Bildung in Corona-Zeiten:So verlief die erste Woche an Münchens Schulen

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Präsenzunterricht vor vollen Klassen, wie lange das wohl gut geht? Lehrer schildern Probleme, Corona-Regeln durchzusetzen - und bereiten ihre Schüler schon einmal auf ein erneutes Lernen daheim vor.

Von Jakob Wetzel

Wenn sie vor der Klasse stehe, vergesse sie die Pandemie manchmal, sagt Heidi Lungmus: Dann fühle es sich an wie immer, trotz der Masken. Bis sie dann in der Zeitung lese, dass zum Beispiel in Baldham das Kollegium einer Grundschule in Quarantäne geschickt worden sei. Die Frau eines Kollegen unterrichte dort, sagt Lungmus. Was, wenn sie positiv getestet wird? Heidi Lungmus lehrt Deutsch und Geografie an der städtischen Werner-von-Siemens-Realschule in Neuperlach; sie ist dort Personalrätin sowie Vertrauensperson der Gewerkschaft GEW, und die Lehrer machten sich Gedanken, sagt sie. Es fühle sich ein bisschen an wie im März, kurz bevor die Schulen geschlossen wurden: "Die Einschläge kommen näher."

Am Dienstag hat für etwa 162 500 Schülerinnen und Schüler in München der Unterricht begonnen. Nach Zahlen des Bildungsreferats und des Staatlichen Schulamts gibt es einmal mehr einen Rekord zu vermelden: 11 450 Kinder besuchen jetzt die erste Klasse an einer staatlichen Grundschule in München, das sind so viele wie nie. Im vergangenen Schuljahr war die Anzahl der Erstklässler noch leicht zurückgegangen; die Staatsregierung hatte es Eltern zuvor erleichtert, ihre Kinder ein Jahr zurückzustellen. Doch nun sind die Zahlen wieder auf dem alten Niveau - und noch höher. Insgesamt gibt es an den öffentlichen Schulen in München nun unter anderem 44 277 Grundschulkinder, außerdem 35 370 Gymnasiasten, 13 120 Realschüler und 12 822 Mittelschüler. Sie alle haben das Schuljahr fast so begonnen, als wäre nichts: zwar mit Gesichtsmasken, aber zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Pandemie für alle Klassen zugleich im Präsenzunterricht, bei voller Klassenstärke. Die Frage ist nur, wie lange noch.

In den ersten zwei Septemberwochen haben in München ein halbes Dutzend Kindertagesstätten wegen Corona-Fällen geschlossen, in anderen Kitas traf es einzelne Gruppen. In fünf Schulen wurden ebenfalls schon Klassen heimgeschickt. Und ab 50 Neu-Infektionen pro 100 000 Einwohnern binnen sieben Tagen droht nach den Richtwerten des Freistaats erneut Distanz-Unterricht in der Fläche. Am Freitag lag dieser Wert bei 46,08. Am Montag werden Schulen und Kitas laut Stadt definitiv öffnen. Doch die Schulen bereiten sich vor.

An seiner Schule gebe es zwei große Themen, sagt etwa Konrad Brunner, der Direktor der Städtischen Wilhelm-Busch-Realschule in Neuperlach. Das erste sei, das nachzuholen, was im vergangenen Jahr liegen geblieben sei. Die alten Klassenlehrer hätten den Lernstand an die neuen übergeben, dazu gebe es Förderunterricht. Gäbe es erneut Distanz-Unterricht, wäre das aus seiner Sicht fatal: "Dann gehen wieder wichtige Inhalte verloren", dabei seien die bestehenden Lücken noch gar nicht geschlossen. Darüber müsse sich auch das Kultusministerium Gedanken machen, sagt Brunner. Irgendwann werde es soweit sein: "Wir rechnen nicht damit, dass wir dauerhaft Präsenz-Unterricht haben werden." Daher sei das zweite große Thema, den Fern-Unterricht vorzubereiten. Die Schüler erhielten bereits Zugangsdaten fürs Online-Lernen und ihre schulischen E-Mail-Konten. Und die Stadt habe schon 55 Leih-Tablets geliefert, für Schüler, denen die Technik fehlt.

Auch Johanna Scharl rechnet fest mit einem Distanz-Unterricht. Sie ist Vorsitzende des Elternbeirats der Johann-Andreas-Schmeller-Realschule in Ismaning und engagiert sich im Landeselternverband Bayerischer Realschulen. Sie sei froh, dass die Staatsregierung neue Leitlinien formuliert habe, sagt sie, wie sie auch die Eltern gefordert hätten. So solle etwa jeder Tag mit einem Ritual beginnen, bei dem überprüft wird, ob wirklich alle Schüler anwesend sind.

An der Städtischen Anita-Augspurg-Berufsoberschule für Sozialwesen und Gesundheit ist der Distanz-Unterricht indes für einige Schüler schon wieder Realität: Am Mittwoch habe ein Schüler einen positiven Corona-Test gemeldet; nun sei seine Klasse in Quarantäne und erhalte Arbeitsaufträge und Unterricht online, sagt Schulleiter Berthold Lacher.

Dass Klassen geschlossen werden, damit sei zu rechnen gewesen, sagt Anton Zenz, der fachliche Leiter des Staatlichen Schulamts, das für Grund- und Mittelschulen zuständig ist. Es sei zu erwarten, dass weitere folgen. Insgesamt aber sei er "sehr froh, dass die erste Woche so gut gelaufen ist". Von den Schulen erreichten ihn fast nur positive Rückmeldungen: Die Kinder hielten sich bis auf wenige Einzelfälle an die Maskenpflicht, die Schulen hätten sich ausgezeichnet vorbereitet und ihre Hygienekonzepte gut umgesetzt.

Zu diesen gehören Abstandsregeln und eine Maskenpflicht auf dem Schulgelände - und diese merken am deutlichsten Schüler ab der fünften Klasse: Sie müssen in den ersten zwei Schulwochen auch im Unterricht Masken tragen, auch unabhängig vom Inzidenzwert. Das sei seltsam, sagt die 17-jährige Annabelle, "aber man gewöhnt sich daran". Die Schülerin besucht die Oberstufe des Luitpold-Gymnasiums im Lehel. Am Freitagmorgen steht sie mit einem Mitschüler vor dem Schulhof. Die beiden tragen Masken, auch wenn sie das dort eigentlich nicht müssten. "Die zu tragen ist das Geringste, was man tun kann", sagt Annabelle. Eine Gruppe Sechstklässler in der Nähe gewinnt den Masken sogar Gutes ab: Wenn man in der Sportstunde mit der Maske wedele und sie dann aufsetze, sagt einer, dann sei das schön kühl.

Ihre Tochter berichte ebenfalls Gutes, erzählt Johanna Scharl; das Mädchen geht in die neunte Klasse. Allerdings verstehe man sich mit Maske weniger gut, und weil die Kinder lauter reden müssen, auch mit ihren Sitznachbarn, steige der Lärmpegel. Viele Schüler trügen die Masken zudem nicht nur im Unterricht, sondern auch auf dem Schulweg in Bus, Tram oder U-Bahn. Das sei eine Belastung.

Auch für die Schulen bedeuten die Hygiene-Regeln eine neue Herausforderung, denn anders als bisher sind nun alle Klassen vollzählig im Haus. Seine Schüler befolgten brav die Regeln, sagt Direktor Konrad Brunner. Aber bei 31 Klassen mit 900 Schülern sei es schwerer, Abstand zu halten, als bei halber Besetzung.

Die Lehrer seien jetzt mehr als früher damit beschäftigt, Schüler zurechtzuweisen, erzählt auch Heidi Lungmus von der Werner-von-Siemens-Realschule. Bei der Maskenpflicht habe sie einigen erst einmal erklären müssen, dass es ernst ist. Und die Klassen voneinander zu trennen, funktioniere gar nicht. Der Personalrat formuliere gerade eine Stellungnahme, dass die Lehrer die Einhaltung dieser Regeln nicht gewährleisten können.

Im Kollegium gebe es ohnehin Sorgen, sagt Lungmus. Dabei würden sie und ihre Kollegen den Präsenzunterricht eigentlich genießen: "Wir sind froh, dass wir endlich richtig arbeiten können", sagt sie. Doch auch ihre Schule sorgt vor. Es gibt bereits Stundenpläne für den Distanzunterricht, und die Schüler sind auch schon in Gruppen eingeteilt, in "Monster" und "Dinos": Die einen sollen dann montags und mittwochs kommen, die anderen an Dienstagen und Donnerstagen. Freitags sollen die Gruppen wöchentlich wechseln. Für Lungmus ist klar, dass das irgendwann nötig sein wird. "Ich gebe uns noch zwei Wochen", sagt sie. "Vielleicht eine."

© SZ vom 12.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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