Man stelle sich eine durchschnittliche Autofahrt durch Europa vor. Viel Autobahn, ein bisschen Stadtverkehr - und immer wieder kräftig bremsen. Dass dabei eine große Menge an Bremsstaub entsteht, kann man sich leicht vorstellen. Sehen kann man die Teilchen kaum, denn es handelt sich um sogenannten Ultrafeinstaub. Die Partikel sind etwa tausendmal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haars. Ungesund ist der Bremsstaub dennoch für Mensch und Umwelt, genauer wurde dies bisher allerdings nicht untersucht. Wissenschaftler der Universität der Bundeswehr in Neubiberg beteiligen sich jetzt an einem Forschungsprojekt.
In einer Metalleinhausung sind eine Bremsscheibe und ein Bremssattel angebracht. Durch einen extrem feinen Filter wird saubere Luft zugeführt. Über einen Computer wird ein festgelegtes Fahrprofil in Gang gesetzt, das einen entsprechenden Bremsvorgang simuliert. In der Messanlage am Institut für Maschinenbau an der Bundeswehr-Uni werden die winzigen Partikel gemessen, die beim Bremsen entstehen. Die Forscher um Thomas Adam, Professor am Institut für Chemie und Umwelttechnik, nehmen bei dem Projekt Ultrhas den Ultrafeinstaub genau unter die Lupe. "Es gibt bisher wenig Wissen darüber und seine Auswirkungen werden wahrscheinlich unterschätzt", sagt Adam.
Auch andere Einrichtungen in Deutschland, Norwegen, Finnland und der Schweiz forschen am Einfluss von Ultrafeinstaub aus dem Verkehr auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Das von der Europäischen Union geförderte Projekt, das auf vier Jahre angelegt ist, läuft noch bis Sommer 2025. "Je kleiner die Partikel sind, desto gefährlicher", sagt Adam. "Aus Tierversuchen weiß man, dass Ultrafeinstaubpartikel über die Lunge in die Blutbahnen gelangen können." Je kleiner sie sind, desto tiefer atmet man sie ein.
Bisher sind die Partikel dennoch in der Öffentlichkeit kein großes Thema, bei offiziellen Messstationen am Straßenrand lag der Fokus auf größeren Teilchen. Die Forscher betrachten nun in dem Projekt die biologischen sowie die chemisch-physikalischen Eigenschaften der Teilchen, die in verschiedenen Bereichen des Verkehrs entstehen. Also Abgase von Diesel-, Benzin- und Gasmotoren im Straßenverkehr, von Schiffsmotoren und Flugantrieben sowie den Abrieb von Bremsen und Schienenoberleitungen. Der Blick der Wissenschaftler in Neubiberg richtet sich auf den Bremsstaub.
Messkampagnen der anderen Projektbeteiligten fanden in Rostock und Kuopio in Finnland statt. Adam und sein Team führten die Bremstests am Hightech-Bremsenprüfstand des Instituts für Maschinenbau in Neubiberg in Zusammenarbeit mit dem Mobilitäts-Projekt More durch, das über das Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr finanziert wird. Der große Pluspunkt der Anlage: Sie erfüllt schon jetzt die Anforderungen an künftige gesetzeskonforme Bremsstaubmessungen. Denn mit der Abgasnorm 7 für den Straßenverkehr, die in den nächsten Jahren eingeführt wird, sollen auch für Bremsstaub Grenzwerte gelten. Bisher war das nicht der Fall.
Der Prüfstand simuliert dabei eine durchschnittliche Autofahrt in Europa mit zehn unterschiedlichen Phasen, wie Michael Mäder, der den Prüfstand betreibt, erläutert. Die Temperatur an den Bremsscheiben, die je nach Geschwindigkeit entsteht, ist entscheidend dafür, welche Partikel sich bilden. Diese werden abgesaugt, mit einem Filter aufgefangen und dann mit einer besonders empfindlichen Waage gewogen. In Adams Labor werden die Teilchen mit aufwendigen Methoden auf ihre chemischen Bestandteile hin untersucht. Der Bremsstaub besteht vor allem aus Eisen und anderen Metallen. Partner am Helmholtz-Zentrum in München und an der Universität Rostock untersuchen die biologischen Auswirkungen des Ultrafeinstaubs. In Versuchen brachten die Wissenschaftler auf gezüchtete menschliche Lungenzellen Bremsstaub auf. Danach analysierten sie, ob Zellen absterben, DNA-Stränge brechen oder sich im Stoffwechsel etwas ändert. "Ultrafeinstaubpartikel stehen im Verdacht, den Organismus zu belasten und möglicherweise Krankheiten wie Lungenkrebs auszulösen", sagt Adam.
Die Untersuchungen zu den Auswirkungen des Bremsstaubs sind noch nicht abgeschlossen: "Die Hinweise sind aber schon eindeutig - Metallpartikel will man nicht einatmen", sagt Adam. Die Resultate aller Projektbeteiligten sollen am Ende in Korrelation zueinander gebracht werden, um eine Risikoanalyse zu erstellen, welcher Ultrafeinstaub der gefährlichste ist. Mit den Erkenntnissen im Gepäck wollen die Wissenschaftler dann die politischen Entscheidungsträger beraten.
Möglicherweise sind beim Bremsstaub strengere Vorgaben angebracht. Durch die Elektromobilität sieht Adam immerhin eine positive Entwicklung. Durch die Rekuperationsfunktion, bei der das Elektroauto Energie zurückgewinnt und etwa durch das Wegnehmen des Fußes vom Pedal bremst, werden die Bremsen weniger in Anspruch genommen. Aber auch in anderen Bereichen sieht Adam Nachholbedarf: Beim Schiffsverkehr gibt es bis auf eine Vorgabe zum Schwefelgehalt des Kraftstoffs bisher keine Abgasgrenzwerte.