Lehrstuhl für Spiritual Care:Hilft Spiritualität im Klinik-Alltag?

Lesezeit: 3 min

Mehr als 50 Prozent der Pflegekräfte fühlen sich stark belastet - psychisch wie physisch. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Gehetzt, frustriert und allein gelassen: Pflegende brauchen bessere Arbeitsbedingungen, weniger Druck und höhere Löhne. Eine Tagung beschäftigt sich mit der Frage, ob auch Besinnung helfen kann.

Von Christina Berndt

Sorge für andere, Sorge um andere - das gehört bei Pflegekräften zur Jobbeschreibung. Aber welche Sorge brauchen eigentlich die Pflegekräfte selbst? Was benötigen all jene, die immer für andere da sind - außer besseren Arbeitsbedingungen, weniger Druck, verlässlicher Freizeit und mehr Bezahlung? Ob auch Spiritualität eine Ressource für Pflegende sein kann, damit befasste sich am Donnerstag eine Tagung im Klinikum rechts der Isar. Ausgerichtet wurde sie vom neuen Lehrstuhl für Spiritual Care, der sich eigentlich mit existenziellen, religiösen und spirituellen Bedürfnissen kranker Menschen befasst - und wie Patienten daraus Kraft schöpfen können.

Doch auch Pflegekräfte, die nach zwei Jahren Pandemie noch stärker ausgezehrt sind als ohnehin schon, benötigten solche Kraftquellen, betonte der Jesuit, Psychoanalytiker und Arzt Eckhard Frick, der Inhaber des neuen Lehrstuhls, der am Abend seine Antrittsvorlesung hielt. Mit Sinnmomenten, dem Bewusstsein, Teil eines großen Ganzen zu sein, und spirituellen Pausen lasse sich berufliche Belastung besser verarbeiten und Resilienz, also psychische Widerstandskraft, stärken.

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Wie nötig Kraftquellen sind, machte Maria Schön deutlich. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet die examinierte Pflegekraft in Münchner Kliniken, und das erste, was sie sagte, war: "Ich liebe meinen Beruf tatsächlich immer noch. Ich bin wirklich gerne Krankenschwester." Aber die Arbeitsbedingungen machten es ihr schwer, nicht nur in Corona-Zeiten, erzählte Schön. Denn eigentlich müsse sie wegen des ständigen Zeitdrucks anders arbeiten, als sie es gelernt habe und als es für eine gute Pflege notwendig sei.

"Natürlich kann ich einen Patienten in 15 Minuten waschen", sagte Schön, "danach ist er blitzsauber. Aber ist das richtig? Rein ins Zimmer, zack, Bettdecke weg und los geht's? So kann man doch mit einem Patienten nicht umgehen." Sie versuche, jede Patientin zum Mitmachen zu bewegen, jeden Patienten zu mobilisieren, damit diese Menschen am Ende nicht kränker aus dem Krankenhaus zurückkommen, als sie hineingekommen sind - und unbeweglich noch dazu. "Im allerbesten Fall habe ich den Menschen mobilisiert, im allerbesten habe ich ihm ein bisschen Würde zurückgegeben, dass er wieder was selbst geschafft hat", so Schön. "Ich habe noch keinen erlebt, der darauf nicht stolz gewesen wäre." Auch sie persönlich fühle sich immer wohler, wenn sie einen Patienten liebevoll und mit Andacht versorgt habe. "Aber das dauert 45 Minuten."

Es ist wichtig, Räume für Besinnung zu schaffen

Das Schlimme: Schon als Maria Schön 1987 ihre Lehre begann, gingen Pflegekräfte für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße. Sie sieht zum Teil extrem negative Auswirkungen der lange anhaltenden prekären Zustände in der Pflege. "Der Ton ist untereinander oftmals rau und gegenüber den Patientinnen und Patienten auch", so Schön. "Alte, pflegebedürftige Menschen liegen oft Stunden in ihren Exkrementen, demente Patienten werden ruhiggestellt, damit sie weniger Arbeit machen. Patienten werden nicht als Menschen gesehen, sondern als Belastung." Die Pflegenden seien gehetzt, frustriert und fühlten sich allein gelassen. Mehr als 50 Prozent der Pflegekräfte fühlten sich stark belastet - psychisch wie physisch, "und das in einem Beruf, den sie mit überdurchschnittlichem Engagement ergriffen haben", so Schön.

Junge Pflegende empfänden diese Arbeitsbedingungen oft noch erdrückender als die Älteren, betonte Eckhard Frick. "Vor allem die junge Generation arbeitet weniger aus Pflichtgefühl oder um etwas zu verdienen. Umso mehr zehre es an den Kräften, nicht so handeln und arbeiten zu können, wie es den eigenen Werten entspricht.

Aber auch wenn sich an den Arbeitsbedingungen grundsätzlich etwas ändern muss: Schon kleine Änderungen im Arbeitsalltag könnten eine große Hilfe sein, sagte Klaus Bachmann, Direktor des Instituts für Caritaswissenschaft an der Universität Freiburg. Kurze Auszeiten etwa. Bachmann zitierte den Theologen Johann Baptist Metz: Unterbrechung sei die kürzeste Definition von Religion. Es sei deshalb wichtig, Räume für Besinnung und Unterbrechung zu schaffen. Auch Harmonie im Team trage sehr zur spirituellen Dimension in der Arbeit bei. Die Menschen fühtlen sich dann geborgen und als Teil eines großen Ganzen.

Aber letztlich können solche Möglichkeiten für mehr Spiritualität, mehr Besinnungsmomente in der Pflege nur ein wenig der Belastung abfangen, die Pflegekräfte erleiden müssen. Ganz grundsätzlich ist die Politik gefragt, die Situation zu verbessern, damit Patienten nicht eines Tages an Krankenhaustüren abgewiesen werden müssen, weil kein Personal da ist, das sie versorgen könnte.

In einer abschließenden Diskussionsrunde zur Tagung hatten Vertreter von CSU, SPD und Grünen die Gelegenheit, ihre Pläne für einen Systemwechsel darzulegen. Doch die Runde zerstörte die im Laufe des Tages so liebevoll entwickelten Perspektiven. Zwar sagte der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU), dass in Bayern in jedem Regierungsbezirk eine Stelle geschaffen werden solle, die Supervision und Beratung für Pflegkräfte anbietet. Doch ansonsten verwies er auf andere, indem er betonte, Pflege sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der Bund, die Arbeitgeber, ohne sie gehe es nun einmal nicht. Immerhin sei jetzt bundesweit die Tariflohnbindung für Pflegekräfte erreicht.

Andreas Krahl von den Grünen, der früher selbst als Pfleger arbeitete, appellierte an die Pflegenden, sich besser zu organisieren; es brauche mehr Lobby für die Pflege, auch mehr Streiks. Der Appell der SPD-Landtagsabgeordneten Diana Stachowitz, bei der Mammutaufgabe, die Pflege besser aufzustellen, müsse Parteipolitik in den Hintergrund treten, um alle Kräfte zu bündeln, verpuffte jedoch. Holetschek und Krahl benahmen sich, trotz Rüge durch Diskussionsleiter Michael Spieker von der Katholischen Stiftungshochschule, wie Pennäler, indem sie flüsternd ins Zwiegespräch abtauchten. Dass die Politik an einem Strang zieht, um die Situation zu ändern? Es sah nicht so aus.

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