Weihnachten in der Innenstadt:Was in kaum einem Schaufenster fehlt, ist Gin

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In Sachen festlich dekorierte Kaufhausfenster gibt es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft sowie gar nicht mal so wenige Totalverweigerer. Eine Stilkritik.

Von Thomas Becker

Schaufensterbummel, Laufkundschaft, Einzelhandel: Begriffe aus einer scheinbar längst vergangenen Zeit, Retro-Grüße aus einer fernen Galaxie in die Gegenwart des dezentralisierten Online-Shopping-Wahnsinns. 1780 kam man in Paris erstmals auf die Idee, Waren in Schaufenstern oder Vitrinen feilzubieten. Heute heißt das Visual Merchandising, also optische Verkaufsförderung, was schon um einiges abgeklärter klingt. Den Großteil der Weihnachtsdekorationen in der Münchner Fußgängerzone kann man unter diesem Aspekt gut betrachten.

Das Testergebnis nach ein paar Stunden zwischen Stachus, Marien- und Odeonsplatz: In Sachen festlich dekorierte Kaufhausfenster gibt es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft sowie gar nicht mal so wenige Totalverweigerer.

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Klarer Testsieger ist der Oberpollinger. Hier hat man nicht einfach ein paar Sterne ins Fenster gehängt, sondern auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnittene übergroße Nussknacker-Typen mit Waren aus dem Oberpollinger-Sortiment hingestellt. In einem Fenster ist Disco-King Axel samt Afro-Frisur und silbernem Glitzeranzug zuhause, im nächsten die schrille Shopping-Queen Theresa, daneben Hipster Maximilian, der Konsolen-Martin, Pink Jenny sowie die Familie Jörg, Sabine und Robin im festlich roten Norweger-Pulli - allesamt riesige Nussknacker. An jedem Fenster ein kurzer Text zum jeweiligen Typ, auf Deutsch und Englisch.

Bei der Shopping-Queen heißt es: "Theresa shoppt zu jeder Jahreszeit, im Advent aber mit besonderem Nachdruck. Rasiersets und Schals, Bücher, Uhren und Duftkerzen. Der Weihnachtseinkauf ist eine ernste Angelegenheit, viele Menschen sind zu beschenken: Omas und Opas, Freundinnen und entfernte Bekannte, sie selbst. Theresa schnappt nach Luft. Dann trägt sie die Einkaufstüten feierlich zur Weihnachtspyramide." Das ist dann schon fast Konzeptkunst. Im Eingang hängt schwarz auf weiß das Programm vom Weihnachtsmann ("verteilt Süßes an Kleine und Große"). Erstaunlich auch, dass nur hier vor der Tür Weihnachtslieder zu hören sind. Dabei weiß man doch längst, wie Musik als Kaufanreiz funktioniert.

Platz zwei geht an den Dallmayr. Die Themen-Christbäume (Champagner, Kaffee, Lachs/Kaviar) überraschen zwar nicht wirklich, sind aber perfekt hingezwirbelt und sehen einfach wunderhübsch aus. "So einen Baum hätte ich auch gern zuhause", meint ein Passant bewundernd, "dann müsste ich gar nicht mehr vor die Tür."

Und dann ist da natürlich noch der Steiff-Zoo beim Kaufhof am Marienplatz. Stoffgetier jeglicher Provenienz wimmelt hier auf Breite eines ausgewachsenen Fußballtors, und das in solcher Zahl, dass der geneigte Kleinkunde gar nicht weiß, wo er zuerst hinschauen soll: zum Affenhaus mit all seinen lustigen Bewohnern? Zu den allerliebsten Pinguinen, Delfinen, Orcas und Schildkröten? Zum Hasen auf dem Roller? Zum Frosch, der einen Hasen (?!) im Kinderwagen schiebt? Oder doch zum knuffigen Bären-Heer? Ein Teddy stülpt sich einen Topf über den Kopf, einer rüttelt am Gitter wie einst der Schröder Gerd am Kanzleramt, und ein anderer filmt die Artgenossen von jenseits des Geheges. Logisch, dass das auch die Eltern mit dem Smartphone filmen, nicht nur die aus Japan. Zweifellos herrscht hier die höchste Großeltern-Enkel-Dichte der Stadt. Brezenkauende Zwerge, die sich an der Scheibe die Nase platt drücken, während Opa mit der Spiegelreflex kämpft - ein offensichtlich Auswärtiger fasst bündig zusammen: "It's fun", es macht Spaß.

So viel zu den Schaufenster-Höhepunkten. Ein Sonderpreis geht an "Münchens größte begehbare Christbaumkugel" in der Hofstatt. Wo diese Zeitung einst gar wunderbare Hoffeste feierte, kann man sich nun in einem bunt blinkenden Etwas gegenseitig fotografieren. Oder einfach nur staunen, auf was für Ideen man so kommen kann. So wie auch in den Fünf Höfen, wo die Designhelden von Alessi sich langsam öffnen und schließende Schieber mit diversen Geschenkartikeln darunter ins verspielte Fenster gestellt haben. Ein paar Meter weiter beim Lifestyle-Laden Muji findet sich neben dem Aroma-Diffuser schwarz auf weiß eine Einladung zum Schneemänner-Workshop und beim schicken Schmuckbastler Sévigné nicht nur hübsche Kristallkugeln, sondern auch eine Verkäuferin in einem irre bunten Weihnachtsrock. Um die Ecke feiert Marco Polo derweil "Green Christmas" und verspricht für jeden bis zum 31. Dezember verkauften Artikel aus der Weihnachtskollektion einen Baum zu pflanzen. Ist man dann schon Klimagegner, wenn man dort trotzdem nichts kauft?

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Dann lieber zum Marienhof. Beim sonst so üppigen Warenhaus Manufactum gibt's im Fenster lediglich ein paar Weihnachtssterne und einen milde lächelnden Nikolaus, der auf einer Schachtel Butterstollen rastet. Ein paar Schritte weiter beim Beck wird es übersichtlicher: edle Roben vor dem Slogan "Festglanz der Sinne". Doch so kühl, wie da dekoriert wurde, mag sich Sinnlichkeit kaum einstellen. Wohltuend weihnachtlich geht es dagegen beim Kindergeschenkeparadies Obletter zu: Da steckt das Porsche-Modell im überdimensionierten Nikolausstiefel, und eine schöne alte Dampflok vor verschneiter Winterlandschaft ist da auch zu sehen.

Was in kaum einem Schaufenster fehlt, ist Gin, warum auch immer. Wacholderschnaps ist angesagt, in allen möglichen Varianten. Einfach so Gin kaufen, geht mittlerweile genauso wenig, wie bei Starbucks einfach so Kaffee zu bestellen. Auch Münchens traditionsreichster Herrenausstatter Hirmer stellt die edlen Gin-Flaschen wie auch Lakritze und Parfum eher verschämt neben Schuhen, Hosen und Pullis am Schaufensterboden ab. Gut sichtbar hängen dagegen bei Hunkemöller die Damen-Dessous, nur dezent verhängt von extralangem erotikroten Lametta, nebenan bei H&M Home begnügt man sich mit ein paar Lebkuchen-Sternen im Fenster.

Und die Maximilianstraße? Hat so eine Ranschmeiße nicht nötig. Weihnachtsdeko sucht man bei den Nobel-Designern vergeblich. Da stehen die drüber. Nur bei Dior haben sie sich zu einem großen schneeweißen Weihnachtsbaum aufgerafft.

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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