Oktoberfest:Auf der Wiesn bandeln sogar Politiker miteinander an

Lesezeit: 5 min

Einige müssen sich annähern, andere wollen sich annähern: Beim Anstich im Bierzelt kann man Wahlkämpfer verschiedener Parteien beobachten - zaghaft, frotzelnd und quietschfröhlich.

Von Isabel Bernstein, Heiner Effern und Kassian Stroh

Sogar das Protokoll hat diesmal die Seiten gewechselt. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kommen nach dem Anzapfen von ungewohnter rechter Seite die Treppe zur Empore hinauf. Oben am Balkon im Schottenhamel strahlen sie dann pflichtschuldigst nebeneinander in die Kameras, auch das ist neu. Nicht das Posieren, sondern das Personal, die CSU hat bekanntlich seit dem letzten Anstich den Regierungschef ausgetauscht.

Ein Termin eigentlich wie gemacht für den Inszenierungs- und Selfie-König Söder, Fröhlich soll es aussehen, locker, das bekommen die beiden auch einigermaßen hin. Doch wenn der Ministerpräsident und der Oberbürgermeister nur einen kurzen Augenblick an das große Thema beim diesjährigen Aufmarsch der Politprominenz zum Oktoberfeststart denken, dürfte ihnen zumindest innerlich das Lachen vergehen. In drei Wochen ist Landtagswahl, und die letzten Umfragen waren für CSU und SPD so niederschmetternd, dass bald in Bayern nichts mehr so sein könnte, wie es schon immer war.

01:57

Eröffnung des 185. Oktoberfests
:Jährlich grüßt das Muskeltier

Nach Gerhard Schröders Blitzbesuch im Schottenhamel-Zelt, taucht Arnold Schwarzenegger im Marstall-Zelt auf. Die ersten Zelte sind am frühen Nachmittag dicht. Der erste Wiesntag in der Nachlese.

Da heißt es Präsenz zeigen und Kampfgeist ausstrahlen. Die Münchner CSU hat aufgefahren, was im Landtagswahlkampf geht. Chef Ludwig Spaenle ist da, und ungewöhnlich schnell wieder weg. In der Mitte des Balkons haben sich Digitalminister Georg Eisenreich und CSU-Generalsekretär Markus Blume nebeneinander auf eine Bierbank gezwängt. So nah dürften sich die beiden nicht gerade als befreundet geltenden Platzhirsche selten kommen. Gegenüber sitzt ein Gast, der in der auch nicht gerade euphorischen Schwesterpartei CDU als Hoffnungsträger gilt, für die Zeit nach Merkel und Seehofer: Gesundheitsminister Jens Spahn. Die ganze Woche war er auf Wahlkampf in Bayern unterwegs, das Oktoberfest ist da jetzt ein "gutes Finale". Auf der Wiesn war er bereits "fünf- oder sechsmal", aber heuer das erste Mal als Minister. Was er trinkt? "Nur alkoholfrei", er sei schließlich Gesundheitsminister. Ob das in Bayern ankommt?

Immerhin kommt der als sehr konservativ geltende Spahn bei der CSU an. Das können derzeit nur ganz wenige von sich sagen, die in Berlin regieren. Der Unmut schlägt ihnen aus CSU und SPD entgegen. Die anderen Parteien bräuchten sich doch nur zurückzulehnen und zusehen, wie ihnen CSU/CDU und SPD die Wähler in Scharen zutrieben, sagt ein einflussreicher Münchner Politiker. So muss man es formulieren, denn ein Wiesn-Gesetz gilt immer noch: Wenn einer etwas Wesentliches zur Politik sagt, dann nicht so ganz offiziell. CSU-Generalsekretär Blume jedenfalls übt sich in offiziellem Optimismus. Die Horrorprognosen über drei, wenn nicht sogar vier Direktmandate, die seine Partei in München dem Gegner überlassen müsse, mag er nicht so recht glauben. Und fürs Land gelte: "Ein Vierer" sollte schon vorne dran sein beim Ergebnis. Also 40 Prozent plus.

Ein paar Tische weiter sitzen Reiters SPD-Parteifreunde, die bei der letzten Umfrage nicht einmal mehr einen Vierer an zweiter Stelle geschafft haben, sprich 14 Prozent. Auch der OB hat jedoch, wie soll es anders sein auf dem Oktoberfest, wenig Vertrauen zu Wasserstandsmeldungen. Er geht davon aus, dass die letzte Mass vor der Wahl noch nicht getrunken ist. Also dass es nicht ganz so schlimm kommt, wie befürchtet. Allerdings räumt er ein, dass da schon auch eine Portion Hoffnung dabei sei. An seiner Unterstützung soll es nicht fehlen, für ein schönes Fotos kuschelt er sich mit SPD-Spitzenkandidatin und Landeschefin Natascha Kohnen eng zusammen. Auf dass von seiner Popularität etwas abstrahle auf die Bayern-SPD.

Nach dem jüngsten Polittheater in Berlin um die Entlassung des Geheimdienstchefs Hans-Georg Maßen habe es ihr gereicht, sagt Kohnen, zu viel habe sie von diesen Wahlkampf-Rohrkrepierern hinnehmen müssen. Da sei ihr SPD-Parteichefin Andrea Nahles diese Woche zum richtigen Zeitpunkt in München über den Weg gelaufen. Wie sie dabei die Fäuste schwingt, lässt erahnen, dass sie auch intern die Wut der SPD-ler in Bayern über den mittlerweile aufgekündigten Deal in Berlin deutlich gemacht hat. Und dass sie kein Wort bereut. "Ich bin mit mir im Reinen." Lange kann sie das auf der Wiesn nicht ausleben, sie muss machen, was man halt so tut, wenn alles gegen eine läuft: Raus und um jede Stimme kämpfen.

Plötzlich ist Alt-Kanzler Gerhard Schröder auf der Empore

Dabei hatte sich einer eingeschlichen, der weiß, wie man als SPD-Spitzenkandidat Wahlen gewinnt: Alt-Kanzler Gerhard Schröder. Sein Auftritt lässt aber erahnen, dass man sich nicht mehr viel zu sagen hat. Seine bayerischen Parteifreunde, so er sie denn kennt, würdigt er keines Blickes. Um fünf vor zwölf taucht er plötzlich mit seiner Frau Kim So-yeon auf und setzt sich an einen der besten Tische. Schnell springt noch Spitzenkoch Alfons Schuhbeck fürs Foto mit dazu. Dann fließt auch schon das Bier aus dem frisch angezapften Fass, Schröder erklärt seiner Frau noch fix, was sich da unten überhaupt abspielt - und zack. Abmarsch. Wieder vorbei am Tisch der SPD-Leute. Nur die bayerische Spitzenkandidatin Natascha Kohnen stellt sich ihm noch für ein schnelles Foto in den Weg. Aber wer hat Schröder überhaupt zur Wiesn-Eröffnung eingeladen? "Ich mich selber", sagt der 74-Jährige. Es war übrigens sein erster Besuch auf der Wiesn. Ein sehr kurzer womöglich. Das Schottenhamel-Zelt hat er um fünf nach zwölf schon wieder verlassen.

Wenn er gleich rechts die Treppe runter ist, kam er am Alternativprogramm zum Treffen von Umfrage-Not und -Elend vorbei. Zum linken, wohlgemerkt. Gleich vorne am Aufgang sitzen die Grünen, die Stimmung ist blendend. So einen Wahlkampf, so viel Zuspruch - das habe man noch nie erlebt, sagen sie. Die Bundesvorsitzende Annalena Baerbock ist gekommen, Claudia Roth sowieso. Beide im Dirndl. Begeistert begrüßt werden die Spitzenkandidaten, Katharina Schulze und Ludwig Hartmann. Und wer immer von den CSU-Granden hier vorbeikommt, bleibt stehen für einen kurzen Smalltalk.

Ministerpräsident Söder zum Beispiel: Er erinnert sich an eine TV-Runde mit Roth: Zehn Punkte wurden abgefragt, zehn völlig unterschiedliche Meinungen. "Aber wir haben uns trotzdem gut verstanden", sagt er. Auch Wirtschaftsminister Franz-Josef Pschierer hält beim Heimgehen inne, blickt auf die Hendl der Grünen und frotzelt: "Das ist aber auch nicht die vegane Variante." Das sei Tofu, entgegnet Grünen-Landeschef Eike Hallitzky. Nein, an diesen Personen würde Schwarz-Grün eher nicht scheitern.

Aber an der FDP, womöglich in einer Dreierkoalition mit den Freien Wählern und der CSU? Dort macht man sich ja auch schon Gedanken, wie es weitergeht nach dem 14. Oktober. Über mögliche Minister wird hier wie dort gesprochen, über die Vergabe anderer Posten, über die thematischen und organisatorischen Vorbereitungen möglicher Koalitionsverhandlungen. Und nicht zuletzt über die Frage, ob es manchen Grünen nicht innerlich zerrisse, müsste er einen CSUler zum Regierungschef wählen, am Ende Markus Söder gar. Sie habe Angst vor dieser Debatte, bekennt eine Münchner Grüne.

Oktoberfest 2018
:Die Gier nach dem ersten Bier

Die Stimmung in den Zelten ist ausgelassen und die ersten Promis sind längst da. Der erste Wiesn-Tag in Bildern.

Diese Sorge macht sich ein ganz anderer Politpromi nicht. Völlig entspannt und weitgehend unbemerkt gönnt sich Gregor Gysi von der Linken eine Mass. Er ist zum ersten Mal auf der Wiesn, findet dieses Musikmachen und Mitsingen ganz fantastisch und wundert sich über manches. Wahrscheinlich auch über die letzten Umfragewerte seiner bayerischen Linken, die erstmals den Einzug in den Landtag geschafft hätten. In Bayern. "Wenn wir das schaffen, verändern wir die Welt." Was ihn aber gerade auch beschäftigt: Ob denn die Gäste wirklich bis zehn Uhr abends blieben? Unten vielleicht schon, oben auf dem Balkon sind viele nach zwei Stunden schon wieder weg. Ab ins richtige Leben, Wahlkampf machen.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: