränen aus, begann zu zittern, wie Schüttelfrost am ganzen Körper. Diagnose: Burn-out.

Zwei Jahre später sitzt Hermann, ein sanftmütiger Mann mit Bart und Glatze, im Schneidersitz auf einem kleinen schwarzen Kissen auf dem Fußboden und erzählt. Wie er 20 Jahre lang Abteilungsleiter bei der Sparkasse war, Mitarbeiter angeleitet und Verantwortung getragen hat. Wie er nachts oft nicht schlafen konnte, weil er schon die Aufgaben des nächsten Tages im Kopf hatte. Und wie er nach viel Ruhe und einer Psychotherapie erkannt hat: Er möchte noch einmal ganz neu anfangen. Den Zusammenbruch vor zwei Jahren am Computer nennt er heute "ein Geschenk."

Münchner Umland-Newsletter
:SZ Gerne draußen!

Die besten Geschichten, spannende Menschen und Veranstaltungen für Groß und Klein in den Landkreisen rund um München und darüber hinaus - immer donnerstags in unserem kostenlosen Newsletter.

Armin Hermann hat den Bankjob hinter sich gelassen und eine Ausbildung zum "Life-Coach" gemacht. Jetzt berät er andere Menschen dabei, ihr Leben neu zu sortieren. Weil es ihm bei der Genesung gutgetan hat, nicht nur mit einem Therapeuten, sondern auch mit einem Coach zu sprechen, will der 49-Jährige anderen Menschen auf dieselbe Weise helfen. Dazu hat er im Sommer gemeinsam mit seiner Frau Andrea ein Unternehmen gegründet, "2 Souls 4 You". Sie bietet Massagen an, er coacht und legt Tarotkarten.

Armin Hermann, der als Abteilungsleiter immer die richtigen Antworten parat haben musste, verbringt seinen Arbeitstag jetzt also damit, Fragen zu stellen. Ebendiese Fragen, die er sich früher selbst nicht gestellt hat: Wie fühlst du dich? Wo willst du hin? Die Tarotkarten können dabei die Beratungen unterstützen, erzählt er, "weil sich viele Menschen bei Bildern oft ganz anders öffnen". Es geht um Assoziationen, wie die Klienten die Karten intuitiv interpretieren, was sie daraus ziehen. Ein wenig wie bei den Tintenklecksbildern im Rorschachtest.

"Ich hatte das Gefühl, dass ich weitermachen muss."

Auch Andrea Hermann hat mit "2 Souls 4 You" noch einmal ganz neu angefangen. Ursprünglich hat sie wie ihr Mann bei der Bank gearbeitet, ist dann später als Erzieherin an eine Ganztagsschule gewechselt. Diesen Job hat sie aufgegeben, denn auch sie hat ein Burn-out erlebt. Die Söhne, der Job, die Sanierung des Hauses, die Pflege der Mutter - schon Wochen vorher habe sie gemerkt, dass sie am Limit ist, erzählt sie. "Aber ich hatte das Gefühl, dass ich weitermachen muss. Bis es mir den Boden unter den Füßen weggezogen hat."

Armin Hermann legt neben dem Life-Coaching auch Tarotkarten. Das Visuelle, sagt er, erleichtere es vielen Menschen, sich zu öffnen. (Foto: Nila Thiel)
Meditation, Achtsamkeit und hawaiianische Massagen haben Andrea Hermann neue Perspektiven eröffnet. (Foto: Nila Thiel)

Weitermachen, durchhalten - solche Gedanken sind typisch beim Burn-out. Das bestätigt Professor Markus Backmund, Mitbegründer der P3-Klink für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Tutzing. Betroffene würden meist für ihren Beruf brennen, konstant Leistung bringen, darüber aber die eigenen Bedürfnisse vergessen: "Beim Burn-out ist es dann, wie wenn man mit dem Auto vor die Wand fährt. Dann ist der Motor kaputt." Doch ein defektes Auto kann schnell repariert werden. Waren dagegen Körper und Geist über lange Zeit überlastet, dann dauert die Regeneration. Und häufig müssen die Betroffenen auch im eigenen Leben aufräumen, Prioritäten und Automatismen überdenken.

Andrea Hermann hat das gemacht. Früher, sagt sie, wollten sie und ihr Mann einem eigentlich unerreichbaren Idealbild entsprechen - die perfekte Familie, der perfekte Job. Heute sei ihr das nicht mehr so wichtig. Die 48-Jährige hat eine neue Ausbildung gemacht und etwas gefunden, was sie erfüllt - im Grunde durch Zufall: Auf Youtube sah Andrea Hermann in einem Video zum ersten Mal eine hawaiianische Lomi-Massage. Das hat sie berührt und begeistert: "Zwei Tage später saß ich in einem Seminar, um die Technik zu lernen."

Während der Sommermonate arbeitet das Paar in der Natur

Ursprünglich stammt die Lomi-Massage aus der hawaiianischen Heilkunde. Sie soll die Selbstheilungskräfte des Körpers anregen. Der gesamte Körper wird dabei bis zu zwei Stunden lang mit Unterarmen, Händen und Ellenbogen in fließenden Bewegungen massiert. Andrea Hermann ist von der heilenden Kraft der Technik überzeugt. "Es kommen aber auch Menschen zu mir, die darin einfach nur Wellness sehen", betont sie. Das sei völlig okay. Doch sie berühren vor allem die Kunden, die sich auf die Erfahrung einlassen.

Andrea Hermann, bei der Arbeit im Massagezelt in Sankt Heinrich am Starnberger See. (Foto: 2 Souls 4 You)

Nach der Unternehmensgründung im Sommer haben die Hermanns für die Massagen zunächst einfach ein Zelt aufgestellt. Mitten in der Natur in Sankt Heinrich, der Starnberger See in Sichtweite. Arbeit in Premiumlage. Doch jetzt ist es dafür zu kalt. Für den Winter ist das Paar umgezogen, in feste Räumlichkeiten in Starnberg. Hier gleicht der Massageraum eher einem Wohnzimmer. Weiß gestrichenes Holz, Kerzen und Vasen auf der Fensterbank, eine hell bezogene Liege auf einem orientalischen Teppich.

Mitte Ende 40 noch einmal ganz neu anzufangen, auf der Höhe der Inflation ein Unternehmen zu gründen - das war für die Hermanns nicht leicht. Aber sie sind von ihrem neuen Weg überzeugt, hetzen nicht mehr so durchs Leben wie früher. Ob das Burn-out hätte vermieden werden können, wenn das Paar eher auf sich achtgegeben hätte, Pausen zugelassen, die eigenen Gefühle reflektiert hätte - eindeutig lässt sich das nicht sagen. Doch die Veränderung hat den Hermanns gutgetan. Sie wollen jetzt anderen helfen, die ebenfalls Veränderung suchen. "Es geht darum, die Seele zu heilen", sagt Armin Hermann. Und seine Frau ergänzt: "Manchmal reicht es da ja schon, wenn man kurz innehält und man sich mit sich selbst beschäftigt."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGesundheit
:"Von meiner psychischen Erkrankung zu erzählen, ist wie ein Outing"

Wenn Männer krank werden, dann körperlich. Das dachte auch Hansjörg Zimmermann - bis er seine Diagnose Burn-on bekam. In einer Klinik traf der Professor aus Starnberg viele Betroffene und lernte, über das Tabuthema zu reden.

Interview von Carolin Fries

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: