Rezension:Fernweh nach dem Ammersee

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"Ich empfinde den Ammersee als ein Juwel mit Verführungskraft", schreibt Carmen Rohrbach in ihrem neuen Buch. (Foto: Johannes Simon)

Als Reiseautorin hat Carmen Rohrbach ihre Leser nach Jemen, Patagonien und Namibia entführt. Doch Corona hat ihr Reisebudget schrumpfen lassen. Für ihr neues Buch hat sie deshalb eine Entdeckungsreise in ihre direkte Nachbarschaft unternommen.

Von Armin Greune, Schondorf

Als Biologin forschte sie ein Jahr lang auf einer winzigen, unbewohnten Galapagos-Insel über Meerechsen. Als Reiseautorin wanderte Carmen Rohrbach auf dem Jakobsweg und quer über Island, sie folgte Isar und Donau. Ihre Vorträge und Bücher entführen das Publikum meist in entlegene Gegenden: Jemen, Patagonien, Namibia oder in die kanadischen Rocky Mountains. Ihr jüngstes Werk aber widmet sie ihrer Wahlheimat: "Mein Ammersee - Kraftquelle und Naturparadies" ist gerade im Malik-Verlag erschienen.

Das Buch verdankt seine Entstehung vor allem der Pandemie, die Rohrbachs Reisebegeisterung plötzlich enge Grenzen setzte. "Als Corona anfing, hatte ich schon fast das Flugticket in der Hand", sagt sie. Im Juli 2020 wollte sie nach Kamtschatka, der russischen Halbinsel im Nordpazifik, aufbrechen. Nicht nur diesen Plan muss sie nun auf unbestimmte Zeit verschieben - auch die meisten alternativen Ziele bleiben für sie vorerst unerreichbar: "In den nächsten zwei, drei Jahren sind mir Fernreisen aus finanziellen Gründen nicht möglich", sagt die Schondorferin. Ihre Rücklagen reichten für monatelange, aufwendige Exkursionen nicht mehr aus, weil fast alle Vorträge abgesagt wurden und zudem der Verkauf ihrer Bücher einbrach.

Macht erst einmal keine Fernreisen mehr: die Biologin und Reiseschriftstellerin Carmen Rohrbach. (Foto: Arlet Ulfers)

Ein Glücksfall sei freilich, dass ihr eine Gegend zur Heimat geworden ist, in der sie ihre Entdeckerlust auch mit dem Rad oder zu Fuß von zu Haus aus stillen kann: "Ich empfinde den Ammersee als ein Juwel mit Verführungskraft, dem ich mich immer wieder voller Begeisterung widme", heißt es im Vorwort des neuem Buchs. Bewusst habe sie sich ihr Domizil aber nicht ausgesucht: Als Rohrbach nach zwei Jahren Haft wegen gescheiterter "Republikflucht" aus der DDR freigekauft wurde, musste sie im Auffanglager spontan entscheiden, in welchem Bundesland sie künftig leben wollte - von denen sie keines kannte. Die Wahl der Biologin fiel schließlich auf "das Bundesland, in dem sich das Institut von Konrad Lorenz befindet". Tatsächlich fand sie kurz darauf in Seewiesen eine Anstellung und wohnte zunächst in Starnberg. Ob es Zufall oder Fügung war, dass sie als junge Erwachsene ins Fünfseenland geriet - "aus der Rückschau gesehen hätte ich es nicht besser treffen können," findet Rohrbach heute. Seit vielen Jahren liegt ihr Heimathafen nun in Schondorf.

Das Buch ist eine Liebeserklärung an die Gegend zwischen Stegen und Raisting

Man spürt es: Ihr Ammerseebuch ist eine Liebeserklärung an den Lebens-, Natur- und Kulturraum zwischen Stegen und Raisting, Schondorf und Andechs geworden. Zur Einführung dient eine Radtour im Mai um den See. Wer die Route kennt, bemerkt, dass die Autorin auf der Fahrt von Raisting den Durchschlupf an der Ammer unter der Birkenallee verfehlt hat. So musste sie lange warten, bis sie die Staatsstraße überqueren konnte - genau wie es an jedem Wochenende zig Radlern ergeht.

Im zweiten Teil stellt Rohrbach einzelne Orte am See oder im nahen Hinterland vor und erzählt aus deren reichhaltiger Historie. Unter dem Titel "Im Wandel der Jahreszeiten" folgen kenntnisreiche Naturbeobachtungen. Der vierte und abschließende Abschnitt des Buchs trägt die Überschrift "Traditionen, Begebenheiten und Begegnungen". Darin schildert die Autorin, wie sie etwa das Dießener Fischerstechen oder den Raistinger Betteltanz besucht. Und sie spürt der Geschichte der Ammerseeschifffahrt, der Keltenschanze oder des Schacky-Parks nach.

In Dießen spürt Rohrbach der Geschichte des Fischerstechens nach. (Foto: Carmen Rohrbach/oh)

Vor allem aber vermag Rohrbach ihre Begegnungen mit Rehen, Hasen, Gänsesägern oder Silberreihern so plastisch und enthusiastisch wiederzugeben, dass ihr Forscher- und Entdeckungsgeist auf die Leser überspringt: Sie werden animiert, selbständig und mit offenen Augen auf Erkundungstour in der nahen Natur zu gehen. Es gilt die kleinen Sensationen aufzuspüren, wie etwa seltene Sturm- und Mittelmeermöven im Schwarm der allgegenwärtigen Lachmöven. Auch vor der eigenen Haustür warten "Wildlife-Adventures", wie sie die Autorin etwa beim Aufpäppeln einer verletzten Spitzmaus erlebt. Eine weitere Stärke Rohrbachs ist die Fähigkeit, auf Menschen unbefangen zuzugehen: Sie findet ebenso rasch Kontakt zu einem Naturvolk auf einer entlegenen Philippineninsel oder einem mongolischen Kamelhirten wie zur ehemaligen Schrankenwärterin des Bahnhofs St. Ottilien. Von dieser Weltenbummlerin lässt sich also abgucken, wie man die Neugier aus der Kindheit bewahrt: Damit kann man sich Jugendlichkeit und Lebensfreude erhalten.

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