Josef Moosholzer, 94, bekommt heute eine Corona-Impfung. Es ist Dienstagvormittag und vor der Halle C3 auf dem Messegelände in Riem rieseln leichte Schneeflocken auf den Boden. Moosholzer sitzt im Rollstuhl, seine Tochter hat ihn aus Schwabing hierher gefahren. Es ist 11.30 Uhr. Den Termin haben sie erst in einer Stunde. Aber man weiß ja nie. Vor ihnen haben es vermutlich viele ähnlich gehalten: Die Schlange draußen vor dem Eingang reißt und reißt nicht ab.
Gerade hat ein Mitarbeiter der Aicher Ambulanz die Impfwilligen einigermaßen geordnet. Hastig wurden an diesem Morgen drei Zelte vor dem Eingang aufgestellt, um die Wartenden etwas zu sortieren. Doch schon kommt ein neuer Schwung.
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Etwa ein Dutzend alte Leute kommen langsamen Schrittes mit Rollatoren oder Krücken, an der Seite eine Begleitperson, zum Ende der Schlange. Sie haben heute, genauso wie Josef Moosholzer, einen Termin für eine Corona-Impfung. Sie drehen ihre Köpfe nach links und rechts, fragen sich, wo es weitergeht. Das ganze Prozedere zu organisieren, scheint vor Ort gar nicht so einfach zu sein. Und dann sind da noch die frostigen Temperaturen.
Der junge Mitarbeiter des Impfzentrums, erkennbar an der neongelben Weste, springt kurzerhand auf eine kleine Erhöhung. Er bemüht sich für alle gut sichtbar, und durch die FFP2-Maske einigermaßen hörbar, Anweisungen zu geben: "Hier geradeaus durch ist 11.30 Uhr, in der Mitte ist 12 Uhr und dort drüben stellen sich alle hin, die um 11.45 Uhr einen Termin haben!", ruft er und zeigt dabei mit den Armen zur jeweiligen Schlange. Aber - haben das auch alle Alten mitbekommen?
"Wärmebusse" stehen mit laufenden Motoren bereit, aber sie werden kaum beachtet
Seit gut einer Woche wird in der Messe Riem geimpft. Bis einschließlich Montag gab dort es laut Stadt 6600 Erst- und 1000 Zweitimpfungen. Nach und nach kommen die 87 000 Münchner dran, die über 80 Jahre alt sind und zu Hause wohnen. Viel länger als im Umland haben sie auf ihre Termine warten müssen. Ein Umstand, der bei vielen für Ärger sorgte. Nun, da in Riem reger Betrieb herrscht, steigt offenbar wieder der Unmut.
Dieser manifestiert sich auch in Zuschriften an die SZ. "Chaotische Zustände" werden in diesen angeprangert und eine "unzureichende Organisation". Über die lange Wartezeit in der Kälte wird geklagt - und über zu viele Menschen, die sich auf begrenztem Raum drängen. Zudem werden mehr Sitzmöglichkeiten angemahnt. Von älteren, gebrechlichen Menschen wird berichtet, die mehr als eine Stunde lang auf ihren Termin warten mussten - ohne Toilette oder Händedesinfektion in unmittelbarer Nähe.
Auch an diesem Dienstag warten Dutzende Menschen mit ihrem Begleitern vor dem Eingang. Die Schlangen bewegen sich zwar zügig voran, doch weil der Andrang nicht abreißt, entstehen immer wieder neue. "Wer braucht eine Decke oder einen Rollstuhl?", fragt ein Mitarbeiter in die Menge. Aber in der Hektik geht die Frage unter. Etwas weiter entfernt stehen zwei Busse mit angelassenem Motor, daran die Aufschrift "Wärmebus". Doch sie sind komplett leer. Sie habe Angst, die Schlange zu verlassen und nicht mitzubekommen, wann sie an der Reihe sei, erklärt eine der Wartenden. In der Halle selbst werden die Impfwilligen dann wie an einem Check-in-Schalter am Flughafen mit Absperrbändern geordnet. Bevor sie zu einer Kabine geleitet werden, müssen noch ihre Daten abgefragt werden.
"Es war so angenehm, wie es nur sein kann", sagt Ingeborg Nettl, 92. Sie ist gerade vom anderen Ende der Halle wieder herausgekommen - ihre erste Impfung hat sie soeben erhalten, jetzt geht es zurück nach Hause. Sie findet, die Organisation sei "von Anfang bis zum Ende" gut gewesen. Außer, dass es an Toiletten gemangelt habe. Auch sie musste insgesamt eine Stunde warten.
Die Wartezeit macht vielen zu schaffen. Dieses Problem ist der Stadt nicht entgangen. Bereits am Montag veröffentlichte sie einen Aufruf: Das Impfzentrum bitte alle dringend, "maximal zehn Minuten vor dem vereinbarten Termin anzureisen". Geholfen hat das wenig. Man habe auch am Dienstag wieder "unnötige Warteschlangen" beobachtet, heißt es, da viele Impfwillige bis zu zwei Stunden vor ihrem Termin gekommen seien und sich auch Personen ohne Termin in die Schlangen einreihten.
Das Gesundheitsreferat verweist außerdem darauf, dass die Termine selbst pünktlich oder mit maximal 15 Minuten Verspätung stattfanden. Die Referentin Beatrix Zurek (SPD) hat sich nun direkt an die Impfwilligen gewandt: "Sie müssen keine Angst haben, dass Ihr Termin verfällt, auch wenn Sie vielleicht ein paar Minuten zu spät kommen!"
Mit Appellen alleine aber dürfte das Gewusel kaum aufgelöst werden - das ist wohl auch den Verantwortlichen bewusst. Vorsorglich, so hat es die Stadt angekündigt, werde der Wartebereich in der Messehalle vergrößert. Bis der Umbau abgeschlossen ist, will man vor dem Eingang beheizte Zelte aufbauen - mit Sitzgelegenheiten.