Zeitgeschichte:Ein Kirchenmann, an dem sich die Geister scheiden

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Die Bischof-Meiser-Straße in Pullach (Foto: Schunk Claus)

In Pullach kocht der Streit über die Umbenennung der Bischof-Meiser-Straße hoch. Kritiker sehen Versuche, den wegen seiner Haltung zur NS-Ideologie umstrittenen ehemaligen Präses der evangelischen Landeskirche in ein günstiges Licht zu stellen.

Von Michael Morosow, Pullach

"Daß der mittellose Jude sich sein Brot durch Handarbeit verdient, gibt es nicht. Er wird Händler, Kaufmann, Spekulant. ... Der rastlose Eifer der Juden, ihre zähe Beharrlichkeit in der Verfolgung ihrer Ziele, ihre Virtuosität im Erfassen der Konjunktur und ihre Anpassungsfähigkeit an die jeweilige Lage, aber auch die Rücksichtslosigkeit und Skrupellosigkeit ihrer Geschäftsprinzipien verhelfen ihnen, wohin wir auch sehen, zu dem gewünschten Erfolg. Ein immer größerer Teil des Volksvermögens gelangt in ihre Hände. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass sie sich den Löwenanteil an unserem Volksvermögen gesichert haben." Was sich wie ein Auszug aus einer NS-Schrift liest, ist im Jahr 1926 im Nürnberger Evangelischen Gemeindeblatt erschienen. Autor: Hans Meiser, von 1933 bis 1945 erster Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

Seine politische Haltung während der Nazizeit ist seit langem Gegenstand intensiver erinnerungskultureller und wissenschaftlicher Debatten in vielen Städten und Gemeinden in der Bundesrepublik, so auch in Pullach, wo sich der Gemeinderat in seiner Sitzung am Dienstag zum wiederholten Male mit der Frage auseinandersetzt, ob die Bischof-Meiser-Straße im Ort umbenannt werden soll, wie bereits in Nürnberg, München und vor drei Wochen auch in Bayreuth geschehen. Zu erwarten ist dabei eine ebenso emotional wie kontrovers geführte Debatte.

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Die Initiative zur Straßenumbenennung ist vom Pullacher Geschichtsforum ausgegangen, das einen entsprechenden Antrag im April 2021 in den Pullacher Gemeinderat eingebracht hat. Was anfänglich eine Formsache schien, entwickelte sich in der Folge zu einer teils mit harten Bandagen geführten Auseinandersetzung um die richtige Form der Aufarbeitung, zumal nachdem eine für den November geplante Abstimmung vertagt worden war. Grund dafür war ein Umdenken bei der zweiköpfigen SPD-Fraktion, die auf die Ambivalenz im Leben von Hans Meiser hinwies und nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema, wie Holger Ptacek erklärte, zu dem Ergebnis gekommen sei, dass Bischof Meiser kein rassistischer Antisemit gewesen sei, was sich auch daran zeige, dass er von den Nazis als ein Judenfreund bezeichnet und als Verräter diffamiert worden sei.

Entsetzen über das Umschwenken der SPD

Die Vorsitzende des Pullacher Geschichtsforums Angelika Bahl-Benker zeigte sich damals entsetzt vom Umschwenken der SPD-Fraktion. Was an diesem Dienstag zur Abstimmung steht, gereicht ihr ebenso wenig zur Freude wie auch der Zeitpunkt, an dem das Thema wieder im Gemeinderat aufploppt. Denn eigentlich hatte der Gemeinderat im Februar die Entscheidung über eine mögliche Umbenennung der Bischof-Meiser-Straße in Pullach auf Juli vertagt, um Zeit zu haben zum Einholen weiterer Informationen und den Austausch von Argumenten.

Nun aber steht das Thema bereits in der Maisitzung wieder auf der Tagesordnung, und abgestimmt werden soll über einen Antrag, den der Zweite Bürgermeister Andreas Most (Pullach plus), der momentan die im Urlaub weilende Rathauschefin Susanna Tausendfreund (Grüne) vertritt, "plötzlich und überraschend sehr schnell" auf die Tagesordnung gesetzt habe, wie Bahl-Benker sagt. Antragssteller sind neben Holger Ptacek die Grünenrätin Renate Grasse und Andreas Most selbst. Der Inhalt des Antrags: Nicht gleich eine Straßenumbenennung, sondern erst einmal eine Reihe von Maßnahmen, "um die Auseinandersetzung mit dem Namensgeber der Bischof-Meiser-Straße als ambivalente historische Person lebendig zu halten und zu fundieren".

So soll etwa auf Informationstafeln an der Bischof-Meiser-Straße über Leben und Wirken des Bischofs kritisch und ausgewogen informiert werden und damit die Historikerin Nora Schulze, Verfasserin der Biografie: "Hans Meiser, Lutheraner - Untertan - Opponent" beauftragt werden. Außerdem sollen bis zum Zeitpunkt der Abstimmung Informationsveranstaltungen über Leben und Wirken Meisers von der Verwaltung unterstützt werden. Diese Maßnahmen seien unabhängig von einem späteren Beschluss über Umbenennung oder Beibehaltung des Straßennamens zu sehen. Was Informationsveranstaltungen angeht, sei das Geschichtsforum offen, ließ Angelika Bahl-Benker die drei Antragsteller bereits wissen. Allerdings wäre es nicht zielführend, wenn sich dies darauf beschränken würde, "allein Frau Nora Schulze ein Forum für Ihre (wohlwollende) Sicht auf Hans Meiser und ablehnende Einstellung gegenüber einer Straßenumbenennung zu bieten". Es gebe anerkannte Wissenschaftler, die eine andere Sicht auf Hans Meiser hätten.

Nach Meinung des Geschichtsforums sollen mit der Antragsinitiative Fakten geschaffen werden. "Wenn damit die Hoffnung verknüpft sein sollte, dass sich dadurch vielleicht die Diskussion in der ´Hauptsache´ und somit die öffentliche Auseinandersetzung erübrigen könnte, müssen wir Sie enttäuschen", heißt es in einem Schreiben der Vorstandsmitglieder des Geschichtsforums an Most, Ptacek und Grasse. Jedenfalls werden sie ihren Antrag nicht zurückziehen.

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