Eine gute Welle trägt ihren Surfer, sicher und stark. Doch diese vier haben gerade Pech: Nasse Gestalten mit Neoprenanzug und Surfbrett springen in den Ländkanal in Thalkirchen. Dort, wo das Wasser eine Rampe hinab rast und manchmal eine gute Welle formt. Heute nicht. Da ist nur Gischt, schaumig, schwach. Noch bevor einer der Surfer auf dem Brett steht, zieht es ihn weg, als hinge er an einem unsichtbaren Faden.
Vom Ufer aus beobachtet Wolfrik Fischer die Stehversuche. Lange Haare, goldener Ohrring, drahtig - man sieht ihm den Surfer an, obwohl er es zuletzt selten aufs Brett geschafft hat. Fischer ist der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Surfen in München (IGSM), quasi der oberste Surf-Lobbyist der Stadt. "Ein Fulltimejob", sagt er, ein Vollzeitjob. Zurzeit ist dieser Job mal wieder besonders kompliziert. "Wir haben das Worst-Case-Szenario", sagt Fischer mit Blick auf das Wasser.
Gerade mal drei stationäre Wellen gibt es in der Stadt - für geschätzt 2500 Surfer. Und nun haben sie eine davon verloren, eben jene im Ländkanal in Thalkirchen, die Floßlände. Mitten in der Saison und ausgerechnet jetzt, wenn niemand in den Urlaub ans Meer fahren kann. "Wo sollen die alle hin?", fragt Fischer.
Selbst an ihren besten Tagen ist die Floßlände nicht so spektakulär wie die Walze am Eisbach und nicht so illegal wie die Schwelle am Dianabad. Dennoch spielt sie eine wichtige Rolle für die Surfszene der Stadt: Denn sie läuft gleichmäßig, ist ideal für Anfänger. Bereits vor 50 Jahren surften dort die ersten Münchner in einem Kanal. Die Welle hat Tradition. Und dazu gehört auch, dass traditionell um sie gestritten wird. So wie jetzt wieder.
Vor gut zehn Jahren begannen die Stadtwerke München (SWM), im nahen Wasserkraftwerk, dem Isarwerk I, verstärkt Ökostrom zu produzieren. Seitdem fließt weniger Wasser durch den Ländkanal, den nicht nur die Surfer, sondern auch die Wildwasserfahrer von acht Kanuvereinen als Trainingsstrecke nutzen. Sie haben keine andere. "Uns fehlt die Grundlage für unseren Sport", sagt Andreas Strüwing, Abteilungsleiter beim ESV München. Man könne zwar ein wenig im Isarwerkkanal herum paddeln, aber ohne Strömung sei das nicht sehr aufregend.
Es geht um grundsätzliche Fragen: Was ist wichtiger für die Stadt: Sport oder Strom? Wem gehört das Wasser? Die Stadtwerke haben ein sehr altes Nutzungsrecht, 1907 verbrieft, und den modernen Auftrag, grünen Strom zu produzieren. Und dann gibt es noch die Floßbetriebe, deren Ausflüge den Ländkanal hinabführen und die auf ausreichend Wasser angewiesen sind, damit ihre Flöße nicht stranden. Deswegen gab es einen Kompromiss: Während der Saison, von Mai bis September, lenkt die Stadt nachmittags einige Stunden Wasser in der Kanal - für die Flößer, doch die Surfer und Paddler schwammen sozusagen auf der Welle mit.
Dann kam Corona. Seitdem darf niemand mehr dicht an dicht auf einem Floß sitzen. Noch bis 30. Juni gibt es keine Fahrten - und für die Stadtwerke somit auch keinen Grund mehr, auf Wasser zugunsten der Flößer zu verzichten. Trotzdem zusätzliches Wasser einzuleiten, widerspreche den "Kernzielen der SWM", heißt es auf Anfrage. Außerdem sei der Pegel wegen des trockenen Frühjahrs gerade sowieso zu niedrig. Und es gibt noch einen Grund, warum die SWM ungern Wasser abgeben: das Naturbad Maria Einsiedel unterhalb der Floßlände. Bei zu viel Wasser im Kanal könnte das Bad überlaufen.
Für die Surfer bedeutet das: eine Welle weniger. Sie haben die schwächste Lobby, die jüngsten Ansprüche. "Wir haben aber inzwischen auch 50 Jahre auf dem Buckel", sagt Wolfrik Fischer, als entstehe durch Zeit auch Recht.
Wäre dies ein normaler Sommer, stünden täglich Dutzende Surfer an der Floßlände in der Schlange, um kostbare Surfzeit zu ergattern. Stattdessen zieht es sie nun an den Eisbach, wo die Welle seit Anfang Mai wieder offen ist. Auch Anfänger kommen jetzt dorthin. Man erkennt sie sofort: Surfer, die mit zittrigen Knien aufs Brett steigen, die schon beim Einstieg ins Wasser scheitern. Die Welle wirft sie ab wie ein bockendes Pferd. "Das ist gefährlich", sagt Fischer. Von den 2500 Surfern "können am Eisbach höchstens 500 bis 600 wirklich surfen - vom Können her", sagt er. Deswegen sei es unverantwortlich, der Anfängerwelle kein Wasser zu geben.
Vergangene Woche hat die IGSM einen offenen Brief an Oberbürgermeister Dieter Reiter geschrieben, unterzeichnet auch von Vertretern der Kanuvereine. In Reiter wähnt Fischer einen Verbündeten. Der OB hat sich immer wieder für das Surfen an der Floßlände ausgesprochen. Auch jetzt wolle er eine schnelle Lösung, teilt seine Sprecherin mit. Sogar im Koalitionsvertrag taucht das Thema auf: Die Sportstätte dort soll "auf Dauer" gesichert werden. Wie genau, das steht allerdings nicht in dem Papier.
Die Surfer wollen gern länger surfen, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Die Stadtwerke wollen das nicht, denn weniger Wasser bedeutet weniger Strom und damit auch weniger Einnahmen. Der Vorschlag der IGSM würde einen finanziellen Verlust im mittleren fünfstelligen Bereich pro Jahr bedeuten, heißt es von den SWM. Die Surfer rechnen mit deutlich weniger. Vor allem aber bezweifeln sie, dass das Nutzungsrecht der Stadtwerke in Stein gemeißelt ist. Wenn ein öffentliches Interesse bestehe, sagt Fischer, müssten die Stadtwerke auf Wasser verzichten. Und Surfen, klar, das sei von öffentlichem Interesse. Nicht nur für die Sportler selbst - für Touristen gehört der Eisbach zum Pflichtprogramm wie die Frauenkirche oder das Hofbräuhaus. Das Stadt-Surfen ist eine Attraktion, es prägt das Image Münchens mit.
Fischer glaubt nicht, dass die Stadt grundsätzlich etwas gegen seinen Sport hat. "Der Wille ist schon da, es fehlt an der Konsequenz." Aber er sagt, dass er allmählich die Lust verliere, das ewige Ringen mit den Behörden, den Stadtwerken, die vielen runden Tische. Und am Ende stehen sie trotzdem wieder ohne Welle da. "Ich verstehe das nicht."
Bevor er sich verabschiedet, gibt er den vier Anfängern an der wellenlosen Floßlände noch einen Tipp: Die Leash, die Sicherheitsleine, nicht um den Fuß wickeln, sondern ums Handgelenk. Denn wenn sich das Seil am Grund verfange, könne das sonst übel enden. Wenn es nur immer so einfach wäre.