Kirchenfenster in München:Gebete aus Glas

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Leuchtet in Feuerwehrrot: das Floriansfenster, entworfen von der Glaskünstlerin Hella Santarossa für die Kirche St. Florian in der Messestadt Riem. (Foto: Florian Peljak)

Kirchenfenster haben die Menschen von jeher fasziniert. In der Gotik sollten sie den himmlischen Glanz reflektieren, zeitgenössische Künstler finden ihre eigene reizvolle Bildsprache beim Malen mit Licht. Ein Rundgang durch Münchner Gotteshäuser.

Von Jutta Czeguhn, Ellen Draxel, Anita Naujokat und und Renate Winkler-Schlang, München

Kirchenfenster - den Menschen früherer Zeiten galten sie als Tore zum Himmel, als Durchgang von der materiellen zur immateriellen Welt. Selbst wer heute religiösen Levitationsgedanken und Jenseitsfabrikationen eher fern steht, die Glaskunst in den Gotteshäusern lässt niemanden unberührt. Wenn wie durch ein Kaleidoskop Lichtpunkte über schwere Steinböden tanzen, wenn je nach Tageszeit die Atmosphäre im Raum wechselt. Ob in den Bildtraditionen gotischer Meister oder in rätselhaften Abstraktionen, gerade in München, der Stadt mit Glaskunstwerkstätten von Weltruhm, gibt es in den Kirchen viel zu entdecken.

Geheimschrift aus Nägeln

"Er trug sein Kreuz und ging hinaus zur sogenannten Schädelhöhe, die auf Hebräisch Golgota heißt/Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere, auf jeder Seite einen, in der Mitte Jesus." Dieser Auszug aus der Johannespassion steht geschrieben auf dem riesigen, vorangestellten Glasportal der Herz-Jesu-Kirche in Neuhausen, erbaut von den Münchner Architekten Allmann Sattler Wappner, eingeweiht im Jahr 2000. Lesen kann man den Kreuzigungstext dort allerdings nicht wirklich, denn er ist auf extrem komplizierte Weise kodiert. Eigens für Herz Jesu erfunden hat diese Geheimschrift der britische Künstler Alexander Beleschenko. Nägel als Symbol der Kreuzigungswerkzeuge formieren sich zu Bildzeichen und erinnern an die Keilschrift der Sumerer, wie Abdrücke von Griffeln mit dreieckigem Querschnitt in frischem blauen Ton.

Detailaufnahme der gläserne Fassade der Herz-Jesu-Kirche in der Lachnerstraße in Neuhausen. (Foto: Catherina Hess)

Beleschenko verwendet zwei Glasscheiben, auf der äußeren sind die Nägel blau, auf der Inneren sind sie transparent. Drei bis vier Nägel sind jeweils in ein Gitter aus vielen blauen Feldern hinein choreografiert. Das Masterbrain eines Computers hat den Bibeltext in diese Zeichenwelt übersetzt. Sagenhaft komplex war auch die Technik, die bei dieser Glaskunst zur Anwendung kam. Glas mit Schmelzfarben erhaben zu bedrucken, diese Methode hatte Beleschenko in den Neunzigerjahren gemeinsam mit den Experten der Mayer'schen Hofkunstanstalt entwickelt, nun konnten er und die weltweit renommierte Münchner Werkstätte bei diesem faszinierenden Portal ihr ganzes Können unter Beweis stellen.

Herz-Jesu-Kirche, Lachnerstraße 8, www.erzbistum-muenchen.de/pfarrei/herz-jesu-muenchen

Sphärische Lungenflügel

Es mögen Jahre vergangen sein, nach der Pandemie, und doch wird man diese Chor- und Oratorienfenster der Heilig-Kreuz-Kirche wohl nie mehr unbefangen betrachten können. Sie sind auf Basis von mehr als 1000 Thoraxaufnahmen entstanden. Als der Münchner Foto-und Videokünstler Christoph Brech die Idee für diese außergewöhnliche Glaskunst entwickelte, war ein weltweit grassierendes, die Lungen attackierendes Virus kaum vorstellbar. Ein Pneumologe hatte ihm die Röntgenbilder einst überlassen, sie stammen wohl von TBC-Reihenuntersuchungen oder sind vor Operationen entstanden.

Ein Pneumologe hatte Christoph Brech einst die Aufnahmen überlassen, aus denen er das Fenster gestaltete. (Foto: Wolfgang Pulfer)

Das Memento Mori war nicht von Anfang an eingeschrieben in diese zartblauen und sphärischweißen Neoantikgläser, die in einem sehr aufwendigen Verfahren in der Schwabinger Traditionswerkstatt Gustav van Treeck entstanden sind. Eher ein Angerührtsein von der inneren Schönheit und Verletzlichkeit des Menschen. Wie eine Heerschar Seraphim, die nach oben streben, wirken diese Lungenflügel-Paare. Für Christoph Brech ist da auch die Vorstellung vom Odem, den Gott seiner Schöpfung eingehaucht hat. Vom Atem, der Sitz der Seele ist. Auch seine eigene Thoraxaufnahme ist irgendwo in diesem Gebet von 1000 gläsernen Seelen.

Heilig-Kreuz-Kirche, Gietlstraße 2, täglich von täglich 9 bis 19 Uhr geöffnet, www.hl-kreuz-giesing.de

Rechenhilfe vom Astrophysiker

Wer Trost sucht, lenkt seine Schritte oftmals in ein Gotteshaus. St. Florian, katholische Kirche am Platz der Menschenrechte in der Messestadt Riem, das ist ein guter Ort für solche meditativen Momente. Das liegt vor allem am zentralen leuchtenden Glaskunstwerk der Berliner Künstlerin Hella Santarossa. Das 120 Quadratmeter große Werk, zur Zeit seiner Entstehung 2005 das größte sakrale Glasfenster Europas, prägt den von Florian Nagler entworfenen, schlichten Kirchenraum besonders mit seinen hellen, lichten Farben und dem asymmetrisch platzierten Kreuz, das zu schweben scheint. "Die Auferstehung" hat Santarossa dieses Fensterbild genannt.

Von der Glaskünstlerin Hella Santarossa entworfenes Kirchenfenster in der Kirche St. Florian in der Messestadt Riem. (Foto: Florian Peljak)

Die Künstlerin hat in den Aussparungen eigens Plexiglasröhren installiert, die zusätzlich Licht von draußen einfangen. Das solle zeigen, wie Tod in Leben verwandelt werde. So hat sie selbst es beschrieben. Ein Astrophysiker hat ihr ausgerechnet, wie der Einfallswinkel sein muss, damit exakt am Florianstag ein Strahl mitten auf den Altar fällt. Santarossa, die auch das rote kleine Floriansfenster links und das blaue Marienfenster rechts vom Altar gestaltet hat, wollte das zentrale Bild bei der Entstehung auf einmal im Blick haben. In einer eigens angemieteten Halle wurde sie deshalb von Helfern auf einem fahrbaren Gerüst nach ihren Anweisungen über die Glasfläche gezogen, verteilte die keramische schmelzbare gelbe Farbe mit Riesenpinseln liegend oder kniend direkt von oben. Das wirkte wohl etwas chaotisch. Doch sie hatte einen Plan. Glücklicherweise überstand das fragile Konstrukt auch den Transport zu einer österreichischen Industrieglashütte nahezu unbeschadet. Eine "Explosion der Freude" nannte einmal der örtliche Pfarrer das Bild. Es wirkt. Auch, wenn man Trost braucht.

St. Florian in der Messestadt Riem, Platz der Menschenrechte 2, www.sankt-florian.org

Rarität aus der Spätgotik

Glasfenster stellten im Mittelalter wegen ihrer kostspieligen Herstellung und ihrer Leuchtkraft, die mit der von Edelsteinen verglichen wurde, einen hohen Wert dar. Heute sind sie kostbar dank der Kunstfertigkeit, mit der sie einst geschaffen wurden. Eine besondere Rarität, einzigartig in München, findet sich in der Schlosskapelle der Obermenzinger Blutenburg: Die Glasmalereien dort aus der spätgotischen Zeit sind - eine Seltenheit - als vollständiger Zyklus erhalten.

Die historischen Fenster in der Schlosskapelle Blutenburg. (Foto: Stephan Rumpf)

Acht Bildscheiben, unterteilt in 32 Einzelfenster, zeigen im unteren Teil die Passionsgeschichte vom Einzug Christi in Jerusalem bis zu seiner Auferstehung und die Verkündigung des Engels an Maria. Im oberen Teil hat Herzog Sigismund, der Stifter der von 1488 bis 1497 errichteten Schlosskapelle, Wappen anbringen lassen. Sie sollen das Haus Wittelsbach als Mitglied des europäischen Hochadels kennzeichnen. Entstanden zwischen dem 15. und dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts dokumentieren diese Glasgemälde eine Zwischenform zwischen den monumentalen Kirchenverglasungen früherer Jahrhunderte und der späteren Kabinettglasmalerei. Sie sind noch aus einzelnen, durchgefärbten Glasstücken zusammengesetzt, weisen aber bereits Binnenzeichnungen aus Schwarzlot auf, um etwa Falten in der Kleidung oder Gesichter detailgetreuer gestalten zu können. Derzeit werden die mehr als 500 Jahre alten, stilistisch an die Gemälde des spätgotischen Meisters Jan Polack erinnernden Glasmalereien für gut 30 000 Euro restauriert, das erste wurde bereits zum Zwecke einer Mustersanierung ausgebaut.

Schlosskapelle, Blutenburg, Obermenzing, täglich von 10 bis 16 Uhr, www.blutenburg.de

6000 Farbtöne

Detail aus einem Fenster der Christuskirche in Neuhausen. (Foto: Florian Peljak)

Er rückte den wiederkehrenden Christus als Weltenherrscher auf einen Regenbogen, die Füße auf der Weltkugel, zeigt Ausschnitte aus dessen Leben, nahm sich des Wandels, der Erlösung an. Glühende Gleichnisse hat der Glaskünstler Helmut Ammann (1907 - 2001) auf den drei Chorfenstern der Christuskirche in Neuhausen geschaffen. Aus bis zu 6000 Glasfarbtönen komponierte er die Farbgebung und dramatische Bildsprache. Rottöne finden sich in der Zunge des Geheilten ebenso wie in den Wunden Jesu nach der Kreuzabnahme oder als entflammte, bewegte Herzen bei Maria und Magdalena daneben. Gelb und Orange hat Amman spärlicher eingesetzt. Sie tauchen in der "Himmlischen Stadt", den Broten zur "Speisung der Fünftausend", im "Baum der Erkenntnis" auf, fallen einem als Sterne zu Schöpfungsbeginn förmlich entgegen. Es sind Szenen, die ineinanderfließen und doch für sich stehen, in denen allein schon die Farben Geschichten erzählen. "Glasfenster sind ein Testament meiner Kinderseele", soll er einmal gesagt haben.

Die Chorfenster der Christuskirche sind nicht das einzige Werk Ammanns in München. Auch die bunten Bleiglasfenster der Lutherkirche in Giesing stammen von ihm. Doch in keinem der von ihm vorher geschaffenen Fenster habe er eine so expressive, bunte und farbige, fast poppige Bilderwelt ersonnen wie in der Christuskirche, sagte einmal Erich Kasberger, Freund, Kenner und Verwalter von Ammanns künstlerischem Nachlass.

Christuskirche, Neuhausen, Dom-Pedro-Platz 5, Öffnungszeiten unter www.evnn.de

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