Ausstellung in München:"Wenn man sich verbiegen muss, kann man nicht glücklich sein"

Lesezeit: 3 min

"Es ist die Aufgabe von sozialer Fotografie, auch die Menschen zu repräsentieren, die oft nicht gesehen werden", sagt Fotografin Bethel Fath (links). Gemeinsam mit Gertraud Rieger hat sie nun ein Projekt im Auftrag von Münchenstift umgesetzt. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Fotoprojekt von Bethel Fath und Gertraud Rieger zeigt die Lebenswelt von lesbischen Frauen. Ihre Geschichten machen deutlich: Es braucht viel Mut, so zu sein, wie man möchte.

Von Sabine Buchwald

Auch wenn in München Regenbogen-Fahnen als Symbol für Vielfalt an Bussen und Bahnen wehen oder die bunten Sticker an Türen von offen gesinnten Kneipen kleben, der Umgang mit Homosexualität ist noch immer keine Selbstverständlichkeit. Die Diskussion um die Beleuchtung der Allianz-Arena zur Fußball-Europameisterschaft hat dies gezeigt. Und dennoch ist das Leben hier freier als anderswo. Nur: "Die Freiheit zum ,Anderssein' ist hart erkämpft", sagt Bethel Fath. "Vor allem jüngere Leute begreifen nicht, dass wir an einem privilegierten Ort leben. Wir sollten dankbar dafür sein." Alle Menschen hätten doch etwas davon, ein Teil dieser Vielfalt zu sein.

Zeigen, wie und wen man liebt, in vielen Ländern der Welt ist das nicht ohne Weiteres möglich: für heterosexuelle Menschen nicht, etwa weil ihre Verbindung als unstandesgemäß angesehen wird; und für homosexuelle Menschen schon gar nicht, weil ihre Zuneigung mancherorts als Abweichung von der Norm gilt. Die Bekenntnis zur gleichgeschlechtlichen Liebe ist in zahlreichen Staaten gesetzlich untersagt. Oft kann allein ein Verdacht für die Betroffenen lebensbedrohlich sein. In Deutschland stellte noch bis Juni 1994 der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches "sexuelle Handlungen" zwischen Männern unter Strafe.

Fotoprojekt
:"Wichtig ist die Authentizität"

"Die Freiheit zum ,Anderssein' ist hart erkämpft", sagt Fotografin Bethel Fath. Zwölf Lebensgeschichten von lesbischen Frauen.

Von Sabine Buchwald

Fath, 50, kurze Haare, schlank, sportliche Figur, nimmt lebhaft ihre Hände zu Hilfe, wenn sie spricht. Sie ist Fotografin, hat an der Münchner Fotoschule gelernt, als diese noch in der Clemensstraße war. Bekannt ist sie für ihre Bilder, die sie von Reisen mit der Ethnologin Gertraud Rieger mitbringt. Sie sind über die russische Halbinsel Kamtschatka gefahren und durch Namibia. Das Altai-Gebirge haben sie auf Pferden durchwandert und in Vanuatu im Südpazifik in einfachen Hütten gewohnt. Überall stehen bei Fath die Menschen im Mittelpunkt. Lange schon arbeitet sie nach dem Grundsatz "Fotografie ist soziales Handeln". Ihre Webseite empfängt mit dem Satz: "Es ist die Aufgabe von sozialer Fotografie, auch die Menschen zu repräsentieren, die oft nicht gesehen werden."

Mutige Frauen und ihre Lebenswege sichtbar machen, darum geht es in dem Projekt, das sie zusammen mit Rieger die vergangenen zwölf Monate beschäftigt hat. Die beiden bekamen von Münchenstift den Auftrag, lesbische Frauen zu porträtieren und deren Geschichten aufzuschreiben. "Wie sehen lesbische Frauen heute die Welt? Und wie schaut die Welt auf sie? Welche Lebensentwürfe sind denkbar? Und wie wollen Lesben die Zukunft und ihr Leben im Alter gestalten?" Diese Fragen stehen wie Titel über dem Projekt.

Sie gaben den Interviews, die Rieger führte, eine Richtung. Die Idee dazu stammt von Michael Härteis und Franziska Perek. Härteis ist Leiter der Stabstelle Vielfalt, die vor sieben Jahren von der Stadt eingerichtet wurde. Perek ist dort für Fortbildungen und Projekte, wie das von Fath und Rieger, in den 13 Alten- und Pflegeheimen von Münchenstift zuständig. "Mit unserer Arbeit wollen wir den Rahmen schaffen, dass alle so leben können, wie sie möchten, dass diversitätssensibel miteinander umgegangen wird", sagt Härteis. Gerade in der Pflege könnten alte Traumata aufbrechen.

Perek bat Fath und Rieger, die Gespräche mit den Teilnehmerinnen in einem generationenübergreifenden Dialog stattfinden zu lassen. Vor einem Jahr startete sie einen deutschlandweiten Aufruf dazu in der Lesben-Community. Es sollten auch ausdrücklich Mitarbeiterinnen von Münchenstift dabei sein. Perek selbst ist es auch. Die Pandemie hat den Radius letztlich eingeschränkt. Und manche Frauen wollten im letzten Moment doch nicht in die Öffentlichkeit mit ihrer Geschichte. Von den 40 Interessentinnen, die infrage kamen, verringerte sich die Zahl am Ende auf 20. Die älteste ist 87 Jahre alt, die jüngste erst 17.

Von April bis Mitte Mai fanden die Treffen mit der Fotografin und der Interviewerin statt. Fast immer im Freien und an Orten, die für die Frauen eine Bedeutung haben: im Olympiazentrum zum Beispiel, weil es mit Joggen und Jobs in Verbindung steht; vor dem Münchner Rathaus, weil eine Frau dort geheiratet hatte.

Die Teilnehmerinnen kannten sich nicht und mussten erst zueinanderfinden. Während Rieger die Fragen stellte, beobachtete Fath mit ihrer Kamera. Neben den inszenierten Bildern hat sie auch spontane Gesten festgehalten. Ernste und fröhliche Augenblicke. Die Begegnungen seien oft emotional gewesen, sagt Rieger. "Es gab viele Aha-Momente und auch viel Gemeinsames." Alle Frauen hätten berichtet, dass sie nicht unbekümmert Hand in Hand mit ihren Partnerinnen durch die Straßen liefen. Selbst im Glockenbach-Viertel nicht. Für Lesben bliebe wohl immer ein Moment der Unwägbarkeit, sagt Rieger, 59, grauer Kurzhaarschnitt, Brille. In ihrem Gesicht dominiert ein Lächeln, das innere Ruhe ausstrahlt. An der Münchner LMU hat sie Ethnologie, Philosophie und Psychologie studiert. Sie ist gelernte Übersetzerin, hat zudem eine Heilpraktiker-Ausbildung und baut sich gerade eine Praxis für Hypnose-Therapie auf. "Ein neues Standbein", sagt sie. "Ich bin ja Freiberuflerin."

SZ PlusMeinungRegenbogen-Debatte
:Sind wir die Guten?

An Eilfertigkeit macht den Deutschen keiner was vor - sie ergreifen jede Chance, um zu zeigen, dass sie auf der richtigen Seite stehen. Zum Problem wird das, wenn die Eilfertigen sich an sich selbst berauschen.

Kommentar von Detlef Esslinger

Was die Frauen von sich erzählen, soll andere ermutigen, ihren Weg zu gehen. Denn auch darin stimmten die Frauen überein: "Wenn man sich verbiegen muss oder verbogen wird, kann man nicht glücklich sein." Eine Teilnehmerin aus Uganda die wegen ihrer Homosexualität ihr Land verlassen hat, spricht begeistert von der Offenheit, die sie in Deutschland erlebt. Von ihr hörte Rieger den Satz: "There is always a rainbow at the end of a storm." Ein Regenbogen am Ende des Sturms, das Symbol für Hoffnung, Toleranz und Vielfalt.

© SZ vom 08.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusLGBITQ* in Bayern
:Wie tolerant München wirklich ist

Seit dem EM-Spiel gegen Ungarn wehen in Bayerns Landeshauptstadt viele bunte Fahnen. Aber ist die Stadt so offen, wie sie sich gerne präsentiert? Auch hier passieren erschreckende Geschichten.

Von Lisa Sonnabend

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: