Die Stadt und die Sicherheitskonferenz:Das Genörgel und Geschimpfe der Münchner über die Siko

Lesezeit: 3 Min.

Typisch Sicherheitskonferenz: In Münchens Innenstadt rund um den Bayerischen Hof bleibt der normale Verkehr ausgesperrt. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Was das alles kostet! Die viele Polizei! Diese Demonstrationen! Dass das Treffen ausgerechnet in einem Hotel in der Innenstadt über die Bühne geht, erzeugt Unmut. Dabei bekommt man in diesen Tagen eine Ahnung davon, wie kompliziert Weltpolitik sein kann.

Von Martin Bernstein

Nach 60 Jahren feiern Paare diamantene Hochzeit. Was aber, wenn einer der Partner das Beziehungsjubiläum vergisst? Schlimmer noch: wenn es ihm egal ist? Weil es in den 60 Jahren alles Mögliche war, aber nie die große Liebe?

München und die von der Wehrkundetagung zur MSC gereifte Sicherheitskonferenz - das war schon immer eine leidenschaftslose Vernunftehe. Vor allem ein sehr lockeres Verhältnis, zumindest aus Sicht vieler Münchnerinnen und Münchner. Dass im Herzen der Landeshauptstadt bisweilen Weltpolitik gemacht wird, dass dort - wie die einen behaupten - an der globalen Sicherheitsarchitektur geschraubt und gefeilt wird, dass in den Hinterzimmern - wie andere argwöhnen - sinistre Rüstungsgeschäfte eingefädelt werden: geschenkt. Als die Sicherheitskonferenz coronabedingt zwei Jahre lang praktisch ausfiel, also nur virtuell oder im kleinen Rahmen stattfand, bemerkte das kaum jemand.

Seit 2023 ist das Polittreffen wieder in massiver Größe zurück in der Stadt. Und mit ihm das Mitte Februar einsetzende Genörgel und Geschimpfe. Was das alles kostet! Die viele Polizei! Straßensperren! Demonstrationen!

Jedes Jahr ärgern sich etwa 150 Autobesitzer, dass ihr Wagen abgeschleppt wurde

Münchner (von der Münchnerin ließe sich wohl Ähnliches sagen) granteln bekanntlich gerne. Dass so ein Treffen von Politik und Rüstungsindustrie in einem Hotel der Münchner Innenstadt über die Bühne geht, weckt Unmut. Findet eine ähnliche Veranstaltung aber unter der Überschrift G 7 im Schloss Elmau am weit entfernten Alpenrand statt, dann ist das natürlich auch nicht recht. Was das alles kostet! Den besten Grund für schlechte Laune haben die, deren Alltag tatsächlich von der Konferenz tangiert wird - was die wenigsten sind. Etwa die jährlich etwa 150 Autobesitzer, die ihren Wagen in einer der mit 1000 Schildern schon Tage zuvor ausgewiesenen Halteverbotszonen stehen lassen.

Kein Siko ohne Demos, hier 2023 auf dem Königsplatz: Die Polizei organisiert, dass bestimmte Gruppen einander nicht begegnen. (Foto: Lorenz Mehrlich)

Wer wegen einer der mehr als 200 polizeilichen Konvoi- und Lotsenfahrten im Stau steht, grantelt dagegen mit einem gewissen Stolz. Stau ist immer ärgerlich, Stau wegen Politikern natürlich umso mehr. Wer aber wegen Macron oder gar Kamala Harris im Stau stand - der kann was erzählen. Dasselbe gilt, wenn man zufällig vor einem der 15 involvierten Hotels die Ankunft von Polizeieskorte und Limousinen erspäht hat. Oder eines dieser ultraschweren, massiv gepanzerten Fahrzeuge. "Wow, war das jetzt das 'Beast'?"

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Die wenigsten Münchnerinnen und Münchner bekommen mit, welcher logistische Aufwand nötig ist, um etwa einen US-Verteidigungsminister per "Lotsung mit Durchschleusung" ins Hotel zu bringen. Anders als bei der "freien Fahrt", die Staatsoberhäuptern vorbehalten ist, gibt es keine Motorradeskorte und keine komplett gesperrten Straßen. Kurzzeitig freigehalten werden bei Bedarf immer nur kleinere Abschnitte. Etwa 60 Einsatzkräfte machen auf der Strecke vom Flughafen in die Innenstadt einzelne Zufahrten, aber auch schon mal den Mittleren Ring an einer bestimmten Stelle dicht, damit wenig später der 20 Fahrzeuge zählende Konvoi ungehindert passieren kann. Gleich danach wird die Straße wieder freigegeben. "Wie eine Welle", so beschreiben Einsatzleiter das Verfahren.

Für die Politikerkonvois müssen andere Autofahrer warten: Kolonne der US-Vizepräsidentin Kamala Harris 2023 am Münchner Flughafen. (Foto: Dwi Anoraganingrum/IMAGO/Panama Pictures)

Und dann gibt es noch die vielen Kundgebungen rund um die Siko. Demonstrationen verschiedenster Landsmannschaften - aus Palästina, Iran, Indien, der Ukraine - für oder gegen einen Vertreter ihres jeweiligen Heimatlandes, der sich im Bayerischen Hof aufhält oder zumindest dort vermutet wird. Wer an den drei MSC-Tagen mit offenen Augen durch die Innenstadt geht, kann eine Ahnung davon bekommen, wie kompliziert Weltpolitik ist - und dass das Treffen im Bayerischen Hof für die Beteiligten unter Umständen doch kein Vergnügen ist.

20 000 Demonstranten allein im vergangenen Jahr

Etwa 20 000Menschen demonstrierten im vergangenen Jahr während der Konferenz. Die Mehrheit von ihnen war mit dem Treffen oder seinen Inhalten nicht einverstanden. Die größte Kundgebung kam aus dem Querdenker-Lager. Viel Verständnis gab es dort für jemanden, der aus gutem Grund nicht in München dabei ist: Russlands Präsident Wladimir Putin. Die traditionelle linke "Antisiko"-Demo und ihre Macher brachte das in die Bredouille. Traditionsgemäß sind in diesen Kreisen die Sympathiewerte für die USA und die Nato gering. Aber mit rechten Umtrieben wollte und will man auch nichts zu tun haben. Zahlenmäßig zog man gegenüber der Konkurrenz klar den Kürzeren. Für die Einsatzleitung der 4500 Polizistinnen und Polizisten und die Münchner Genehmigungsbehörde ist es stets eine Herausforderung, Demonstrationsrouten und -zeiten so festzulegen, dass nicht zusammenkommt, was keinesfalls zusammenkommen sollte.

Das befürchtete Ziel: die "Entglasung" der Innenstadt

2002 organisierte der Münchner Claus Schreer erstmals eine Kundgebung gegen das Treffen im Bayerischen Hof. Politik und Polizei reagierten panisch. Die Behörden rechneten mit 3000 gewaltbereiten Autonomen, deren Ziel die "Entglasung" der Innenstadt sein könnte. 300 Haftzellen wurden vorbereitet. Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) drohte städtischen Einrichtungen mit Konsequenzen, sollten sie Protestierer beherbergen. Es wurde ein Demonstrationsverbot verhängt. Tatsächlich kamen etwa 10 000 Menschen, um gegen die Tagung zu protestieren. Schreer wurde festgenommen - und mit ihm rund 500 andere Protestler.

Im Jahr darauf bevölkerten 35 000 Demonstranten die Innenstadt. Die Teilnehmer einer Gewerkschaftskundgebung und die Menschen, die einem Aufruf linker Gruppen gefolgt waren, protestierten am Ende gemeinsam - gegen den drohenden Einmarsch der USA in den Irak. Danach gingen die Teilnehmerzahlen an der großen Demonstration kontinuierlich zurück. Einen Erfolg verzeichnete die Friedensbewegung, als sie 2008 eine Demonstrationsroute zur Residenz durchsetzen konnte, wo die Teilnehmer der Siko dinierten. Diese Zeiten sind lange vorbei. Und Claus Schreer, Münchens letzter Linker, wie er manchmal tituliert wurde, ist im vergangenen Jahr gestorben.

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