Sie hatte erwartet, dass es ein bisschen dauern würde. Doch Anfang April immer noch kein Bafög für das Wintersemester auf ihrem Konto zu haben, damit hatte die Kunstgeschichtsstudentin Lisa M. ( Name von der Redaktion geändert) nicht gerechnet. Sie hatte schon am Anfang ihres Studiums im Herbst 2019 nachgewiesen, dass sie Anspruch berechtigt ist. In den ersten beiden Semestern waren ihr auch monatlich knapp 744 Euro überwiesen worden. Der Bafög-Höchstsatz liegt derzeit bundesweit bei 861 Euro.
Die Eltern können die junge Frau finanziell nicht unterstützen, daran hat sich nichts geändert. Deshalb hatte Lisa M. im Sommer einen Folgeantrag gestellt, davon ausgehend, dass die Bafög-Zahlungen fortgesetzt werden. Nun fragt sie sich, wann es endlich soweit ist. Sie studiert Kunstgeschichte und Philosophie an der LMU, kurz nach Ostern wird sie ihr viertes Semester beginnen. Sie möchte namentlich nicht genannt werden, denn die Situation, in der sie steckt, ist ihr unangenehm. Mehr noch: Ihre Lage ist existenzbedrohend. Immerhin gehört die Studentin zu den Glücklichen, die in der Coronazeit einen Minijob gefunden haben, der immerhin fast die Miete für ihr WG-Zimmer deckt, und sie kann Nachhilfe geben. Das sei ganz schön stressig neben dem Studium und den Prüfungen, sagt sie. Zudem seien diese Einkommensquellen nie sicher.
Prüfungen an den Hochschulen:Risikokontakt Examen
In Messehallen mit Abstand und Belüftungsanlagen, mit Maskenpflicht am Platz: Viele Hochschulen lassen ihre Studierende zu Klausuren anreisen. Dabei wären Online-Klausuren in Bayern rechtlich möglich.
Die Studentin ist nicht die einzige Bafög-Bezieherin, die sich in den vergangenen Monaten in Geduld üben musste. Das Münchner Studentenwerk, das hier für die Abwicklung der Ausbildungsförderung zuständig ist, gibt zu, dass noch immer nicht alle Anträge aus dem Oktober 2020 bearbeitet seien. "Es sind mehr Fälle, als wir uns wünschen", sagt Oliver Leitner, Abteilungsleiter im Amt für Ausbildungsförderung des Münchner Studentenwerks auf Nachfrage.
Die Gründe für die Verzögerungen sind vielfältig. Sie haben mit der Pandemie zu tun, auch mit Versäumnissen der Studierenden, die ihre Anträge nicht rechtzeitig und vor allem nicht vollständig einreichten. Sie sind aber auch dem aufwendigen, bürokratischen System des Studentenwerks geschuldet, das Verzögerungen in Kauf nimmt. Es müsste wohl dringend modernisiert werden. Leitner gesteht dies ein, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass unter Einsatz des gesamten zur Verfügung stehenden Personals stets mit Hochdruck an den Anträgen gearbeitet werde. Auf Fragen zur Situation der Bafög-Abwicklung insgesamt und speziell in seiner Abteilung antwortete er ausführlich schriftlich.
Laut Leitner sind im Jahr 2020 in München, anders als in anderen bayerischen Ämtern, erstmals wieder deutlich mehr Anträge eingegangen. Neben deren Prüfung seien zusätzlich die coronabedingten Anträge auf Überbrückungshilfe zu behandeln gewesen. Seit deren Start im vergangenen Jahr seien mehr als 17 500 Anträge dazu bearbeitet worden.
Auf die Frage, was das Studentenwerk München bräuchte, um die Bafög-Auszahlungen zu beschleunigen, antwortet Leitner: "Dauerhaft helfen würde aus meiner Sicht nur eine konsequente Digitalisierung in einer sinnvollen Form und eine Verschlankung des Bafög-Vollzugs." Immerhin sei 2021 bereits zusätzliches Personal eingestellt beziehungsweise seien offene Stellen nachbesetzt worden. Die Einarbeitung dauere aber wegen der Komplexität des Verfahrens mehrere Monate. Regelungen für die Bafög-Verwaltung würden vom Gesetzgeber immer wieder kurzfristig verändert. 2020 etwa die Anrechnung des Hinzuverdienstes im Zusammenhang mit der Corona-Krise. Aktuell dürfen Bafög-Empfänger bis zu 450 Euro im Monat verdienen. Eine Menge Mehrarbeit für die Sachbearbeiter. Hinzukommt das an sich kulante Entgegenkommen der Hochschulen, den Studierenden eine Verschiebung der Prüfungen zu gewähren. Normalerweise müssen nach dem vierten Semester Leistungsnachweise vorgelegt werden. Dazu habe es zwar eine pauschale Regelung von Seiten des bayerischen Gesetzgebers gegeben, diese musste aber verwaltungstechnisch in jedem Einzelfall umgesetzt werden, erklärt Leitner.
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Corona hat somit den Arbeitsaufwand vermehrt - und auch die Arbeitsbedingungen erschwert. Um Ansteckungen zu vermeiden, arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit Monaten wechselweise in den Büros des Studentenwerks und im Home-Office. Da die Bafög-Akten in Papierform geführt werden, dürften sie nicht mit nach Hause genommen werden. Sie blieben also liegen. Laut Leitner konnten einzelne Beschäftigte gar nicht ins Büro kommen und deshalb auch nicht im Bereich Bafög eingesetzt werden. Obwohl die Studierenden die Ausbildungsförderung online beantragen können, werden ihre Akten nicht digital weiterbearbeitet. Um die umfangreichen Bafög-Akten zu verwalten, könne man nicht "irgendeine e-Akte von der Stange" kaufen und einsetzen, erklärt Leitner. Die Studierenden müssen sehr detailliert ihren Bedarf erklären, die Einkünfte der Eltern und jegliche Geldrücklagen wie etwa Sparguthaben belegen. Viele Studierende bevorzugten deshalb das Einreichen der Formulare und Dokumente in Papierform.
Auch Lisa M. hatte den Folgeantrag Ende Juli 2020 mit all den Unterlagen in ein Briefkuvert gesteckt. Angekommen aber ist es dort anscheinend nie. Als die Münchner Studentin nachfragte, riet man ihr, nochmals alles im Online-Verfahren zu schicken. Im Oktober kam daraufhin die Eingangsbestätigung. Im Februar erst erreichte sie die Rückmeldung, dass eine Schulbescheinigung für ihren Bruder fehle, die nötig ist, weil er in der Zwischenzeit 16 Jahre alt geworden war. Nun hat Lisa M. von ihrer Sachbearbeiterin die Empfehlung bekommen, den neuen Antrag für die Semester fünf und sechs bereits bis Mai zu stellen.
Das Bafög (Bundesausbildungsförderungsgesetz) wurde 1971 eingeführt. Schon ein Jahr später profitierten bundesweit mehr als 44,6 Prozent aller Studierenden davon. Inzwischen ist der Prozentsatz enorm gesunken. Weniger als 12 Prozent bekamen im vergangenen Jahr diese Unterstützung. "Es kommen viel zu wenige Studierende in dieses System rein", bemängelt Maximilian Frank, langjähriger Sprecher des Bayerischen Astenverbands. Die Bemessungsgrenzen seien über die Jahre kaum angepasst worden, die Lebenshaltungskosten und die Löhne aber gestiegen. Nominal hätten die Leute mehr Geld, aber gerade in einer so teuren Stadt wie München hieße das nicht, dass die Eltern ihren Kindern ein Studium finanzieren könnten. Seit Jahren setzt sich der Landesastenverband für ein elternunabhängiges Bafög ein, um die Chancengleichheit auf ein Studium zu gewährleisten.
Die meisten Bafög-berechtigten Studierenden in München dürften inzwischen wieder liquide sein. Im März habe es 8149 "Auszahlungsfälle" gegeben, heißt es vom Studentenwerk. Knapp acht Prozent mehr als im Jahr zuvor. Etliche Studis aber müssen noch warten, so wie die Kunstgeschichtsstudentin. Für sie und alle künftigen Antragsteller wäre es wichtig, wenn das Verfahren bald verbessert und beschleunigt würde. Im Sinne des Studentenwerks München, von dem ihr Geschäftsführer Tobias Burchard sagt: "Wir stehen für Gerechtigkeit."