SZ-Serie: Sakrale Glaskunst, Folge 4:Gottes Kraftwerk

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Zur Zeit seiner Entstehung war das Glasfenster "Die Auferstehung" der katholischen Kirche St. Florian in der Messestadt das größte seiner Art in Europa. Die Lichtkompositionen Hella Santarossas faszinieren noch heute

Von Renate Winkler-Schlang

Vielleicht hätten sich die Messestadt-Pioniere eine bayerisch-barocke Zwiebelturm-Kirche gewünscht mit kunstvollen Fresken von Heiligen im Himmelsrund und drallen Gips-Engeln. Doch die Messestadt Riem ist ein moderner Stadtteil, und das ökumenische Kirchenzentrum am Platz der Menschenrechte, entworfen vom Münchner Architekten Florian Nagler, trägt dem Rechnung. Weil der Ort der Kontemplation sich auch abgrenzen sollte gegen den Konsumtempel der Riem Arcaden, hat Nagler eine fast klösterliche Anlage mit hohen Mauern konzipiert. Schlicht und weiß präsentiert sich das am 4. Mai 2005, dem Florianstag, rechtzeitig zur Bundesgartenschau eingeweihte Zentrum. Von außen ist kein Schmuck an St. Florian, gleich neben der evangelischen Sophienkirche gelegen, mit der die Katholiken sich den frei stehenden Campanile teilen. Doch das Innere leuchtet.

Von der Glaskünstlerin Hella Santarossa entworfenes Kirchenfenster in der Kirche St. Florian in der Messestadt Riem. (Foto: Florian Peljak)

Zu verdanken ist das vor allem den raumfüllenden Werken der heute 69-jährigen Berliner Glaskünstlerin Hella Santarossa, die das Innere prägen. Nagler entwarf den Grundriss des Kirchenraumes als Kreuz: An jedem der vier Enden gibt es ein Glasfenster zu betrachten, zu bestaunen. Hinter dem Altar die "Auferstehung" in lichtem Gelb-Weiß-Grau - zur Zeit seiner Entstehung das größte bemalte Glasfenster Europas. In Feuerwehrrot dominiert das Floriansfenster mit seinen Glasröhren die Südseite. Gegenüber setzte die Künstlerin für das Marienfenster auf königliches Blau mit viel durchsichtigem Glas. Für den gläsernen Kreuzweg auf der Fensterfront zum Innenhof hin hat Hella Santarossa, die gemeinsam von Florian Nagler und Norbert Jocher für St. Florian ausgewählt worden war, ihre Entwürfe noch immer in ihrem Atelier stehen: Das Erzbischöfliche Ordinariat hat nach Auskunft von Jocher, Hauptabteilungsleiter Kunst, diesen Auftrag dann aber ausgeschrieben und an den Wettbewerbssieger, den 1952 in Ulm geborenen Horst Thürheimer, vergeben.

Das rote Floriansfenster. (Foto: Florian Peljak)

Ganz nachvollziehen kann - und will - wohl auch keiner mehr die Zeit, bis aus Santarossas Entwürfen ihre drei Fenster wurden. Es klingt jedoch von beiden Seiten an, dass es zuweilen "anstrengend" war, Vorstellungen unter einen Hut zu bekommen und alles technisch möglich zu machen. Da waren einige Reisen von Berlin nach München und von München nach Berlin nötig; Flüge, Bahnfahrten und solche auf dem Motorrad, unternommen vom ersten katholischen Pfarrer der Messestadt, Stephan Ostrowitzki. Inzwischen sind alle zufrieden: Jocher sagt, er mache immer wieder Führungen, bei denen die Fenster, vor allem die "explosionsartige Malerei" des zentralen Werks, im Mittelpunkt stehen. Hella Santarossa erklärt, es habe sie viel Kraft gekostet, aber auch viel Spaß gemacht: "Ich würde es wieder tun."

Hella Santarossa hat das zentrale Fenster 2005 bemalt. (Foto: Baumgart)

Ohne christlichen Hintergrund kann man solche Kunst wie das zentrale Auferstehungsfenster wohl nicht kreieren. Santarossa sagt, dass sie, "schön katholisch getauft", schon in den Religionsstunden "voll von Fragen" gewesen sei: "Ich hab' den ganzen Unterricht bestritten." Inzwischen sei sie sicher: "Es gibt da eine Hand, die uns leitet. Es kann gar nicht anders sein. Auch wenn es für mich als Mensch unbegreiflich ist." Für St. Florian habe sie zuerst an eine Darstellung des Kosmos gedacht, auf Ostrowitzki, den Motorradfahrer, gehe die Idee vom "Kraftwerk Gottes" zurück. "Die Kraft, die von Kreuz ausgeht, ich habe es beim Malen durchlitten."

Das blau eingefasste Marienfenster. (Foto: Florian Peljak)

Hella Santarossa, geborene Hildegard Derix, stammt aus einer Glasmaler- und Künstlerfamilie, ihr Vater Wilhelm leitete in dritter Generation das Familienunternehmen in Düsseldorf. Sie wuchs in der Werkstatt auf, Glas war ihr Spielzeug. Als sie 13 war, änderte sie den Vornamen in Hella. Erst später sei ihr die Qualität ihres Taufnamens bewusst geworden. Santarossa jedoch ist kein Künstlername, sie hat einen Italiener geheiratet. Zuweilen setzt sie ein "de" zwischen Hella und Santarossa, eine Reminiszenz an ihre Herkunft, an Derix. Oft aber zeichnet sie nur mit Hella S. Nach ihrer Ausbildung hat sie an der Glasfachschule im hessischen Hadamar in Berlin Kunst studiert, hat Kirchen bestückt, war auch auf der Expo 2000 vertreten, lehrte an Hochschulen. Sie ist gerade in Berlin mit vielen Werken im öffentlichen Raum präsent, der Blaue Obelisk etwa auf den Theodor-Heuss-Platz in Charlottenburg stammt von ihr.

Pfarrer Arkadiusz Czempik ist von den Veränderungen angetan. (Foto: Florian Peljak)

Ihre Erfahrung mit dem Werkstoff und mit großflächigen Leinwänden ließ sie auch für St. Florian groß denken. Die Entstehung der "Auferstehung" war spektakulär: Weil die Künstlerin das ganze Werk auf einmal im Blick haben wollte, mietete man in Unterföhring eine Halle des ZDF, Studio 4, wo sämtliche Felder des 120 Quadratmeter großen Bildes auf einmal ausgelegt waren. Weil Glas nun mal zerbrechlich ist, konnte sie nicht darauf herumgehen: Es wurde ein fahrbares Gerüst gebaut, auf dem Mitarbeiter die Künstlerin nach ihren Ansagen vor und zurück schoben. Sie kippte eimerweise gelbe keramische Schmelzfarbe aus, verteilte sie liegend oder kniend mit mehr als zwei Meter langen Riesenpinseln. "Crossart" nennt sie ihre Vorgehensweise, die Stil- und Materialgrenzen überschreitet. Alles sah sehr spontan aus, doch es gab einen Plan. Sie hatten Glück, nur wenig zerbrach am Ende beim Transport zum Brand in einer Industrieglashütte in Österreich und musste wiederholt werden. Die Feinkorrekturen machte die Künstlerin mit Farbe auf der Rückseite. Das Kreuz blieb von Farbe frei, durchsichtig. Asymmetrisch platziert, leuchtet es aus dem Bild. Norbert Jocher sagt, er hätte es in diesem abstrakten Werk gar nicht gebraucht, aber er habe seinen Frieden damit geschlossen. Stephan Ostrowitzki, der jetzt im Pfarrverband Haar eingesetzt ist, entgegnet, das Kreuz sei eben "das zentrale Symbol unseres Glaubens".

Die Scheiben der Auferstehung haben unzählige Löcher: In einige setzte die Künstlerin lange, schräg angesägte Plexiglasstäbe, jeden in einem anderen Winkel: Sie holen zusätzlich von draußen Licht in den Kirchenraum, denn das Fenster ist von außen teilweise hinter Lisenen verborgen, schmalen Betonsäulen. Sogar mit einem Astrophysiker arbeitete Hella Santarossa zusammen, um hinzubekommen, dass pünktlich am Florianstag ein Lichtstrahl exakt am Floriansaltar auftrifft. Santarossas Auferstehung ist immer eindrucksvoll, sie ist aber auch immer anders - je nach dem Stand und der Kraft der Sonne. "Unsere Zeit", sagt sie, "sucht nach Auferstehung". Das Licht zeige, wie Tod in Leben verwandelt werde, erklärt Jocher. Diese Kirche habe wirklich eine "sakrale Aura".

Arkadius Czempik, derzeit Pfarrer für den Pfarrverband "Vier Heilige", zu dem St. Florian gehört, hat die Osternacht in diesem Jahr in Kirchtrudering, in St. Peter und Paul gefeiert. Oft aber baut er die Symbolik des Auferstehungsfensters unterm Jahr in seine Predigten ein. "Es ist eine Explosion der Freude", sagt der Pfarrer, "und gleichzeitig sanft."

Nächste Folge: die Christuskirche in Neuhausen

© SZ vom 25.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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