Umstrittener Platz in Schwabing:"Ein Nazi der ersten Stunde"

Umstrittener Platz in Schwabing: Nur ein einziges Straßenschild müsste abgenommen und durch ein neues ersetzt werden - mit einem unbelasteten Namen wie zum Beispiel Olga Benario. Die Münchner Jüdin wurde 1942 von den Nazis ermordet.

Nur ein einziges Straßenschild müsste abgenommen und durch ein neues ersetzt werden - mit einem unbelasteten Namen wie zum Beispiel Olga Benario. Die Münchner Jüdin wurde 1942 von den Nazis ermordet.

(Foto: Yoav Kedem)

Nach dem Juristen Wilhelm Kißkalt ist in Schwabing ein Platz benannt. Lokalpolitiker fordern schon lange eine Umbenennung. Und die Stadt? Lässt sich damit Zeit.

Von Nicole Graner

Die Geschichte seiner Stadt, die Geschichte der Straßennamen haben Gerhard Willhalm immer interessiert. Als Taxiunternehmer hat er früher, so erzählt der 65-Jährige, sogar ein individuelles Straßenverzeichnis auf seine Webseite gestellt. Aber das reicht ihm nicht. Er wird Stadtführer und betreibt seit einigen Jahren im Internet unter der Rubrik Münchner Stadtgeschichte die Seite "Das Münchner Straßenverzeichnis". Dafür verbringt er viel Zeit im Stadtarchiv und forscht.

Er will zum Beispiel wissen, wie lang die Straße ist, wie sie früher hieß, wann Umbenennungen waren, wer hinter den Straßennamen steckt. Ein Mammutprojekt. "Es wird wohl nie fertig werden", sagt Willhalm. Wohl auch deshalb nicht, weil es mittlerweile Straßennamen gibt, die historisch bedenklich, nach Rassisten, Antisemiten oder Nazis benannt sind und einer genaueren Recherche bedürfen.

Da ist zum Beispiel der Kißkaltplatz, den der Bezirksausschuss (BA) Schwabing-Freimann schon seit Jahren umbenennen lassen will. 2014 und 2016 hat das Gremium dazu bereits Anträge gestellt. 2017 erhält der BA dann eine Antwort der Stadt, dass man dazu zunächst "alle Straßennamen" überprüfen müsse, bevor man wisse, wie man mit Umbenennungen vorgehen wolle.

Und nun, sieben Jahre nach dem ersten Antrag des BA, wiederholt das Gremium in der jüngsten Sitzung in einem fraktionsübergreifenden Antrag noch einmal die Forderung, die "historische Untersuchung in einem zumutbaren Zeitraum abzuschließen, um eine Umbenennung mit Priorität zu ermöglichen". Das Stadtarchiv hat 6177 untersucht. Davon werden 40 belastete Straßen für eine Umbenennung eingehend gepüft.

Ekkehard Pascoe (Grüne) hat viel Zeit verbracht, um der Biografie von Wilhelm Kißkalt (1873-1958) nachzuspüren. Acht Jahre, sagt er, habe er sich mit diesem Mann beschäftigt, hat sogar in einem kleinen Archiv-Raum im Haus der Kunst nach Angaben zu Kißkalt gestöbert. Und noch immer müsse er täglich an dem Straßenschild am Kißkaltplatz, der seinen Namen 1930 und noch zu Lebzeiten Kißkalts bekam, vorbeigehen. Wer war Kißkalt? "Ein bekennender Nazi", sagt Pascoe.

Im aktuellen Antrag stehen daher noch einmal Daten zur Person, die Pascoe zusammengetragen hat. Und er erwähnt darin die seit 2016 vorliegende Geschichte der Munich Re (MR). Darin nehme der Name Kißkalt, wie Pascoe in der Begründung schreibt, eine "prominente Stellung" ein.

Kißkalt wurde "leider ungeprüft, in die Kategorie Wohltäter übernommen"

In dem Buch "Munich Re. Die Geschichte der Münchener Rück 1880 bis 1980" heißt es dann tatsächlich auch, dass der "Betriebsführer" Kißkalt am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten sei. In der Firmenchronik wird in Teil zwei "Die Münchener Rück während der nationalsozialistischen Herrschaft" im Kapitel neun auf Seite 151 darauf hingewiesen, dass "sein Eintritt in die NSDAP eine absolut freiwillige Entscheidung" gewesen sei.

In der Chronik wird weiter von der "Anbiederung an die neuen nationalsozialistischen Machthaber im Gau Oberbayern" gesprochen. Am "Tag der deutschen Arbeit" 1934 trug die Belegschaft der MR Uniform, "Mütze und Hakenkreuzbinden". Auch gewährte die MR unter Kißkalt, so belegt auf Seite 152, "die Freistellung für Schulungskurse der NSDAP, für die sogar ein Kostenzuschuss gewährt wurde".

Aus allen Nachforschungen der Historiker ergebe es sich für Pascoe, "dass Kißkalt zwar ein guter Jurist, aber ein überzeugter Nazi der ersten Stunde war". Das Fazit in der BA-Begründung für die Umbenennung lautet, dass die Munich Re unter Kißkalt "eine aktive Rolle bei der Etablierung und Konsolidierung des noch jungen NS-Systems" gespielt habe. Weil man im Internet nicht viel über Kißkalt findet, außer einem unkritischen Wikipedia-Eintrag, in dem er lediglich als "Mitglied der NSDAP" benannt wird, stößt man auch auf das "Münchner Straßenverzeichnis" von Gerhard Willhalm. So genau wie Ekkehard Pascoe hat dieser sich aber nicht mit der Person Kißkalt beschäftigt. Denn in seinem Straßenverzeichnis stand noch bis vor wenigen Tagen unter dem Kißkaltplatz und in der Kategorie des Namensgebers des Platzes: "Wohltäter NSDAP".

Ebenso übernimmt Willhalm, der im Haftungsausschluss auf der Webseite zwar erklärt, für "die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der Inhalte" keine "Gewähr" geben zu können, die als Wikipedia-Eintrag gekennzeichnete Biografie. Dazu erklärt Willhalm: "Ich habe den Eintrag sofort geändert und Wohltäter herausgenommen. Ich war selbst erschrocken darüber."

Er habe sich, so erklärt Willhalm weiter, auf das Buch "Die Münchner Straßennamen" von Hans Dollinger aus der aktualisierten Auflage von 2016 gestützt. Darin wird Kißkalt als Generaldirektor der Münchner Rückversicherungsgesellschaft genannt, der "gemeinnützige und wohltätige Einrichtungen der Stadt München" gefördert habe. "Deswegen habe ich ihn, leider ungeprüft, in die Kategorie Wohltäter übernommen", sagt Willhalm und ergänzt: "Das konnte man natürlich so nicht stehen lassen."

Der 65-Jährige wird, auch wenn er auf seiner Webseite belastete Straßennamen mit einem roten Ausrufezeichen kennzeichnet, noch weitere Namen genau prüfen müssen. Wie zum Beispiel den Georg-Freundorfer-Platz in der Schwanthalerhöhe. Georg Freundorfer (1881-1940) gilt nach aktuellen Forschungen als Sympathisant der NSDAP. Das Stadtarchiv hat ihn auf die Liste für weitere Nachforschungen gesetzt. Im Münchner Straßenverzeichnis steht in der Kategorisierung: Musiker, Komponist, Zitherspieler.

"Jeder Tag, an dem der Platz nach Kißkalt benannt ist, ist einer zu viel", sagt Pascoe in der Sitzung noch einmal klar und deutlich. Und so überlegte der BA, sofort etwas mit diesem einen Straßenschild anzufangen, bevor eine städtische Entscheidung vorläge: Entweder es "einzustricken" wie Dagmar Föst-Reich (FDP) vorschlug, oder es einfach gleich abzunehmen. Bis jetzt ist das Schild nicht abgehängt. Einen Vorschlag für einen neuen Namen des Platzes hat der BA auch: Olga-Benario-Platz. Die Münchner Jüdin, 1908 geboren, wurde zusammen mit anderen Häftlingen des KZ Ravensbrück 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg ermordet.

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