Was ist denn da los? Klimaaktivisten danken der Ordnungsbehörde. Ein Linken-Stadtrat lobt die Polizei. Und Nachbarn sind begeistert von den jungen Leuten, die sich in ihrem Park niedergelassen haben. Es ist die Woche der IAA in München, in Schwabing findet das Mobilitätswendecamp statt, und der Luitpoldpark wird zum Ort der Komplimente. Verkehrte Welt? Oder ist das hier schlicht die Welt der nächsten Generation? Es ist jedenfalls eine Welt, in der Klimaaktivistinnen und -aktivisten nicht unwidersprochen lassen wollen, was sie für ein Verhängnis halten, das ungebremste Weiter-so auf der Straße mit all den Emissionen.
In einem der großen, weißen Zelte, die Gruppentreffen, Workshops und Vorträgen dienen, sitzt auf dem Gras im Schneidersitz ein junger Mann, 21 Jahre alt, und erzählt von seiner Gruppe, den "Geschwistern for Future". Er hat sie frisch gegründet, weil er auch die Belange der jüngeren Geschwister zum Thema machen will, seine seien 19 und zehn Jahre alt. Alle, die heute Kinder sind, seien besonders von der Klimakrise betroffen, sie werden erleben, wenn es an vielen Tagen unerträglich heiß sein wird. Ob er seinen Namen sagen will? Er stutzt, kramt sein Handy raus, wischt und tippt und überlegt laut: Mist, wie habe ich mich noch mal genannt? Ah ja, in der Pressemitteilung steht sein Name, Max Markmüller. Er lacht.
Gedämpft ist ein Sägen zu hören, es kommt aus dem Nachbarzelt. Dort stehen und hocken die anderen "Geschwister for Future" und schneiden Holzlatten ab. Einige liegen zusammengebunden am Rand des Zelts, Max Markmüller holt ein Bündel nach draußen und demonstriert, was aus den acht Latten wird, wenn man sie zusammenschraubt: ein "Gehzeug". Eines in den Maßen eines SUV. Mit dem knapp zwölf Quadratmeter einnehmenden Gestell wollen sie auf die Straße gehen, um zu demonstrieren, wie viel Platz ein übliches Auto braucht, mit dem meist nur ein Mensch von A nach B fährt. Da weiß Max Markmüller noch nicht, dass die Aktion mit einem Dutzend "Gehzeugen" am nächsten Tag scheitern wird: Die Polizei fängt den Transporter mit den Latten-Paketen ab.
Seine Vision sei, sagt Max Markmüller, aus München eine Fahrradstadt zu machen, eine wie Kopenhagen oder Amsterdam. Außerdem findet er, dass die Medien viel mehr das Positive betonen sollten, die eine Umgestaltung von Städten mit sich bringe. So könne man Menschen viel eher zum Mitmachen motivieren, als wenn immer nur der Fokus auf Problemen und Dystopien liege.
Im Luitpoldpark wirken die Katastrophen der Gegenwart, Waldbrände, Überschwemmungen, Hagel, sehr weit weg. Hier ist Idylle. Das Camp nutzt zwei Wiesen, rundherum spenden große Bäume Schatten. Ein halbes Jahr lang haben sie das organisiert, berichtet Vanessa Probst, eine der Sprecherinnen. Sie lobt die Kooperation mit dem Kreisverwaltungsreferat, die sei sehr angenehm.
Es werden täglich mehr, für 1500 ist das Camp angemeldet
Über dem großen Zirkuszelt, das sie für Plena nutzen, ist ein Banner gespannt: "Luft zum Atmen." Ein kleines, buntes Rundzelt ist erste Anlaufstelle für alle Ankommenden, 400 sind an diesem Tag schon da, auch jene 120 Radler, die durch halb Deutschland nach München gefahren sind. Es werden täglich mehr, für 1500 ist das Camp angemeldet. Jetzt wird die Fläche erweitert, um mehr Platz für die vielen, kleinen Privatzelte zu haben. Eng an eng stehen sie auf eigens markierten Flächen, wie auf einem Campingplatz, und je nach Blickwinkel bilden sie eine bunte Hügellandschaft, blau, grün, grau, gelb, silbern.
Achtsam wollen die Veranstalter miteinander umgehen, ein Anliegen, das charakteristisch ist für die Generation junger Klimaaktivisten. Sie haben ein Awareness-Konzept, mit dem sie Diskriminierung verhindern wollen. Sie streben ein "harmonischeres Miteinander" an als üblich in der Gesellschaft, "dafür fordern wir von allen eine lernende und offene Haltung ein", heißt es auf einem Plakat.
So entspannt die Atmosphäre wirkt, so klar und konfrontativ ist die politische Zielsetzung: "Unser übergeordnetes Ziel ist eine globale klimagerechte und soziale Mobilitätswende, das wir nur erreichen können, wenn wir unser derzeitiges kapitalistisches Wirtschaftssystem, das den Profitinteressen einiger weniger dient überwinden. Wir brauchen einen System-Change." Anfangen wollen sie, indem sie Barrieren abbauen, die üblicherweise viele Menschen ausschließen.
Es gibt Ruhezonen und ein Pflegezelt, dort sollen sich Menschen im Rollstuhl ungestört umziehen können. In einem Zelt wird nur in Gebärdensprache kommuniziert und vorgetragen. Für hörende Menschen haben sie Plakate mit dem Gebärdenalphabet aufgehängt, und für Gehörlose einen Alarmplan. Auf dem Gelände sind Lichter installiert, die in verschiedenen Farben leuchten, wenn Gefahr droht. Rot für Feuer, gelb für Unwetter, blau für "Gefahr durch Polizei".
Dass "Max" seinen echten Namen nicht nennen will, ist keine Ausnahme
Das erinnert an die üblichen Reibungspunkte bei solchen Camps. Dass "Max", der Gehzeug-Bauer, seinen echten Namen nicht nennen will, ist keine Ausnahme im Camp. Viele wollen sich nicht erkennbar fotografieren lassen, viele nennen allein ihren Vornamen. Sie haben offenbar Sorge, auf Listen der Polizei zu landen, amtlich als Klimaaktivisten gekennzeichnet zu werden. Ob die Angst berechtigt ist, wer weiß. Aber dass diese Angst bei jungen Leuten existiert, die sich engagieren, mitunter an der Grenze der Legalität, mal kreativ, mal frech, mal störend, das sagt einiges über das Klima in München zu Zeiten der zweiten IAA.
"Kriminalisierung." Dieses Stichwort hört man oft im Camp. Auch von einer jungen Frau, sie verrät nur ihren Vornamen. Nina erzählt, dass sie am Vorabend zusammen mit drei männlichen Mitstreitern von der Polizei aufgehalten und kontrolliert worden sei, gegen elf. Sie seien auf dem Rückweg von einer Dönerbude in Schwabing gewesen, als Polizeiautos neben ihnen fuhren und sie schließlich stoppten. Die drei jungen Männer seien auch körperlich durchsucht worden, bei ihr habe die Polizei darauf verzichtet, weil keine Beamtin da gewesen sei. Gefunden hätten sie nichts Verbotenes, versichert Nina, nach zwanzig Minuten sei das Ganze vorbei gewesen. Das Geschehen spricht sich rasch herum im Camp, für viele ein weiteres Indiz für "Kriminalisierung". Auf SZ-Fragen heißt es bei der Polizei, dass solche Kontrollen zum Einsatzkonzept gehörten.
Für das Wochenende sind unangemeldete Proteste angekündigt
Thomas Lechner kennt solche Geschichten. Er ist Stadtrat der Linken und der offizielle Versammlungsleiter, er hatte diese Rolle schon beim Camp zur letzten IAA. Damals gab es viel Hickhack, mit dem KVR und mit der Polizei, die mit sehr vielen Mannschaftswagen das Camp umstellte. Jetzt sitzt Lechner auf einer der vielen Bierbänke und sagt, er wisse gar nicht, wo er anfangen soll mit seinem Lob. "Kompetent, zugewandt, vermittelnd", so habe er die KVR-Mitarbeitenden erlebt. Auch die Polizei sei diesmal viel kooperativer und halte sich an Absprachen. Und die Kontrollen? Lechner ist entspannt: "Die kleinen Schikanen, die können wir nicht verhindern." Alles aber kein Vergleich zum letzten Mal, heuer seien die Kontrollen für Münchner Verhältnisse "auf sehr niedrigem Niveau". Hauptsache, der Gesprächsfaden reiße nicht ab, sagt er, das verhindere eine Eskalation.
Im Camp bereiten sie sich auf das Wochenende vor, da sind unangemeldete Proteste angekündigt, am Sonntag dann die Abschluss-Demo. Die im Camp vertreten Gruppen heißen "Sand im Getriebe" oder "No Future for IAA", letztere mit einem brennenden Reifen als Logo. Am Freitag und Samstag wollen sie mit unangemeldeten Aktionen die IAA stören.
In einem Zelt besprühen Aktive gerade gelbe Warnwesten mit dem Slogan ihrer Gruppe: "Smash IAA." Auf einem Plakat steht: "IAA? Wir haben Bock!" Zu sehen ist ein Bock, der ein Auto auf die Hörner nimmt. Vor dem Zelt liegt ein schwarzes Tuch auf dem Boden, als Schutz für den Rasen, eine Frau malt mit weißer Farbe den Buchstaben t, am Ende könnte auf dem Transparent so was stehen wie: Die Straße gehört uns. Ein Contra zur IAA, die so viele Straßen und Plätze in der Innenstadt nutzt.
Vor zwei Jahren stand das Camp auf dem Schotter der Theresienwiese, wegen der Corona-Auflagen auch noch eingezäunt. Diesmal ist das Areal offen und durchlässig, auf Fuß- und Radwege komme auch mal "Laufkundschaft" vorbei, erzählt Vanessa Probst und lacht. Einer der "Laufkunden", ein älterer Herr, hat auf dem Weg zwischen den Zelten sein Rad abgestellt. Im Infozelt sammelt er ein paar Materialien ein, zum Beispiel die "Rote Klimakarte" gegen neue Autobahnen. Horst Metzger heißt er, 79 Jahre alt, früher Schulleiter. "Ich habe so etwas Gelassenes noch nicht erlebt." Er sagt das, als würde er das Betragen einer Schulklasse beurteilen, übersetzt in eine Note wäre sein Lob eine glatte eins. Begeistert sei er von den jungen Leuten, kein Schreien, kein Drängen, alles so ruhig. Es geht aufs Abendessen zu, man hört Musik aus Boxen, aber dezent. Horst Metzger sagt, er wohne gleich nebenan und würde sich freuen, wenn dieses Camp zur jährlich wiederkehrenden Veranstaltung würde.
Im Vorfeld gab es Sorge, dass die jungen Leute Wiesen und Bäume ramponieren könnten. Wer ihnen zuschaut, hat eher den Eindruck, dass sich der Park keine besseren Beschützer wünschen könnte. Gisela Gerstner, 72, auch eine Schwabingerin, hat von einer Parkbank eine Weile das Camp beobachtet, auch sie ist beeindruckt: "Mir gefällt es, dass es noch junge Leute gibt, die sich fürs Klima engagieren. Weil, die Alten tun es nicht, leider."