Gedenken zum Oktoberfest-Attentat:234 Silhouetten, die nicht zu übersehen sind

Gedenken zum Oktoberfest-Attentat: Der Kampf gegen Rechtsextremismus müsse mit allen Kräften weitergeführt werden, sagte OB Dieter Reiter bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Oktoberfest-Attentats vor dem Haupteingang zur Festwiese.

Der Kampf gegen Rechtsextremismus müsse mit allen Kräften weitergeführt werden, sagte OB Dieter Reiter bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Oktoberfest-Attentats vor dem Haupteingang zur Festwiese.

(Foto: Stephan Rumpf)

Eine eindrucksvolle Installation erinnert die Wiesn-Besucher an den Bombenanschlag 1980. Wegschauen ist da keine Option mehr. Eindrücke von der Gedenkstunde.

Von Ulrike Heidenreich

In diesem Wiesn-Jahr ist es nicht mehr so einfach, die Gedenkstätten für das Oktoberfest-Attentat zu übersehen. Zur Rechten des Haupteingangs zur Festwiese steht vor der bekannten halbrunden Stahlwand eine bronzene Stele mit der Inschrift: "Zum Gedenken an die Opfer des Bombenanschlags vom 26. 9. 1980". Und zur Linken sieht man nun 234 lebensgroße, beleuchtete Metallsilhouetten, die sich auf engem Raum drängen. Eine neue, eindrucksvolle Dokumentation, die 2020 eingeweiht wurde und ein wenig im Abseits stand, schließlich gab es zwei Mal ja keine Wiesn. Wegsehen kann nun niemand mehr - auch wenn dies jahrzehntelang so geschehen ist.

"Der Anschlag wurde als Tat eines unpolitischen Einzeltäters eingestuft und damit quasi abgehakt", sagte Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) am Montag bei der Gedenkstunde zum 42. Jahrestag des Attentats. Am Abend des 26. September hatte eine Bombe zwölf Wiesn-Besucher - es waren Kinder, Jugendliche, Frauen, Männer - sowie den rechtsextremen Bombenleger Gundolf Köhler in den Tod gerissen. Mehr als 200 Menschen wurden verletzt. 234 Menschen insgesamt waren von dem grausamen Attentat betroffen, darum die Zahl der Silhouetten. Es war der schwerste rechtsextreme Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Tat Köhlers hatte die Bundesanwaltschaft aber erst vor zwei Jahren als rechtsterroristisch eingestuft.

Gedenken zum Oktoberfest-Attentat: Das Mahnmal steht gleich am Eingang zur Theresienwiese.

Das Mahnmal steht gleich am Eingang zur Theresienwiese.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die DGB-Jugend München, die unermüdlich über all die Jahre und all das Vergessen hinweg das Andenken wach gehalten hat, verteilte auch diesmal weiße Stoffnelken zum Anstecken und lange, rote Nelken, die die Gäste des Gedenkaktes später vor neun Kränzen rund um die Stele niederlegten. Es ist unvorstellbar, dass an diesem Ort vor 42 Jahren, während viele Anschlagsopfer in den Krankenhäusern um ihr Leben kämpften, in Windeseile aufgeräumt wurde, damit das Oktoberfest gleich am nächsten Morgen weitergehen konnte. Helfer entfernten damals Leichenteile, kehrten den Platz. Der Trichter, den die Bombe gerissen hatte, wurde schleunigst asphaltiert. Sogar der Bogen mit Tannenzweigen, der den Hauptzugang überspannt, wurde eiligst geflickt.

Die "Erinnerung ist wach", sagte Reiter zu den Überlebenden und Angehörigen der Opfer. "Wir denken heute an diejenigen, die damals hier mit einem Schlag gewaltsam aus dem Leben gerissen wurden, und die anderen, die am Leben geblieben sind, aber noch immer unter ihren schweren Verletzungen leiden oder tiefe Trauer über den Verlust geliebter Menschen empfinden." Der Kampf gegen Rechtsextremismus müsse mit allen Kräften weitergeführt werden. "Ganz wichtig ist dabei auch, rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten als solche zu erkennen und klar zu benennen", so der Oberbürgermeister.

Gedenken zum Oktoberfest-Attentat: Jim Evans war 1980 als Soldat in Deutschland stationiert. Nach dem Bummel über die Wiesn zusammen mit anderen Kameradinnen und Kameraden war er schwer verletzt worden.

Jim Evans war 1980 als Soldat in Deutschland stationiert. Nach dem Bummel über die Wiesn zusammen mit anderen Kameradinnen und Kameraden war er schwer verletzt worden.

(Foto: Stephan Rumpf)

Besonders begrüßte Reiter den ehemaligen US-Soldaten Jim Evans aus Michigan, der 1980 in Deutschland stationiert war und zusammen mit anderen Kameradinnen und Kameraden beim Attentat schwer verletzt wurde. Evans ist seither nie wieder in Deutschland gewesen, erst vor zwei Jahren nahm er Kontakt zur Stadt auf und brachte nun einen Kranz mit. In den Reihen der Überlebenden saßen auch der 54-jährige Robert Höckmayr, der zwei Geschwister bei dem Anschlag verlor, selbst schwer verletzt wurde und jahrzehntelang um Entschädigungszahlungen kämpfen musste. Oder Dimitrios Lagkadinos, der 17 Jahre alt war, als er verliebt mit seiner Freundin an jenem Mülleimer vorbeilief, in dem die Bombe versteckt war. Seine Freundin Gabi starb, ihm mussten die Beine amputiert werden.

Gedenken zum Oktoberfest-Attentat: Dimitrios Lagkadinos war 17 Jahre alt, als er an jenem Mülleimer vorbeilief, in dem die Bombe versteckt war. Seine Beine mussten amputiert werden.

Dimitrios Lagkadinos war 17 Jahre alt, als er an jenem Mülleimer vorbeilief, in dem die Bombe versteckt war. Seine Beine mussten amputiert werden.

(Foto: Stephan Rumpf)

Zur Gedenkfeier der Stadt waren viele Stadträte und Stadträtinnen gekommen, die Bürgermeisterinnen Katrin Habenschaden (Grüne) und Verena Dietl (SPD), einige Landtagsabgeordnete, Ernst Grube von der Lagergemeinschaft Dachau, Polizeipräsident Thomas Hampel, US-Generalkonsul Timothy Liston sowie Überlebende des OEZ-Attentats. Wer nicht gekommen war: Vertreter der bayerischen Staatsregierung. "Nur ein Mal war ein Bundespräsident hier, erst ein Mal ein Ministerpräsident und erst ein Mal ein Innenminister", sagte Florian Gersten von der DGB-Jugend. "Dass auch heute nicht der bayerische Ministerpräsident dabei ist, ist ein absolutes No-Go." Das nächste Ziel der Jugendorganisation: das Oktoberfest-Attentat als Unterrichtsstoff auf die bayerischen Lehrpläne zu bekommen - "als Lehrstück über rechten Terror, rechte Netzwerke und das Leid Überlebender".

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