Theater:Für die im Dunkeln

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Robert Dölle in seinem Soloabend "Finsternis" am Residenztheater. (Foto: Birgit Hupfeld)

Mit "Finsternis" von Davide Enia erinnert das Residenztheater an die Flüchtlinge im Mittelmeer. Robert Dölle macht aus dem Monolog großes Sprechtheater.

Von Yvonne Poppek, München

Da steht Robert Dölle also und wendet einem den Rücken zu, dem Publikum und dem aufgeklappten Laptop mit der Kamera. Er erzählt mit seiner Stimme, die einen umspült wie tiefes, weiches Meer, von dem Jungen, der sich gerettet hat. Vor dem Krieg, vor der Organmafia, vor den Schleppern, der Wüste. Irgendwann gelangt er in ein Lager in Libyen, ein Gefängnis der Gewalt, in dem ihm jemand ein Ohr abschneidet. Einfach, weil er es kann. Doch der Junge schafft es auf ein Boot und erreicht die Insel Lampedusa. Während Dölle das erzählt, in den präzisen, von allem Überflüssigen befreiten Worten Davide Enias, verschwimmt die Gegenwart. Dölle ist Stimme, Landschaft, Projektion. Irgendwann dreht er sich um, spricht und spricht. Den Jungen hat er da im Text längst hinter sich gelassen, ohne Pathos, ohne Anklage.

Es ist ein starke Passage in dem ohnehin starken Solo-Abend auf der großen Bühne des Residenztheaters. "Finsternis" heißt der knapp einstündige Monolog, den Nora Schlocker da eingerichtet hat. Er basiert auf Enias Romanbericht "Schiffbruch vor Lampedusa". Für ihn hat Enia mehrfach die Insel besucht, war bei den Anlandungen der Flüchtlinge dabei, hat mit ihnen und den Rettern gesprochen. Er hat die Geschichten aufgeschrieben, ohne eine wütende Anklage daraus zu machen. Dazwischen erzählt er von seinem Vater und seinem krebskranken Onkel Beppe, bettet die Fluchterlebnisse in die eigene Biografie ein.

Die technischen Spielereien sind eigentlich gar nicht nötig

Dass immer noch Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken und wir dies zulassen, ist eine Tatsache, die zu oft aus dem Blickfeld rutscht. 2021 holten Schlocker und Dölle mit dem "Finsternis"-Stream das Thema zurück ins Bewusstsein. Jetzt tun sie dies mit der Live-Inszenierung. Und das ist gut so. Dazu haben sie die Küche aus dem Stream auf die Vorderbühne gestellt (Bühne: Rosanne König, Jonas Vogt), mit Arbeitsfläche, Tisch, Kühlschrank und jeder Menge Orangen. Das ist der Schauplatz der Schilderung, alles den Text Illustrierende hat der Autor untersagt. Auf der Bühne gibt es zusätzlich noch den Laptop, in den Dölle immer wieder hineinspricht, während die Kamera sein Gesicht auf eine große Leinwand überträgt.

Diese technische Spielerei, die der Ursprungsinszenierung geschuldet ist, ist auf der Bühne aber nicht nötig. Eher irritiert die asynchrone Übertragung auf der Leinwand. Und dass Dölle eine Art Gesprächspartner im Laptop findet, ist für den Monolog eine dünne Motivation. Der Abend ist dann am eindringlichsten, wenn er Darsteller und Text Ruhe und Konzentration gewährt. Auch wenn "Finsternis" ursprünglich kein Theatertext war, muss er kaum um Bühnenmittel angereichert werden.

Denn Robert Dölle kann das sprechen. Er taucht in den Text ab, holt Schönheit und Wucht hervor. Beides trifft einen unmittelbar auf seinem Sitzplatz. Ein solcher Abend großen, politisch engagierten Sprechtheaters wird mehr als nur Betroffenheit auslösen.

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