Darf die Stadt München verbieten, dass in städtischen Räumen über die gegen Israel gerichtete Kampagne "Boycott, Divestment, Sanctions" (BDS) diskutiert wird? Im Dezember 2017 hat der Stadtrat genau das getan und jene Kampagne in einem Beschluss als antisemitisch gebrandmarkt. Doch mit diesem Verbot habe der Stadtrat unzulässig die Meinungsfreiheit eingeschränkt, hat nun der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem am Donnerstag bekannt gegebenen Urteil festgestellt. Die Stadt will dagegen Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht einlegen.
Geurteilt hat das Gericht nicht über den Stadtratsbeschluss selbst, sondern über eine verhinderte Diskussionsveranstaltung; doch dieser Rechtsstreit ist der erste, der sich mit den Folgen des Stadtratsbeschlusses von 2017 befasst. Kläger ist der Münchner Klaus Ried. Er wollte 2018 Räume im Stadtmuseum mieten, um über jenen Beschluss zu diskutieren. Die Stadt lehnte ab, weil zu erwarten sei, dass über BDS gesprochen werde, dafür gebe es keine Räume. Ried klagte. Vor dem Verwaltungsgericht blieb er im Dezember 2018 erfolglos, die höhere Instanz aber gab ihm nun Recht.
Die Stadt müsse Ried für seine Diskussion Zugang zum Bürgersaal Fürstenried verschaffen, heißt es in dem Urteil. Die Entscheidungsgründe reichen über die einzelne Veranstaltung hinaus. Der Stadtratsbeschluss verletze das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, heißt es. Ob BDS antisemitisch sei oder nicht, sei dafür unerheblich: Auch antisemitische Äußerungen dürfe man nur von vornherein untersagen, wenn sie den öffentlichen Frieden gefährdeten, das sei hier nicht erkennbar. Zusätzlich verstoße der Stadtratsbeschluss gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz: Es fehle ein tragfähiger Grund, eine Diskussion zur BDS-Kampagne zu ächten, andere politische Veranstaltungen aber nicht.
"Wir stellen uns offensiv gegen Antisemitismus"
Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) nannte das Urteil bedauerlich: "Die aktuelle Zunahme antisemitischer Vorfälle und Straftaten zeigt, wie wichtig ein entschlossenes Handeln gegen jede Form der antisemitischen Stimmungsmache ist." Er werde sich für eine Revision einsetzen. Christian Vorländer, Fraktionsvize von SPD und Volt im Rathaus, sagte, seine Fraktion stehe zu dem Beschluss von 2017. "Wir stellen uns offensiv gegen Antisemitismus. Darauf kann sich die jüdische Gemeinschaft in München verlassen."
Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, dankte der Stadt; die Symbolkraft des Beschlusses sei ungebrochen. Juden müssten Vertrauen haben, dass die Gesellschaft Antisemitismus bekämpfe. Schwinde dieses Vertrauen, weil Hass auf jüdische Menschen und Israel im öffentlichen Raum folgenlos bleibe, sinke auch das Vertrauen auf eine Zukunft in diesem Land.
Kläger Klaus Ried nannte das Urteil einen wichtigen Etappensieg. Glücklich sei er aber nicht. Denn das Gericht bezeichne seine Veranstaltung als Podiumsdiskussion über die BDS-Kampagne, das sei irreführend. Es solle um die Meinungsfreiheit gehen. Außerdem verstehe er nicht, warum ihn das Gericht auf den Bürgersaal in Fürstenried festgelegt habe. Den Saal habe sein Anwalt zwar als möglichen Ausweichort genannt, er sei aber ungünstig zu erreichen. Das Gericht hatte den Saal gewählt, weil eine politische Veranstaltung, anders als beim Stadtmuseum, zu seinem Widmungszweck passe.