Entwickelt für München:Computer und E-Auto: Olympia 1972 bewirkt Innovationsschub

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Modernste Technik anno 1972: An allen Wettkampfstätten standen sogenannte Dialogfernschreiber (im Bild), mit denen die Ergebnisse in ein Rechenzentrum übermittelt und anschließend in alle Welt verbreitet wurden. (Foto: Siemens Historical Institute)

BMW wagt sich an sein erstes Elektroauto. Und Siemens entwickelt ein revolutionäres, vernetztes Computersystem - eine Art Olympia-Internet. Was damals aber nicht jeder zu schätzen weiß.

Von Helmut Martin-Jung

Zu der Zeit, als Rechenanlagen noch riesig waren wie Schränke, Daten auf großen Bändern gespeichert wurden und Siemens Endgeräte in die USA verkaufte, arbeiteten Hunderte Computerexperten daran, einen ganz besonderen Rekord aufzustellen. Einen olympischen sozusagen. Sie sollten "nicht nur das größte und am weitesten verzweigte, sondern auch das schnellste Datenfernverarbeitungssystem" aufbauen, "das je bei einer Sportveranstaltung eingesetzt wurde", wie sich Siemens in einer Broschüre begeisterte. Es war die Zeit um die Wende zu den 1970er-Jahren, München war als Austragungsort der Olympischen Spiele auserkoren worden.

Und Siemens fuhr so ziemlich alles auf, was die Technik damals hergab: Fünf Großrechner, die an zwei Standorten vor sich hin summten und mit etwa 15 000 Kilometern Leitungen sowie 48 Fernschreibern verbunden wurden; dazu kamen 50 Drucker und 100 Bildschirme. Ein gigantisches Unterfangen, wenn man bedenkt, dass zur damaligen Zeit der Vorläufer des heutigen Internets, das Arpanet, noch nicht mehr war als ein größeres Forschungsprojekt. Was wir heute als "das Internet" bezeichnen, ist ja im Grunde nur ein Teil davon, das World Wide Web. Und das entstand erst 1989 als Projekt am Teilchenforschungszentrum Cern in Genf; von Mitte der 1990er-Jahre an nahm es dann richtig Fahrt auf.

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In München gelten 1972 schon 13 Zeichen pro Sekunde als Highspeed

Im Internet sucht man heute mit Google, die (Live-)Bilder vom Urlaub stellt man auf Instagram oder in die Whatsapp-Gruppe, sogar die Übertragung von Videos läuft bei einer halbwegs guten Internetverbindung rasend schnell. Zu Zeiten von Olympia in München galten schon die 13 Zeichen pro Sekunde als Highspeed, mit denen die Informationen aus dem Zentralcomputer über Standleitungen an die Fernschreiber übertragen wurden.

Es war eine Zeit, in der deutsche Unternehmen vorne dabei waren, wenn es um Informationstechnologie ging. Oder wie man hierzulande sagte: elektronische Datenverarbeitung, kurz EDV. Bill Gates, der spätere Microsoft-Gründer, ging noch zur Schule, als sich 1972 fünf Männer zusammentaten, um Computer-Software zu entwickeln, die sich via Eingaben per Bildschirm und Tastatur steuern ließ - damals eine Neuheit. Das Quintett hatte dafür den Arbeitgeber IBM verlassen, der nicht hatte sehen wollen, welches Potenzial in der Neuentwicklung steckte. Aus der zunächst recht bescheidenen Gründung wurde SAP, ein Software-Gigant, der weltweit mehr als 100 000 Menschen beschäftigt und heute das wertvollste Unternehmen Deutschlands ist.

Schon lange vor den Spielen hatten bei Siemens die Vorarbeiten begonnen für etwas, das damals, vor 50 Jahren, manchen wie ein Wunder vorgekommen sein muss. Für die Olympischen Spiele und ihre 31 Sportstätten zwischen München und Kiel entwickelte der Konzern ein für die damalige Zeit hochmodernes Informationssystem - eine Art Olympia-Internet. Die Offiziellen, die Berichterstatter und auch das Publikum sollten stets auf dem Laufenden sein.

Drei der schrankgroßen Rechenanlagen vom Typ 4004/45 waren dafür im Rechenzentrum des Olympiastadions im Einsatz, dazu jede Menge Zusatzgeräte wie Speichersysteme und Datensichtgeräte - so nannten die Ingenieure die natürlich nur monochromen Computer-Monitore. Zwei weitere Großrechner standen bei Siemens in Neuperlach. Die Rechner waren Standardware, wie sie auch in anderen Firmen zum Einsatz kamen. Eigens entwickelt wurde allerdings ein Teil der Software.

300 Seiten Aufgabenbeschreibung für die Erstellung der Datenbank

Akribische Kleinarbeit: Fleißige Rechercheure trichtern dem Computersystem vor den Spielen alle möglichen Daten ein. (Foto: Siemens Historical Institute)

Besonders stolz war man auf eine gewaltige Datenbank, die Daten enthielt zu den 9000 aktiven Sportlern, den 6000 Betreuern, Trainern, Ärzten und nicht zuletzt den Ehrengästen. Bei den Sportlern ging es nicht bloß um Namen, Alter und Sportart, sondern auch um ihre bisherigen Leistungen bis hin zu Hobbys, Familienstand samt Zahl und Geschlecht der Kinder.

Dem unter dem Namen Golem bekannt gewordenen Computersystem trichterten fleißige Rechercheure, Programmierer, Techniker und Dolmetscher in akribischer Kleinarbeit auch die Regeln aller 196 Disziplinen ein, alle auch auf Englisch, manche dazu in Französisch. Erfasst wurden zudem alle Sieger und Platzierten sämtlicher Olympischen Spiele seit 1896, bis zum sechsten Rang. Allein die Aufgabenstellung für die 20 Mitarbeiter, die neun Monate daran werkelten, war 3000 Seiten dick.

Musste das wirklich sein? Nicht jeder war überzeugt: "In einem Buch von der Art der Bibel auf Dünndruckpapier wären diese Daten sicherlich bequem unterzubringen", wunderte sich der Journalist Erwin Lausch in der Zeit 1971, "und wer wirklich auf sie angewiesen ist, hätte sie ein für allemal schwarz auf weiß."

Gedruckt wurde ohnehin jede Menge. In vielen Zeitungen wurden die Seiten noch im Bleisatz hergestellt - also mit Buchstaben aus Blei, die von Setzern zusammengefügt wurden. Manuskripte schrieben die Redakteure auf Papier, sie wurden handschriftlich redigiert und dann den Setzern gegeben. Da hätte es wenig gebracht, wenn die Sportreporter Ergebnisse auf einem Bildschirm hätten abrufen können. Die Datensichtgeräte dienten vor allem der schnellen Information, um etwas nachzuschlagen. Bedient wurden sie von Hostessen, die halfen, die Anfragen an das System korrekt zu stellen.

Es fährt und fährt und fährt: Der ehemalige Vorstandschef Norbert Reithofer führt den originalen Elektro-BMW 1602 von 1972 auch in diesem Jahrtausend noch stolz vor, hier bei der Internationalen Automobil-Ausstellung 2011. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Neues System ermöglichte Schlussberichts-Vorlage am letzten Tag

Was die Kritiker nicht so recht verstanden, war die Geschwindigkeit, die das neue System ermöglichte. Die Ergebnisse, die die Kampfrichter eingaben, automatische Messungen etwa aus dem Schwimmstadion sowie andere Meldungen flossen sofort ein ins zentrale System und konnten dann zügig per Fernschreiber weitergegeben werden an die Organisatoren, die Anzeigetafeln in den Sportstätten und natürlich auch an die Journalisten im Pressezentrum.

Auch ob es einen neuen Rekord gegeben hatte, musste nicht erst aufwendig mit Listen abgeglichen werden - der Computer war schon im Bilde und meldete das. Nach den Wettkämpfen in Tokio 1964 hatte es noch zwei Jahre gedauert, bis die offizielle Schlusszusammenfassung vorlag. In München wurde sie den Offiziellen am letzten Tag der Spiele überreicht.

Nicht nur Siemens, auch der Autobauer BMW hatte sich für Olympia ins Zeug gelegt. Als Begleitfahrzeug für den Marathonlauf entwickelten die Ingenieure der Münchner eine E-Version des Modells 1602. Die war zwar im Vergleich zur sportlichen Benziner-Version eine lahme Ente, dafür aber blies sie den Teilnehmern des Marathonlaufs keine Abgase ins Gesicht. Länger als einen Marathon hätten die Batterien - in Reihe geschaltete Blei-Akkus - auch kaum gehalten. Von dem Auto wurden nur zwei Stück gebaut, eines hat man erst vor einigen Jahren mit großem Aufwand restauriert- es fährt immer noch.

Mit dem Olympia-Wagen startete die jahrzehntelange Forschung am Elektroantrieb bei BMW. Die Münchner probierten etliche Batterietechnologien aus, von Blei-Akkus über Natrium-Schwefel-Energiespeicher, bis sie schließlich da landeten, wo heute alle sind: bei Lithium-Ionen-Akkus, die man auch aus Handys kennt. Das erste Elektroauto, das in Serie ging, war der Kleinwagen i3: Dessen Produktion wurde vor Kurzem eingestellt.

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