Fünfseen-Filmfestival:"Sie versuchen, uns nur vom Filmen abzuhalten"

Lesezeit: 3 min

Sina Ataeian Dena, Moderator Thomas Lochte, Behrooz Karamizade und Arman T. Riahi (von links) diskutieren über die Kunstfreiheit in Iran. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Iranische Regisseure gehen im Gautinger Kino bei einer Podiumsdiskussion hart mit den Machthabern in ihrer Heimat ins Gericht - wortwörtlich.

Von Léonardo Kahn, Gauting

Knapp ein Jahr ist es her, dass Mahsa Amini von der Sittenpolizei wegen eines falsch sitzenden Kopftuchs umgebracht wurde. Der Fall trat eine Protestwelle los, die weit über die Grenzen Irans hinaus schwappte. Aber auch im Land selbst legte die Wut über diese Tat wochenlang das öffentliche Leben lahm. Nach Repressalien und Massenfestnahmen kehrt seit einigen Monaten wieder Ruhe ein. Aber wie es der Bevölkerung heute geht, wissen nur noch wenige. Daher kommt der Fünfseen-Filmfestival mit seinem diesjährigen Schwerpunkt gelegen, um sich wieder mit dem Land auseinanderzusetzen.

Nicht nur iranische Filme werden gezeigt, die Regisseure debattieren auch vor Ort über die Politik. Am vergangenen Wochenende hat das Gautinger Kino zu einer Podiumsdiskussion geladen, wo die Filmemacher ihre Sicht der Dinge mit dem Publikum teilten. In den Sesseln saßen drei iranstämmige Regisseure und der Moderator, weshalb sich einer der Männer einen Seitenhieb nicht verkneifen konnte. "Gut, dass hier vier Männer sitzen, um über Frauenrechte zu debattieren", witzelte Sina Ataeian Dena. Der einzige weibliche Gesprächsgast, Narges Kahlor, musste kurzfristig absagen.

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Nichtsdestotrotz schwang in der Diskussion stets eine Bewunderung für die Frauen mit, die im vergangenen Herbst ihr Kopftuch abstreiften und dabei einen Systemwandel in Gang setzten. Selbst bekennende Pessimisten wie Sina Ataeian Dena sehen inzwischen "Licht am Ende des Tunnels". "Heute noch laufen junge Frauen mit offenen Haaren durch Teheran, das wäre vor einigen Jahren undenkbar gewesen", sagte der 39-jährige Iraner. Frauenbewegungen seien zwar stets im Zentrum progressiver Entwicklungen in Iran gewesen, aber nur selten haben Protestwellen einen so nachhaltigen Einfluss auf die Gesellschaft ausgeübt.

Die Panelgäste warnten aber auch davor, sich nicht allzu sehr auf das Kopftuch zu fokussieren, das lediglich ein "Symbol" sei. Der deutsch-iranische Regisseur Behrooz Karamizade sagte, es sei "das kleinste Problem" der Iranerinnen. Andererseits fußt auch das fundamentalistische Regime auf die Kopftuchpflicht, weshalb die Frauen hoffen, sie könnten mit der Verweigerung den Mullahs die Herrschaftslegitimität unter den Füßen wegziehen. Ein Widerspruch?

"Die iranischen Gesellschaft ist vielschichtig und komplex", so Karamizade. Das will er mit seinen Spielfilmen wie Leere Netze zeigen, denn die Deutschen müssten sich ihm zufolge mehr mit Iran befassen. Deutschland und Österreich sind wichtige Wirtschaftspartner und könnten höheren außenpolitischen Druck ausüben. "Sanktionen können wie Skalpelle sein, die das Regime punktgenau da treffen, wo es am meisten wehtut, ohne die Bevölkerung zu verarmen", sagte der iranstämmige Wiener Arman T. Riahi. Kritik an den Sanktionen gegen Iran bezeichneten die Regisseure als Propaganda.

Filmfestivals bieten die Gelegenheit, mit Werken aus anderen Kulturen in Berührung zu kommen

Doch Arman T. Riahi, Behrooz Karamizade und Sina Ataeian Dena sind weder Außenpolitiker noch Wirtschaftsberater. Sie sind Regisseure, die mit ihren Filmen Fragen aufwerfen und über Missstände informieren. Selbst wenn die Projekte im Ausland entstehen und dort in den Kinos laufen, werden die Künstler vom Regime verfolgt. Gegen Sina Ataeian Dena neusten Dokumentarfilm "Sieben Winter in Teheran" wurden mehrere Beschwerden eingereicht. "Sie sind dumm", brummte der Filmemacher durch seinen Bart, "würden sie wenigstens bei einer Beschwerde bleiben, könnten sie vielleicht auch erfolgreich gegen uns klagen." Stattdessen erreichen das Filmteam unzählige Drohungen, die in ihrer Absurdität nicht zu übertreffen seien. "Sie versuchen, uns nur vom Filmen abzuhalten", sagt Ataeian Dena.

"Aus einer westlichen Perspektive heraus kann man nur schwer Propaganda-Filme von regierungskritischen Filmen unterscheiden", sagt Regisseur Sina Ataeian Dena. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Doku dreht sich um den Prozess von Reyhaneh Jabbari, die 2014 hingerichtet wurde, nachdem sie ihren Vergewaltiger aus Notwehr erstochen hatte. Ähnlich wie bei Mahsa Amini sorgte der Fall international für Entsetzen. Sina Ataeian Dena, der das Drehbuch für den Film geschrieben hat, steht im engen Austausch mit der Familie Jabbari. Die Angehörigen stimmten dem Dreh nicht nur zu, sie wirkten auch als Protagonisten mit. "Stellen Sie sich vor: Uns hat tatsächlich eine Beschwerde erreicht, dass wir die Persönlichkeitsrechte der Familie verletzt hätten", erzählte Sina Ataeian Dena. "Es ist lächerlich!"

Die Filme aus Iran werden bei dem Festival gut besucht. Zu den Besuchern zählen Menschen aus dem Fünfseenland ebenso, wie gebürtige Iraner, die spontan in der Podiumsdiskussion als Dolmetscher fungierten. Eine von ihnen, Fatemeh Rajabi, ist sogar extra aus München angereist. "Ich bin enttäuscht, dass so wenige Iraner hier sind", sagte sie. Ihre Augen sind noch sichtlich rot von der Doku. "Ich habe eine 20-jährige Tochter, ich trage den Schmerz der Mutter in mir", sagt Rajabi. "Es ist, als wäre ich selbst hingerichtet worden."

Der Film "Sieben Winter in Teheran" ist eine jener Geschichten, wo von Anfang an klar ist, wie sie ausgeht. Das macht das Ende jedoch nicht einfacher, ganz am Gegenteil. Auch deshalb sind Länderschwerpunkte in Filmfestivals von großem Wert: So können Besucher Filme entdecken, von denen sie unter anderen Umständen nie gehört hätten.

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