Urteil:München muss BDS-Veranstaltungen zulassen

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Die Stadt wollte der gegen Israel gerichteten Kampagne keine Räume zur Verfügung stellen. Das verstößt gegen die Meinungsfreiheit, befindet das Bundesverwaltungsgericht. OB Reiter spricht von einem "Rückschlag für die demokratische Stadtgesellschaft".

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Vier Jahre hat sich die Auseinandersetzung zwischen der Stadt und ihrem Bürger hingezogen - nun hat das Bundesverwaltungsgericht dem Bürger recht gegeben: München muss dem Münchner Klaus Ried einen Raum für eine Diskussionsveranstaltung zur Verfügung stellen. Und dies, obwohl dort auch über die gegen Israel gerichtete Kampagne "Boycott, Divestment, Sanctions", kurz BDS, gesprochen werden dürfte - also genau jene Kampagne, welcher der Münchner Stadtrat mit seinem Beschluss "Gegen jeden Antisemitismus" vom Dezember 2017 jedes öffentliche Forum verweigern wollte. Dies verstößt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts gegen die Meinungsfreiheit.

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) nannte die Entscheidung einen "Rückschlag, der auch viele jüdische Münchner*innen persönlich und die demokratische Stadtgesellschaft insgesamt betrifft". Es stehe ihm nicht zu, das Urteil juristisch zu kritisieren, aber er habe "kein Verständnis dafür, dass in diesen Zeiten - in denen rassistische und antisemitische Äußerungen so unverhohlen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit geäußert werden und unser gesellschaftliches Klima nachhaltig vergiften - der Schutz von Minderheiten keine stärkere Berücksichtigung erfährt und die Kommunen auch noch gezwungen sind, die Verbreitung solcher Ausführungen durch Raumvergaben zu unterstützen".

Die Rathauskoalition hatte ihren Beschluss seinerzeit ebenfalls mit dem Grundgesetz begründet. Im Urteil zum NPD-Verbot habe das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2017 entschieden, dass "antisemitische Konzepte" gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstießen, hieß es damals. Deshalb dürfe die Stadt keine antisemitischen Veranstaltungen unterstützen. Die Ironie des Streits war freilich, dass nach dem Titel der Podiumsdiskussion gar nicht die BDS-Kampagne selbst im Vordergrund stehen sollte - sondern ebenjener Stadtratsbeschluss. "Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein? Der Stadtratsbeschluss vom 13. Dezember 2017 und seine Folgen", so hatte Ried getitelt.

Der Zugang kann für bestimmte Zwecke verweigert werden, aber nicht für unliebsame Meinungen

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig kann die Kommune die Nutzung ihrer Säle nur im Rahmen der Widmung beschränken. Das heißt: Der Zugang kann im Voraus für bestimmte Zwecke verweigert werden, aber nicht für unliebsame Meinungen. Der Stadtratsbeschluss sei indes nicht "meinungsneutral", sondern knüpfe "an die zu erwartende Kundgabe von Meinungen zur BDS-Kampagne oder zu deren Inhalten, Zielen und Themen" an. Darin liege eine Beschränkung der Meinungsfreiheit, die verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt sei. Ein Ausschluss sei nur dann möglich, wenn erkennbar Rechtsgutverletzungen oder Gefährdungslagen drohten, "weil sie die Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährden und so den Übergang zu Aggression und Rechtsbruch markieren". Dies sei aber hier nicht zu erwarten.

Eine ausführliche Begründung steht noch aus, aber Einzelheiten lassen sich dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom November 2020 entnehmen, dem sich das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen hat. Weil kommunale Säle für bestimmte Zwecke reserviert werden dürfen, hatte der VGH es akzeptiert, dass Ried seine Diskussion nicht im Münchner Stadtmuseum abhalten durfte. Laut Satzung sollten die Räume insbesondere für das Begleitprogramm von Ausstellungen vergeben werden - Konzerte, Theater und eben auch Vorträge. Das Stadtmuseum war also für museumsspezifische Zwecke reserviert.

Etwas anderes gilt laut VGH für den Bürgersaal Fürstenried, für den Ried im Laufe des Verfahrens ebenfalls einen Antrag gestellt hatte. Der Bürgersaal steht für Podiumsdiskussionen aller Art grundsätzlich offen. Der VGH hielt der Stadt damals vor, mit dem Verbot unterbinde sie inhaltliche Stellungnahmen zu einem kontrovers diskutierten politischen Thema. Ein solcher Ausschluss sei nicht gerechtfertigt. "Eine Gemeinde ist nicht befugt, Bewerbern allein wegen zu erwartender unerwünschter Meinungsäußerungen den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen zu verwehren."

Das Urteil aus Leipzig hat Bedeutung weit über München hinaus

Ob die BDS-Kampagne, die sich vordergründig gegen die Siedlungspolitik Israels wendet, tatsächlich antisemitisch ist, dies war in den vergangenen Jahren Gegenstand äußerst kontroverser Diskussionen. Der VGH hatte dies offen gelassen. "Zwar verstoßen auf antisemitischen Vorstellungen beruhende politische Konzepte wegen ihrer zweifelsfrei bestehenden Unvereinbarkeit mit der Menschenwürde gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind daher verfassungswidrig", hieß es damals. Diese Feststellung sei zwar im Zusammenhang mit Partei- oder Vereinsverboten von Bedeutung, rechtfertige aber kein vorbeugendes Saalverbot. Denn der Schutz der Meinungsfreiheit umfasse auch extremistische, rassistische oder antisemitische Äußerungen.

Das Urteil aus Leipzig hat Bedeutung weit über München hinaus. Angesichts der gesellschaftlichen Radikalisierung der vergangenen Jahre wollen Stadtoberhäupter und Kommunalvertretungen immer häufiger inhaltlich Position beziehen - gegen rechts, gegen Hass und Hetze und eben auch gegen Antisemitismus. Als Betreiber kommunaler Veranstaltungssäle sind sie indes nicht Teilnehmer an öffentlichen Debatten, sondern vielmehr deren Ermöglicher: Sie schaffen öffentliche Foren, in denen politischer und gesellschaftlicher Streit ausgefochten wird. Je stärker sich aber diese Auseinandersetzung polarisiert, desto größer ist der Impuls für Kommunalpolitiker, die öffentlichen Räume eng zu machen.

Die Rechtsprechung dagegen orientiert sich bisher an einem strikt liberalen Modell, wonach auch extreme Positionen ihren Platz unter dem Dach der Meinungsfreiheit finden müssen. Die Stadt Wetzlar hatte vor einigen Jahren der NPD die Stadthalle verweigert - und wollte daran sogar festhalten, als das Bundesverfassungsgericht mit einer einstweiligen Anordnung der NPD recht gegeben hatte.

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