Prozess um Oktoberfest-Attentat:Die Bombensplitter sind noch immer in seinem Körper

Lesezeit: 4 min

Robert Höckmayr im Sozialgericht (Foto: Stephan Rumpf)

Robert Höckmayr wurde als Kind beim Oktoberfest-Anschlag schwer verletzt, er leidet bis heute enorm unter den Folgen. Weil der Freistaat seine Rente nicht erhöhen wollte, zog er vor Gericht. Nach Jahren erkämpft er sich ein minimales Plus.

Von Bernd Kastner

Sie streiten sich um gerade mal 200 Euro. Es ist der geringe Betrag, der diesen Prozess auf ganz spezielle Weise spektakulär macht. Es ist ein Prozess um die Folgen des Oktoberfest-Anschlags von 1980. Robert Höckmayr war zwölf Jahre alt, die Bombe explodierte neben ihm. Zwei seiner Geschwister wurden ermordet. Gut 40 Jahre später kämpft er um eine Erhöhung seiner Versorgungsrente, die er gemäß Opferentschädigungsgesetz vom Freistaat Bayern bekommt. Bisher sind es 283 Euro monatlich. Er hat den Freistaat verklagt, um 499 Euro zu bekommen, weil sich seine Gesundheit weiter verschlechtert habe. Vor dem Sozialgericht einigte man sich auf einen Vergleich: 360 Euro.

Der rechtsextreme Anschlag ist der folgenschwerste in der Geschichte der Bundesrepublik. Zwölf Wiesn-Besucher und der Attentäter wurden getötet, 200 Menschen verletzt. Unter ihnen Robert Höckmayr, der für sein Leben gezeichnet ist. 42 Mal wurde er operiert, noch immer sind Bombensplitter in seinem Körper. Vor fünf Jahren begann sein Rechtsstreit vor dem Sozialgericht, am Ende steht ein monatliches Plus von 77 Euro. Höckmayrs Anwalt Alexander Frey zeigt sich erfreut über die versöhnlichen Töne des Freistaats, die er bislang vermisst habe.

Entscheidend für die Rente ist der "Grad der Schädigungsfolgen", und dafür wiederum, welche gesundheitlichen Probleme auf das Attentat zurückzuführen sind. Vor Gericht wird deutlich, dass der Streit um einen bestimmten Betrag nur die vordergründige Frage ist. Das eigentliche Thema ist, wie der Staat mit einem Menschen umgeht, dessen Jugend von einer Sekunde auf die andere beendet war.

Höckmayr sieht sich als Simulant hingestellt

Robert Höckmayr, heute 53 Jahre alt, sagt ein paar Tage vor der Verhandlung, dass er sich all die Jahre immer wieder gedemütigt gefühlt habe vom Staat, als Simulant und Lügner hingestellt, als einer, dessen Probleme weniger mit der Bombe zu tun hätten, als vielmehr mit seiner Herkunft. "Milieubedingte Einflüsse" lautete die Chiffre in einem der ersten Gutachten, da war er noch ein Kind: Sein Aufwachsen im Hasenbergl soll verantwortlich gewesen sein für Probleme, nicht die Bombe. Er habe sich all die Jahre vom Staat und dessen Beamten "nicht als Mensch, sondern als Kostenfaktor" wahrgenommen gefühlt. Anwalt Frey nennt es vor Gericht "schofel und erbärmlich", wie der Staat gehandelt habe.

In einem seiner Schriftsätze skizziert der Anwalt, wie der Anschlag das Leben Höckmayrs bis heute prägt. Er meide aufgrund seiner Ängste größere Menschenmengen, gehe nicht in Konzerte, nicht ins Kino, nicht auf Märkte. Er meide öffentliche Verkehrsmittel und auch Schwimmbäder, weil er sich schämen würde angesichts der Narben am Körper. "Er fährt nicht mit dem Aufzug, hat oft Angst in geschlossenen Räumen." Nach dem Attentat habe sein Mandant keinen Sport mehr machen können. "Er verlor alle seine Freunde", er habe "das Gefühl, nicht dazuzugehören".

Zwölf Wiesn-Besucher und der Attentäter wurden 1980 bei dem Anschlag getötet, 200 Menschen verletzt. (Foto: Frank Leonhardt/dpa)

An den Beinen und im Rücken habe Höckmayr ständig Schmerzen, er könne nur kurze Strecken gehen, sei schnell erschöpft, seine Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt. Die Bombe habe auch den Berufswunsch Höckmayrs zunichtegemacht. Zu Feuerwehr, Polizei oder Bundeswehr habe er gehen wollen, seine körperlichen Gebrechen hätte das unmöglich gemacht. Und noch etwas belaste Höckmayr schwer: Die fehlende Unterstützung des Staates bei der Beschaffung von Hilfsmitteln, die jahrelange Auseinandersetzung mit dem Freistaat und das jahrzehntelange Desinteresse an der Aufklärung des Attentats. Erst nach 40 Jahren wurde es als rechtsextreme Terrortat eingestuft.

Ein früherer Richter bittet um Verzeihung

Ein Sozialrichter spielt eine ganz besondere Rolle in diesem Verfahren. Andreas Knipping hatte 2003, auch da befasste sich das Sozialgericht schon mit dem Höckmayrs Schicksal, abzuwiegeln versucht und zum Ende des Rechtsstreits geraten. Ein medizinisches Gutachten halte er für "wenig sinnvoll", es bringe nichts, nur lästige Untersuchungen. 14 Jahre später schrieb dieser Richter einen Brief an Höckmayr - und bat um Entschuldigung. Sein damaliges Abraten von einer psychiatrischen Begutachtung sei "aus heutiger Sicht eine Fehleinschätzung gewesen". Inzwischen sei die Forschung weiter und man wisse um die lebenslangen Folgen von traumatisierenden Ereignissen.

Deshalb habe er, der Richter, nun vier fachmedizinische Gutachten über den Gesundheitszustand Höckmayrs in Auftrag gegeben. Abschließend schrieb Richter Knipping: "Ich möchte (...) die Defizite der Verwaltung und meine eigene seinerzeitige Unsensibilität nach besten Kräften ausgleichen und bitte Sie für mein Verhalten im damaligen Verfahren um Verständnis und Verzeihung." Das war 2017, inzwischen ist Richter Knipping pensioniert.

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Der am Freitag beendete Prozess ist das jüngste Kapitel in einer langen Reihe von Versuchen Höckmayrs, vom Staat eine Art von Ausgleich für das Erlittene zu bekommen. Es war Richter Knipping, der 2018 die vielen Anträge an die Versorgungsbehörde auflistete, mit denen Höckmayr eine höhere Rente erreichen wollte. Fast immer vergeblich. Man kommt beim Zählen auf mindestens neun Ablehnungen. In all den Jahren wurde der Grad der Schädigungsfolgen einmal erhöht, von 30 auf 50 , das war 2008.

Inzwischen ist die 45. Kammer des Gerichts zuständig, die vier jüngsten Gutachten liegen am Freitag längst vor. Die Vorsitzende Richterin referiert das bisherige Hin und Her, dabei ist viel vom "Verbescheiden" die Rede. Zwischendurch sagt sie, fast entschuldigend in Richtung Robert Höckmayr, über dessen Leben und Leiden sie spricht: "Es ist jetzt ein bisschen theoretisch." Die Richterin macht deutlich, dass ein Vergleich sinnvoll wäre. "Rein rechnerisch", wenn sie alle Schädigungen addiere, komme sie nämlich nicht auf den geforderten Grad von 70, sondern allenfalls auf 60.

Der Vertreter der zuständigen Behörde, des dem Sozialministerium unterstehenden Zentrums Bayern Familie und Soziales, erwähnt beiläufig, dass in der Vergangenheit "nicht alles optimal gelaufen" sei, manches nennt er "höchst bedauerlich". Sehr klar macht er hingegen, dass sein Entgegenkommen das Maximum sei, was sich der Freistaat vorstellen könne: "Die Versorgungsmathematik wird schon strapaziert mit dem Vergleich." Nun bekommt Robert Höckmayr 77 Euro mehr pro Monat, rückwirkend von 2015 an. "Da gibt's Zinsen", sagt die Richterin ganz am Ende, ehe sie noch lobt, dass man sich "in guter Atmosphäre" geeinigt habe.

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