"Mord im Orient-Express" als Comic:Poirot im Kartenhaus

Lesezeit: 2 min

Irgendwo in Jugoslawien bleibt der Orient-Express im Schnee stecken. (Foto: Carlsen Verlag GmbH)

Mit "Gung ho" feierte Benjamin von Eckartsberg international Erfolge. Nun hat der Münchner Comic-Autor Agatha Christies "Mord im Orient-Express" adaptiert.

Von Jürgen Moises

Die Geschichte beginnt düster und mit einem Bilderrätsel. Ein Mann sitzt in Long Island in einem dunklen Schlafzimmer auf einem Bett. Er schaut verzweifelt auf den Boden. Man sieht eine Waffe. Der Mann steht auf, geht in ein leeres Kinderzimmer und: Bang! Wir haben eine Ahnung: Er ist tot. Dann ein Sprung, fünf Jahre vorwärts und auf einen Dampfer, wo ein Mann mit dunklem Mantel und Melone an der Reling steht. Er schreckt auf und schaut uns mit seinem gezwirbelten Schnurrbart in die Augen. Und keine Frage: Das ist Hercule Poirot, der Meisterdetektiv. Von da an verläuft im Comic " Mord im Orient-Express" von Benjamin von Eckartsberg und Chaiko das meiste in vertrauten Bahnen. So wie man es aus der berühmten Krimi-Vorlage von Agatha Christie kennt.

Oder aus den zahlreichen Verfilmungen des Stoffs. Oder den Hörbüchern. Oder aus den zwei Videospiel-Adaptionen, die 2006 und im vergangenen Oktober herauskamen. Im Jahr 2007 gab es von François Rivière und Solidor auch bereits eine Comic-Adaption. Und Anfang September kam vom Illustrator Bob Al-Greene noch eine weitere heraus. Was alles nur zeigen soll: Man kennt den Stoff. Aber genau das fand der Münchner Comic-Autor und Illustrator Benjamin von Eckartsberg auch wieder spannend, als er von seinem Schweizer Verlag Paquet vor einigen Jahren gefragt wurde, ob er bei einer Agatha-Christie-Comic-Reihe mitmacht. Und dann reizte ihn auch die "fast mathematische Aufgabe", diesen "auf engem Raum" spielenden Krimiplot "herunterzukürzen, ohne dass das ganze Kartenhaus zusammenbricht".

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Auf Französisch erschien der 62-seitige Band bereits 2016. Und vor der nun bei Carlsen veröffentlichten, deutschen Fassung kam er auch schon auf Portugiesisch, Griechisch und noch anderen Sprachen heraus. Dass die Konzentration auf dem französischen Comic-Markt liegt, das war auch bei " Gung ho" so. Der äußerst erfolgreichen, postapokalyptischen Abenteuer-Serie von Benjamin von Eckartsberg und dem Münchner Zeichner Thomas von Kummant, deren fünfter und bisher letzter Teil vor zwei Jahren auf Deutsch erschien. Auch schon mit ihrer Adaption von Wolfgang Hohlbeins " Chronik der Unsterblichen" landeten beide einen Coup. Was ihnen vor zwei Jahren schließlich die Ehre einbrachte, am Comic-Projekt " Batman: The World" mitzuwirken. Darin schickten sie den Fledermaus-Mann in die verschneiten Alpen.

Auch im "Orient-Express" gibt es viel Schnee, in dem der titelgebende Zug irgendwo in Jugoslawien stecken bleibt. Dann wird auch noch ein Reisender durch zwölf Messerstiche ermordet. Farblich setzt der in Shanghai lebende Zeichner Chaiko, mit dem Eckartsberg schon bei der "Chronik der Unsterblichen" zusammengearbeitet hat, das alles ebenfalls recht kühl in Szene. Und vielleicht hätte man sich optisch da teilweise mehr Varianz und Kontraste gewünscht. Trotzdem ist Eckartsberg und Chaiko eine sehr stimmige, atmosphärisch starke Umsetzung des Krimis gelungen. Für Abwechslung sorgen dabei hinzugefügte Außenszenen. Der Autor hat den Anfang gekürzt, verändert, dafür am Schluss etwas ergänzt. Er hat Dialoge um- und neu geschrieben und eine der verdächtigen Figuren rausgekürzt.

Eingespieltes Team: Benjamin von Eckartsberg (rechts) und Thomas von Kummant im Garten ihres Ateliers. (Foto: Florian Peljak)

Tatsächlich seien nur noch 70 Prozent "echt" von Christie, verrät von Eckartsberg am Telefon. Beschwerden von Agatha-Christie-Fans habe es bisher aber nicht gegeben. Dafür habe er vor den "Gung ho"-Fans etwas Angst. Denn, ja, mit der Serie geht es weiter. Der Münchner hat bereits die Geschichte für zwei neue Bände geschrieben. Weil er gemerkt hat, dass er "noch was zu erzählen" hat mit den Figuren. Nur: Thomas von Kummant wird die Geschichten nicht zeichnen, weil "er mal wieder etwas anderes machen" will. Deswegen sei er nun mit einem Hongkonger Zeichner in der Testphase. Was aber klar sei, ist: Sie wollen den Stil von Thomas von Kummant nicht kopieren. Das dürfte also spannend werden, im mehrfachen Sinne. Der zunächst für Frankreich geplante Release ist für 2025 angedacht.

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