Prozess in München:Drei ausgelöschte Leben und viele Fragen

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  • Am Abend des 16. September 2017 prallt ein SUV mit 128 km/h in einen Kleinwagen, drei junge Menschen sterben.
  • Der Fahrer des BMW muss sich nun wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Das Strafmaß wird wohl über vier Jahre Freiheitsentzug nicht hinausgehen.
  • Am Mittwoch verhandelt das Schöffengericht des Amtsgerichts München gegen den damals 60 Jahre alten Mann. Zunächst ist nur ein Verhandlungstag angesetzt.

Von Martin Bernstein

Der Aufprall muss dem Einschlag eines riesigen Geschosses geglichen haben. Etwa zwei Tonnen wiegt der BMW X5. Und er ist 128 Kilometer pro Stunde schnell, als er ungebremst in den Kleinwagen vor ihm kracht. Die Ampel an der Kreuzung der Wasserburger Landstraße zur Jagdhornstraße hat gerade auf Grün geschaltet, der Opel Corsa, in dem vier Franzosen sitzen, ist auf der mittleren der drei Fahrspuren wieder angefahren. Binnen Sekunden verwandelt sich die Unfallstelle in ein Inferno. Der Corsa wird 100 Meter weit über die Kreuzung katapultiert, er fängt sofort Feuer, die Insassen sind eingeklemmt. Nach dem Aufprall ist die Wucht des SUV noch so groß, dass er einen Findling verschiebt, ehe er sich zwischen einem geparkten Auto und einer Hauswand verkeilt.

Es ist der Abend des 16. September 2017 gegen 19.30 Uhr, als die Leben dreier junger Menschen ausgelöscht werden. Für die einzige Überlebende und ihre Familie beginnt ein bis heute dauernder Leidensweg. Am Mittwoch verhandelt das Schöffengericht des Amtsgerichts München gegen den Mann, der schuld an der Katastrophe sein soll. Der damals 60 Jahre alte Fahrer des BMW muss sich verantworten - wegen fahrlässiger Tötung.

Der Vergleich mit einem anderen Fall irritiert zunächst: Der Raser, der vor zehn Tagen in der Fürstenrieder Straße einen 14 Jahre alten Buben totgefahren und eine 16-Jährige schwer verletzt hat, muss sich wegen Mordes verantworten, die Staatsanwaltschaft geht von einer vorsätzlichen Tat aus. Der Beschuldigte sei in einer geschlossenen Ortschaft auf einer stark befahrenen Straße entgegen der Fahrtrichtung gefahren und habe mindestens zwei rote Ampeln missachtet, begründete Oberstaatsanwältin Anne Leiding diese Auffassung.

Dass der Fahrer ungebremst auf die Jugendlichen zugerast sei, die bei Grün über die Straße gingen, sei als Heimtücke zu werten. Außerdem habe der Fahrer grob eigennützig und aus niedrigen Beweggründen gehandelt. Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kommentierte den Fall: "Wer durch eine Innenstadt, wo Fußgänger auf der Straße unterwegs sind, mit 100 Kilometern in der Stunde rast, da muss man davon ausgehen, dass er zumindest ganz unverantwortlich in Kauf nimmt, auch Menschen zu töten."

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Drei Menschen sterben, weil ein heute 62-Jähriger mit mehr als 120 Stundenkilometern durch die Stadt rast. Vor Gericht geht es um die Frage, ob es sich juristisch um fahrlässige Tötung oder Vorsatz handelt.

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Das sehen die Angehörigen der drei Toten von der Wasserburger Landstraße ebenso. Sie können nicht verstehen, warum gegen den Unfallfahrer, der ihre Kinder, Geschwister, Freunde tötete, lediglich wegen Fahrlässigkeit verhandelt wird. Bei der Anklagebehörde - wieder ist es die Staatsanwaltschaft München I - kann man die Gedanken der Angehörigen verstehen. "Doch für eine Vorsatztat haben wir bislang keine Anhaltspunkte", sagt Anne Leiding.

Auch die Polizei hat keine gefunden. Deswegen ist der Fall vorm Amtsgericht gelandet, deswegen lautet der Vorwurf auf fahrlässige Tötung, deswegen ist eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren nicht zu erwarten. Fünf Jahre wäre die laut Strafgesetzbuch mögliche Höchststrafe. Denkbar ist im Fall einer Verurteilung aber auch eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird.

Mehr als zwei Jahre sind zwischen dem Unfall auf der Wasserburger Landstraße und dem Prozess vergangen, der am Mittwoch beginnt - und möglicherweise dann auch bereits abgeschlossen wird. Zunächst ist nur ein Verhandlungstag angesetzt. Die damals 68 Jahre alte Mutter, die mit schwersten inneren Verletzungen, zahlreichen Brüchen und schlimmen Verbrennungen die Katastrophe überlebt hat, wird als Zeugin auftreten. Sie leidet ebenso wie ihr nicht an dem Unfall beteiligter Mann bis heute an den Folgen.

Aussagen werden auch Anwohner, die unmittelbar nach dem Aufprall zum brennenden Auto rannten, mit Feuerlöschern die Flammen bekämpften und die 68 Jahre alte Französin vom Beifahrersitz des brennenden Autos zerrten. Aussagen werden Feuerwehrleute, die die sterbenden Opfer aus den rauchenden Trümmern des Leihwagens schnitten, und Polizisten, die die grauenvollen Bilder von der Unfallstelle bis heute nicht loswerden. Aussagen werden Zeugen, die etwa hundert Meter östlich der Kreuzung an einer Bushaltestelle warteten und die beobachtet haben sollen, wie der SUV da schon mit viel zu hoher Geschwindigkeit an ihnen vorbeifuhr.

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Im Zuhörerraum werden Angehörige der Opfer sitzen, unter ihnen der Bruder der getöteten Anne-Sophie und Julien. Er hatte an jenem Abend zu einer Familienfeier eingeladen, ihn hatten seine Geschwister damals besuchen wollen, zusammen mit Baptiste, dem Freund der jungen Frau. Sie starben, gekleidet in bayerische Tracht, nur wenige Hundert Meter vom Gasthaus entfernt, in dem die Feier beginnen sollte.

"Warum?" Diese Frage bringt die Angehörigen seit jenem Tag um den Schlaf. Warum gab es keine Bremsspuren? Warum sah der Fahrer des SUV die an der Ampel wartenden Autos vor ihm nicht? Warum wich er nicht aus? Warum raste der Mann aus dem Kreis Ebersberg mehr als doppelt so schnell wie erlaubt heimwärts?

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Das Auto hatte offenbar keinen technischen Defekt. Ablenkung des Fahrers, Einfluss von Drogen oder Alkohol oder gesundheitliche Probleme schließen die Ermittler ebenfalls aus. Auf die Frage nach dem Warum haben auch sie vor Prozessbeginn keine Antwort. Und weil sie diese Antwort nicht haben, können sie keinen Vorsatz beweisen. Ohne Vorsatz aber ist eine Anklage wegen Totschlags oder Mordes nicht möglich. Die Angehörigen wiederum können die Zurückhaltung der Staatsanwaltschaft nicht verstehen. Für sie noch so ein: "Warum?"

"Wer im Straßenverkehr (...) sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen", kann für bis zu zehn Jahre ins Gefängnis geschickt werden, wenn er "durch die Tat den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen" verursacht. So steht es in Paragraf 315d des Strafgesetzbuches. In Kraft getreten ist die Bestimmung am 13. Oktober 2017. Das war genau vier Wochen nach der rätselhaften Todesfahrt auf der Wasserburger Landstraße.

© SZ vom 26.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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