Kokainskandal der Münchner Polizei:Polizist erscheint "end abgeschissen" zum Dienst

Lesezeit: 3 min

Vor Gericht hat ein weiterer Prozess im Drogenskandal der Münchner Polizei begonnen. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Vor dem Amtsgericht startet der zweite Prozess gegen einen Beamten, der unter anderem sichergestellte Drogen konsumiert haben soll. Dabei bieten sich Einblicke in eine befremdliche Welt.

Von Susi Wimmer

"Bin end abgeschissen Moruk. Linung Jacky, alles halt, danach direkt zum Dienst." In dem Handy-Chat geht es um Koks-Lines ("Linung"), um Jack-Daniel's-Whiskey und eine Absturz-Nacht. Derjenige, der das an einen "Moruk", an einen Kumpel, schrieb, und anschließend "abgeschissen" zum Dienst fuhr, ist Nijaz D., von Beruf Polizeibeamter. Der 27-Jährige steht seit Dienstag vor dem Amtsgericht München. Ihm werden diverse Drogenverstöße vorgeworfen, unter anderem soll er im Dienst sichergestelltes Marihuana abgezweigt haben. Gegen den suspendierten Beamten läuft bereits ein vorläufiges Dienstenthebungsverfahren. Ob er jemals wieder in blauer Uniform durch Münchens Straßen fährt, ist mehr als fraglich.

Nijaz D. ist einer von drei Dutzend Polizisten, die beim größten Drogenskandal bei der Münchner Polizei ins Visier der internen Ermittler gerieten. Die Welt der Gesetzeshüter, die sich nach und nach in den Prozessen auftut, mag befremdlich wirken. Da ist von illegalem Testosteron die Rede, das im Dienstfach der Inspektion Giesing unter den Beamten getauscht wird, von "rotzen" oder "schnupfen", vom kroatischen "belo", das "weiß" heißt, weiß für Pulver, und von der Frage: "Beamt es dich auch so?" Und dass man bei einer Fahrt nach Wien "eskalieren" könne: Testosteron, Wien, Kokain ziehen. "Hoffentlich überleben wir es bis Januar", schreibt der Polizist Nijaz D. einem Kumpel. "Hab Wiederbelebungstabletten am Start", schreibt der zurück.

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Oder die Szene in einer Tiefgarage an der Schwabinger Hohenzollernstraße. Da soll D. auf Einladung eines Großdealers vom Dienstausweis eines Kollegen eine Kokainline gezogen haben. Jener Kollege Fritz F., gegen den aktuell auch verhandelt wird, soll dabei in Uniform gewesen sein, während oben im Streifenwagen ein Kollege wartete.

Der Angeklagte war speziell für die Erkennung von Drogendelikten ausgebildet

Nijaz D. wirkt zum Prozessauftakt äußerlich ruhig. Ein durchtrainierter jungen Mann in braunem Rolli, unter dem der Bizeps spannt. "Er wird sich äußern", verspricht sein Verteidiger Stephan Tschaidse. Die Anklagepunkte, die ihm den Erwerb von Kokain vorwerfen, bestreite sein Mandant. Ebenso den Vorwurf, er hätte im Dienst Marihuana sichergestellt und selbst konsumiert. Den Besitz von Marihuana gesteht der 27-Jährige, ebenso, dass er über seine Cousine in Augsburg Testosteron erwarb und unter Kollegen weitergab.

D. arbeitete auf der Inspektion in Giesing, war dort speziell für die Erkennung von Drogendelikten ausgebildet und unterrichtete darin seine Kollegen. Und, das sagt er selbst, er sei in diesem Segment sehr erfolgreich gewesen. "Ich hab sogar eine Leistungsprämie erhalten. Zwei Monate vor der Suspendierung." Gleichzeitig erzählt D., er habe von 2017 bis 2019 "eine Episode mit Marihuana" gehabt, sei mit Kumpels nach Amsterdam gefahren und habe vielleicht in zwei oder drei Fällen Kokain konsumiert.

In einem Chat mit Kollegen, der vor Gericht verlesen wird, geht es darum, dass ein Polizist gerade 2,5 Kilo Marihuana sichergestellt habe. Dann wird gewitzelt, dass Kollege "Mücke" von der Inspektion Giesing da sicher die Hälfte für sich abgezweigt hätte. D. antwortet: "Wir haben letztens selbst zwei bis drei Gramm weggesteckt." Nijaz D. sagt, "wegstecken heißt sicherstellen". Staatsanwalt Jakob Schmidkonz sieht das anders. Er wirft D. Verwahrungsbruch im Amt vor.

Das Koks soll D. vom Dienstausweis eines Kollegen konsumiert haben

Im Dezember 2017 etwa, so erzählt D., habe er durch Fritz F. von der Inspektion Neuhausen den Drogendealer Stefan H. ( Name geändert) kennengelernt. Man habe H. in seiner Tiefgarage Starthilfe gegeben. Anschließend habe dieser vor den Polizisten drei Lines mit Koks ausgelegt, "als Dankeschön". Man habe vom Autodach das Kokain konsumiert, laut D. auf der grünen MVV-Sondernetzkarte für Polizisten. Er habe noch nie im Leben Drogen gekauft, sagt er weiter. Später korrigiert er sich und meint, er habe nie von Stefan H. Drogen erworben.

Rote Turnschuhe, dicker Parka, schlaksige Gestalt: Auftritt des Kronzeugen Stefan H. vor Gericht. Er erzählt, in der Tiefgarage sei "definitiv vom Dienstausweis" des Polizisten F. das Koks konsumiert worden. Und dass Nijaz D. später ein- bis dreimal bei ihm Kokain gekauft habe. "Da bin ich sicher, ich weiß nur die Anzahl nicht mehr." Aber er sei einer von den Polizisten, die am wenigsten bei ihm gekauft hätten. Täglich vier bis fünf Kunden seien zum Kauf in seine Wohnung gekommen, erzählt Stefan H. Auch er selbst habe mehrere Gramm täglich konsumiert. "Wie viel Gramm am Tag?", fragt ihn die Richterin. "Wie betiteln sie einen Tag, wenn man nicht schlafen geht?", fragt Stefan H. zurück.

An einen Freund schickte Nijaz D. im Dezember 2018 ein Foto, darauf ein Holztisch mit einer weißen Linie, dazu eine Adresse am Giesinger Bahnhof. Er sitze mit Kollegen beisammen, der Freund solle doch noch vorbeikommen. Der interne Ermittler des Landeskriminalamts sagt vor Gericht, man habe in den Haaren von D. Rückstände von Kokain festgestellt. "Können Sie anhand der sichergestellten Chats auf den Handys einschätzen, wie viel er konsumiert hat", fragt Staatsanwalt Jakob Schmidkonz. "Mein Eindruck war, wenn er die Gelegenheit hatte, was zu bekommen, hat er es genommen."

Außerdem erzählt der Ermittler, das Nijaz D. noch ein anderes Verfahren am Hals hatte. Nach SZ-Informationen soll er im Dienst unberechtigt Daten abgefragt haben. Dazu schreibt D. mit einem Kollegen: Wenn das vom Tisch sei, werde man alles richtig machen in Zukunft. "Dann feiern wir das mit einem Joint." Der Prozess wird nächste Woche fortgesetzt.

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