Parteimitglied war Friedrich Hilble nicht - ein äußerst loyaler Parteigänger der Nazis war er wohl. Der Leiter des städtischen Wohlfahrtsamtes verweigerte Juden die Sozialhilfe, stufte Bedürftige als "arbeitsscheu", als "Schmarotzer" ein und ließ sie ins Konzentrationslager Dachau einweisen. Im Sinne der NS-Machthaber etablierte Hilble "repressive und stigmatisierende Maßnahmen", urteilten Historiker des Münchner Stadtarchivs 2015. Dennoch wurde dem 1937 verstorbenen Behördenleiter 1956, immerhin elf Jahre nach Kriegsende, große Ehre zuteil: Im Neuhauser Kasernenviertel wurde eine 500 Meter lange Straße nach ihm benannt.
Diese wird nun umbenannt und soll künftig an ein Opfer der Nazis erinnern: An die Jüdin Marie Luise Kohn, Künstlername Maria Luiko, die einst in Neuhausen zuhause war. Die Nazis belegten die Malerin, Grafikerin und Gründerin eines Marionettentheaters zunächst mit einem Ausstellungsverbot und deportierten sie im November 1941 nach Kaunas in Litauen, wo sie nur wenige Tage später ermordet wurde, im Alter von 37 Jahren.
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Im für Straßennamen zuständigen Kommunalausschuss wurde die Umbenennung am Donnerstag begrüßt. Weil das Gremium nur in einer Videokonferenz zusammenkam und keine Beschlüsse fassen durfte, muss der Stadtrat die Angelegenheit am 2. Februar noch formal bestätigen. Im Frühsommer werde man dann hoffentlich die neuen Straßenschilder montieren können, erklärte Kommunalreferentin Kristina Frank, das solle auch "nicht klammheimlich passieren, sondern in einer größeren Veranstaltung".
Wenn die blau-weißen Tafeln mit dem Namen "Maria-Luiko-Straße" angebracht sind, wird eine zehn Jahre währende Debatte zu Ende gehen. Schon 2012 hatte die Neuhauser Geschichtswerkstatt darauf hingewiesen, dass Hilble ein äußerst fragwürdiger Namenspatron sei. Die digitale Kunstiniative Memory Gaps stieß ins selbe Horn. In mehreren Anträgen drängte der örtliche Bezirksausschuss auf eine Umbenennung.
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Neue Corona-Proteste in München:Impfgegner werden müde
In München protestieren deutlich weniger Gegner der Corona-Politik als in den Wochen zuvor, die Polizei hat die Lage im Griff. Auch am Odeonsplatz wird demonstriert - für die Pandemie-Regeln.
2019 machten sich Stadtteilpolitiker, des Wartens überdrüssig, auf zu einer Demonstration in die kleine Parallelstraße zur Leonrodstraße, überklebten den Namenszug und brachten ein neues Schild mit dem - von ihnen vorgeschlagenen - Namen Maria Luiko an. Auch in den örtlichen Bürgerversammlungen fand die Forderung nach Umbenennung breite Mehrheiten. Der Ruf nach einer würdigeren Namenspatronin sei also "nicht von oben, sondern aus der Bevölkerung" gekommen, unterstrich Kathrin Abele, SPD-Stadträtin aus Neuhausen, im Kommunalausschuss.
Die gesellschaftliche Debatte um Straßennamen, die antisemitisch, rassistisch oder kolonialistisch belastet sind, hat in den vergangenen Jahren zunehmend Fahrt aufgenommen, nicht nur in München, auch in vielen anderen deutschen Städten. Statt Einzelfallentscheidungen zu treffen, beschloss der Münchner Stadtrat 2015 ein Projekt, das historisch belastete Straßennamen untersuchen und Vorschläge zum Umgang damit erarbeiten sollte. 330 Straßen stuften die Historiker als diskussionsbedürftig ein, 40 sogar als "erhöht diskussionsbedürftig", darunter die Hilblestraße. Ihre anstehende Umbenennung, für die sich auch der Ältestenrat bereits vor einem Jahr einstimmig ausgesprochen hat, ist nun die erste Konsequenz aus dieser Untersuchung.
Nicht alle Anlieger jedoch begrüßen die Adressenänderung. 1779 Privatpersonen und 153 Gewerbetriebe sind in der Hilblestraße gemeldet, 996 Eigentümer sind betroffen. Viele von ihnen äußerten sich bei der rechtlich vorgeschriebenen Anhörung von Grundstückseigentümern ablehnend zur Umbenennung. Sie empfanden den finanziellen Aufwand sowie die nötigen Behördengänge als überflüssig. Die Politiker bleiben trotzdem bei ihrer Haltung, fußend auf der Aussage des Expertengremiums: Einen Menschen wie Hilble noch länger derart zu ehren, sei nicht annehmbar.