Gedenken an Oktoberfest-Attentat:"Statt genau hinzuschauen, wurde sich oftmals abgewandt"

Lesezeit: 3 min

Robert Höckmayer verlor zwei Geschwister durch das Oktoberfest-Attentat. (Foto: Catherina Hess)

Beim Anschlag von 1980 starben zwölf unbeteiligte Menschen, darunter auch die zwei Geschwister von Robert Höckmayr. Er selbst wurde wie Hunderte weitere Opfer schwer verletzt. Seither kämpft er - mit den Folgen der Tat und mit den Behörden.

Von Martin Bernstein

"Ich werde weiter für meine Rechte aufstehen", sagt Robert Höckmayr, 55, "damit das anderen in Zukunft erspart bleibt". Höckmayr war zwölf Jahre alt, als am 26. September 1980 um 22.19 Uhr die von einem Neonazi in einem Papierkorb versteckte Bombe neben ihm explodierte, direkt am Haupteingang des Oktoberfests. Dort, wo Höckmayr an diesem Dienstagmorgen steht und spricht. Zwei seiner Geschwister wurden getötet. Mehr als 40 Mal wurde Höckmayr operiert. Seine Rechte musste er vor Gericht erstreiten. Gerade hat er eine weitere Klage auf Entschädigungszahlungen eingereicht. Und dann ist da noch die Sache mit dem Behindertenschild fürs Auto: Nicht nötig, habe das Versorgungsamt befunden.

Die Metallstelen des neuen Mahnmals am Haupteingang zum Oktoberfest stehen für "Hunderte Menschen und Schicksale, die von diesem Attentat für ihr weiteres Leben gezeichnet wurden". Hunderte Menschen, die zusammen mit ihren Familien, ihren Freundinnen und Freunden oft allein gelassen worden seien mit ihren Kämpfen um Anerkennung und Unterstützung. Das macht die Münchner DGB-Jugend deutlich, die jedes Jahr am 26. September eine Gedenkfeier für die Opfer des rechtsextremen Terroranschlags veranstaltet.

Oktoberfest 2023
:Die Suche nach der Bombe, die hoffentlich nie da ist

Jeden Morgen durchkämmen mehrere Teams der Münchner Polizei die Festzelte auf der Wiesn. Ihre Begleiter sind hoch spezialisierte Sprengstoff-Spürhunde. Warum man den Aufwand betreibt.

Von Martin Bernstein

Zusammen mit Höckmayr erinnern die Münchner Opferberatungsstelle "Before" und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) an den langen Leidensweg der Überlebenden und Hinterbliebenen. Mehr als 200 Menschen sind zur Gedenkfeier gekommen. Als der zwölf ermordeten Menschen gedacht wird, halten Teilnehmer Schilder mit den Namen der Getöteten in die Höhe. Auch die Namen Ignaz und Ilona sind zu lesen - Robert Höckmayrs kleine Geschwister.

Das Oktoberfest-Attentat mit mehr als 220 zum Teil schwer verletzten Opfern sei "Teil einer traurigen, einer erschreckenden Kontinuität von rechtem Terror in der Bundesrepublik Deutschland", sagt Matthias Schmidt-Sembdner im Namen von "Before". In keiner anderen deutschen Stadt hat rechter Terror nach 1945 so viele Opfer gefordert wie in München. "Überlebende und Hinterbliebene solch menschenverachtender Taten dürfen nicht im Stich und sich selbst überlassen werden", fordert Schmidt-Sembdner.

Denn auch diese Kontinuität gibt es in München: der mörderische Brandanschlag auf eine Diskothek in der Schillerstraße - nahezu vergessen; die beiden Morde des NSU in München - von Ermittlern lange nicht als Tat von Neonazis erkannt; der Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum - drei Jahre lang als angeblicher "Amoklauf" entpolitisiert.

Das Gedenken findet am Ort des Anschlags statt: am Haupteingang des Oktoberfests. (Foto: Catherina Hess)
Blumen für die bei dem Anschlag Getöteten. (Foto: Catherina Hess)

"Before" begleitet seit Beginn der Arbeit in der Beratungsstelle vor mehr als sieben Jahren viele der Angehörigen und Überlebenden des Oktoberfest-Attentats. "Daher wissen wir, welch wichtige Verantwortung hier auch den Behörden der Daseinsfürsorge zukommt", sagt Schmidt-Sembdner. "Und welch gravierende Auswirkungen es hat, wenn dieser Verantwortung nicht oder nur unzureichend nachgekommen wird."

Höckmayr erzählt, was er ebenso wie andere Opfer von Terroranschlägen dort erlebt: mangelnde Empathie, ständig wechselnde Ansprechpartner, fehlende Kompetenz... Trotz der geleisteten Hilfen sei vieles versäumt worden, sagt Schmidt-Sembdner: "Nicht nur jahrzehntelang die Anerkennung der Tat als rechter Terror, auch Hinterbliebene und Überlebende erfuhren keine Anerkennung. Statt genau hinzuschauen und zuzuhören, wurde sich oftmals abgewandt."

Betroffene seien nicht selten von Behörden in eine Bittsteller-Rolle gedrängt worden. Immer wieder hätten sie sich - wie Robert Höckmayr - gezwungen gesehen, "sich zu rechtfertigen: warum sie therapeutische, medizinische, finanzielle oder andere Formen sozialstaatlicher Unterstützung benötigen, auf die sie einen Anspruch haben oder haben sollten". Viel zu häufig seien Hilferufe ignoriert worden, es habe sogar Schuldzuweisungen gegeben, "warum sie etwas nicht aus eigener Kraft schaffen, warum sie Jahre später immer noch auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind". Das sei "zutiefst beschämend" und ein "gesellschaftliches Armutszeugnis", so Schmidt-Sembdner.

Oktoberfest
:Mehr als sieben Millionen Besucher: München feiert Rekord-Wiesn

Bier wird dabei deutlich weniger getrunken als noch 2022, dafür war Alkoholfreies und Wasser nachgefragt. Wie der zweite Teil des Oktoberfests verlief in der Nachlese.

Auch Oberbürgermeister Reiter geht auf das Leid ein, das die Überlebenden und Hinterbliebenen erfahren haben: "fehlende Versorgung und psychologische Betreuung, mangelndes Verständnis, Erfahrungen von Ausgrenzung und Abwiegelung". Er dankt den Betroffenen, die dennoch nicht klein beigegeben, sondern ihre Stimmen erhoben hätten, und nennt sie "mutige Vorkämpferinnen und Vorkämpfer".

Es sei beeindruckend, was Überlebende und Hinterbliebene geschafft haben, betont auch der "Before"-Sprecher: "Sie haben für Anerkennung und gegen ein Vergessen gekämpft, für Aufklärung und Sichtbarkeit. Und wie wir auch heute erneut sehen können: mit Erfolgen." Sie hätten damit den Betroffenen eine Stimme gegeben: "Um rechten Terror verstehen und bekämpfen zu können, müssen diese Stimmen ernst genommen und gehört werden."

Während der Gedenkfeier bleibt der Haupteingang zum Oktoberfest gesperrt. An den Nebeneingängen stauen sich schon die Besucher. Als am Mahnmal die letzten roten Nelken niedergelegt werden, werden die Seiteneingänge geöffnet. Lautsprecherdurchsagen begrüßen die Besucher: "Willkommen auf der Wiesn!" Die Show geht weiter.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMusiker im Bierzelt
:"Die Leute auf der Gay Wiesn scheißen sich nix und machen einfach Party"

Wie fühlt sich ein Auftritt vor dem Bierzelt-Publikum an? Ein Musiker erzählt, was er mit Wiesn-Besuchern macht, die die Bühne erklimmen, wie er den Wahnsinn aushält und welcher Tag immer der beste ist.

Von Sarah Maderer (Protokoll) und Jessy Asmus (Illustration)

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: