Münchner Polizisten haben offenbar nicht nur in ihrer Freizeit gekokst, sondern auch im Dienst. Das lässt sich zumindest aus den Einlassungen von Polizeipräsident Hubertus Andrä im Innenausschuss des Landtags am Mittwoch schließen. "Der Erwerb und der Konsum von Kokain hat sich in absolut überwiegender Zahl in der Freizeit abgespielt", sagte Andrä. Drogenkonsum auf der Dienststelle gab es demnach nur ausnahmsweise. Daher könnten der Dienstaufsicht nur bedingt Vorwürfe gemacht werden.
Die Frage der Grünen Fraktionsvorsitzenden Katharina Schulze, wie lange denn wohl die knapp ein Dutzend Beamten in der Altstadtwache bereits ihren illegalen Ausschweifungen nachgegangen waren, bevor ein Dealer sie 2018 verpfiff, konnte der Polizeipräsident nicht mit Gewissheit beantworten. Die Chatprotokolle aus den beschlagnahmten Handys reichten "bis 2018, vielleicht 2017" zurück, erklärte er. Wann die Umtriebe begonnen hätten, sei derzeit Gegenstand der Ermittlungen durch das Landeskriminalamt.
Bis der Skandal strafrechtlich geklärt ist, wird es wohl noch einige Zeit dauern. Vor zwei Wochen hatten 19 Staatsanwälte und 170 Polizisten, darunter Spezialeinsatzkommandos aus Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen, insgesamt 30 Wohnungen und sieben Dienststellen durchsucht. Dabei wurden laut Staatsanwaltschaft erneut Drogen gefunden. Die beschlagnahmten Handys und andere Datenträger müssen nun erst einmal ausgewertet werden.
So lange können der Innenminister und der Polizeipräsident nicht warten, der politische und der öffentliche Druck sind zu hoch. Insbesondere den Vorwurf, Polizisten hätten Bürger nach einer Kontrolle wahrheitswidrig beschuldigt, gewaltsam Widerstand geleistet zu haben, nannte Joachim Herrmann (CSU) "inakzeptabel und bestürzend". "Ein solches Verhalten ist geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei zu untergraben", erklärte der Minister. Gegen 20 Polizeibeamte wurden Disziplinarverfahren eingeleitet, 15 sind vom Dienst suspendiert, bei vier von ihnen wird geprüft, ob sie vorzeitig entlassen werden können, darunter auch jene Beamten, denen die Staatsanwaltschaft die Verfolgung Unschuldiger vorwirft. Sieben weitere Beamte wurden zwangsversetzt.
Es deute manches darauf hin, dass vor allem eine Dienstgruppe innerhalb der Polizeiinspektion 11 (Altstadtwache) betroffen sei, sagte Herrmann. "Deshalb könnte es sein, dass andere nicht viel davon mitbekommen haben." Bei den 21 Beschuldigten handelt es sich laut Polizeipräsidium mehrheitlich um Beamte im Rang eines Polizeihauptmeisters oder Polizeiobermeisters, also Polizisten in der niedrigsten Laufbahn mit einigen Jahren Berufserfahrung, aber ohne Führungsposition. Die meisten von ihnen sind dem Polizeipräsidium München unterstellt, einige der bayerischen Bereitschaftspolizei. Derzeit lässt der Innenminister prüfen, ob mehr Rotation zwischen den Dienstgruppen und den Dienststellen eine geeignete Maßnahme wäre, um der Bildung von Cliquen vorzubeugen.
Polizeipräsident Andrä sprach am Mittwoch von einem "Schlag ins Gesicht für alle redlich arbeitenden Polizeibeamten". Im Präsidium herrsche "tiefe Betroffenheit". Als erste Maßnahmen sollen nun Supervisionen mit Vorgesetzten und Abteilungsleitern der Polizeiinspektion 11 stattfinden. Außerdem werde das "interne Beschwerdemanagement" hinterfragt, kündigte Herrmann an.
Sämtliche Beschäftigten sollten noch einmal auf ihre Pflichten hingewiesen werden, die Führungseigenschaften von Vorgesetzten würden überprüft, betonte der Minister: "Falsch verstandener Korpsgeist ist niemals eine Lösung. Kollegen, denen der rechtsstaatliche Kompass verloren gegangen ist, müssen frühzeitig zur Rede gestellt werden", forderte er. Bereits in der vergangenen Woche hatte Herrmann alle Beamten per Brief aufgefordert, Verstöße von Kollegen an Vorgesetzte zu melden.
Katharina Schulze sprach von einem erheblichen Schaden für die Institution der Polizei, der nicht nur durch den jüngsten Drogenskandal, sondern auch durch immer neue Fälle von Rechtsextremismus unter Polizisten entstanden sei. Dass sich lange Zeit unbemerkt innerhalb der Polizei eine kriminelle Gruppe gebildet habe, "das erinnert an einen schlechten Film".
Schulzes erneut vorgebrachte Forderung nach einem unabhängigen Polizeibeauftragten lehnte die Ausschussmehrheit ab. Stattdessen versprach Herrmann, es könne sich "jederzeit jemand aus der Polizei oder aus der Bevölkerung an mich wenden". Auch anonyme Hinweise lasse er "sorgfältig prüfen". Nach dem Willen des Innenministers soll zudem in Zukunft vor der Aufnahme in den Polizeidienst eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz gestellt werden: "Polizisten und Kokain, das ist klare, kriminelle Sauerei", sagte Herrmann. "Polizist und Rechtsextremismus, das ist eine Gefahr für die Demokratie." Eine wissenschaftliche Studie zu rassistischen Einstellungen unter Polizeibeamten lehnt der bayerische Innenminister gleichwohl weiter ab.