Tiere sehen dich an. So heißt ein vor 35 Jahren erschienener Essay von Hans Wollschläger, in dem sich der James-Joyce-Experte und Übersetzer polemisch, ja fast fatalistisch mit unserem Umgang mit den Mitgeschöpfen auseinandersetzt. In einer Ausstellung im "Speiseraum" kann man aktuell genau das erleben. Das heißt Tiere, die einen anschauen. "Eye to Eye" heißt die Videoarbeit von Janina Totzauer, in der man tierische Augen und darin Menschen gespiegelt sieht - und umgekehrt. Das letzte Auge gehört einem Fisch, der, wie man bald erkennt, aufgeschnitten auf dem Grill liegt. Und das passiert nun mal mit vielen Tieren. Sie werden getötet und gegessen. Bei Wollschläger wird sogar die ganze Menschheitsgeschichte zur Schlachtbank.
Derart fatalistisch muss man aber nicht gleich werden. Denn die zugehörige, von der Münchner Künstlerin Nata Togliatti kuratierte Ausstellung will ihrem Titel nach zwar "Food for Thought", also Futter zum Denken bieten. Aber es soll auch "schmecken", was man da serviert bekommt. Und das "sowohl Gourmets als auch Schnellessern der Kunst", wie es im Katalog heißt. Insgesamt 18 Positionen sind zu sehen, "junges frisches blanchiertes Gemüse" von Sebastian Quast oder Minjae Lee, "genussvolle Canapés" von Juergen Teller und Karin Sander sowie "gereifte Käsespezialitäten" von Joseph Beuys oder Daniel Spoerri. Eine Arbeit von Beuys stand auch mit ihrem Namen Pate. Ein Multiple, ein Offsetdruck, auf dem er fast ausschließlich Namen von Speisen auflistet.
Den "Speiseraum" dazu hat Nata Togliatti, die bei Gregor Hildebrandt an der Kunstakademie studiert und auch schon eine Ausstellung in einem Münchner Supermarkt organisiert hat, gewissermaßen erfunden. Bis vor drei Jahren war dieser nämlich noch ein Konferenzraum und hat wie der gesamte, riesige Gebäudekomplex in der Fritz-Schäffer-Straße in Neuperlach der Allianz gehört. Seit 14 Monaten ist im östlichen Teil des Komplexes das Zwischennutzungsprojekt "Shaere" beheimatet. Zu diesem gehören Ateliers, Werkstätten, ein Kino, eine Computerschule, ein Tonstudio und als "Seele" die " Community Kitchen", in der gerettete Lebensmittel zu schmackhaften Mahlzeiten werden.
Für fünf Jahre ist das zunächst angedacht, und ein "Speiseraum" passt da gut rein. Und wenn es in einer Ausstellung um Kunst und Essen geht, darf Daniel Spoerri als Erfinder der Eat-Art in der Tat nicht fehlen. Zu sehen ist als Kleinformat ein "Eurogeschnetzeltes", auf einem gezeichneten Teller. Von Sebastian Quast gibt es eine gigantische Reibe aus Stahlblech, Bertozzi & Casoni haben eine Torte aus Keramik mit einem Schafskopf als Memento mori dekoriert. Von Gregor Hildebrandt stammt ein Geschirrhandtuch, das aus Magnetbändern besteht. Bei Karin Sander hängt eine Stange Lauch am Stahlnagel. Nata Togliatti präsentiert weiße Keramikzitronen und Lena Henke erweist mit ihrer zitronengelben Saftpresse aus Plastikschaum einem Design-Klassiker von Dieter Rams Referenz.
Wirklich appetitanregend ist davon eher wenig. Aber für Auge und Gehirn ist einiges geboten. Und da wo der Bezug zum Thema nicht sofort erkenntlich wird, helfen auf unterhaltsame Art die Texte des Kunsthistorikers Jörg Gabrecht und des Gastrosophen Peter Peter im Katalog weiter. Am 1. Dezember um 19 Uhr sind beide auch zu einem Gespräch in der Ausstellung zu Gast. Und am 11. Dezember gibt es um 10 Uhr einen Brunch inklusive Führung. Um Anmeldung via speiseraum@outlook.de wird in beiden Fällen gebeten.
Food for Thought, bis 19. Dez., Mo. bis Fr., 9-12 und 15-19 Uhr, So., 10-16 Uhr, "Speiseraum" im Shaere, Fritz-Schäffer-Straße 9