Traditionelle Wirtshäuser:Baustelle mit Biergarten

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Die 300 Jahre alte Schlosswirtschaft in Oberschleißheim zog schon Anfang des 19. Jahrhunderts Ausflügler aus München an. Später war sie Treffpunkt von Künstlern und Soldaten des benachbarten Flugplatzes. Derzeit lässt sie die Bayerische Schlösserverwaltung aufwendig renovieren.

Von Irmengard Gnau

Morgens um halb zehn kann es sein, dass noch ein Kaninchen durch den Kies huscht im Biergarten vor der Schlosswirtschaft. Dann sind die Biertische noch leer. Am Nachmittag genießen bei schönem Wetter Ausflügler und Anwohner bei einer kühlen Mass den Blick auf das Neue Schloss Schleißheim. Und mancher spitzt sicherlich auch sehnsüchtig hinüber zum Torbogen mit den Lettern "Schloßwirtschaft", der zurzeit hinter einem Bauzaun verborgen ist. Bis die Küche im Inneren wieder aufsperrt, müssen sich die Stammkunden noch ein wenig gedulden: Bis voraussichtlich Herbst 2021 wird die historische Wirtschaft im Südflügel des Alten Schlosses renoviert.

Die Wurzeln der Gaststätte reichen weit zurück, sie ist eine der ältesten rund um München - und sicherlich eine der prominentesten. Bei welcher Wirtschaft kann sonst schon sagen, dass sie auf einem Gemälde in der Lenbachgalerie in München verewigt ist? (Franz Quaglio verschaffte dem Gasthaus diese Ehre.) Seit wann genau die Schlosswirtschaft in Betrieb ist, darüber zeigen sich die historischen Quellen allerdings "interpretationsfähig", wie es Christoph Straßer von der Bayerischen Schlösserverwaltung ausdrückt. Der spätere Kurfürst Maximilian I., damals noch Herzog, ließ von 1617 an das von seinem Vater Herzog Wilhelm V. erbaute, eher schlichte Herrenhaus in Schleißheim abreißen und an selber Stelle einen prächtigeren Bau, das heutige Alte Schloss, errichten.

Im Südostflügel befand sich vermutlich schon damals ein Gastraum, der allerdings nur den Angehörigen des Gutes offen stand. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts, das Neue Schloss Schleißheim war gerade im Entstehen, wurde diese Wirtschaft für Gäste geöffnet - und gleich zum Auslöser für einen kleinen Wirtestreit.

Wie ein Dokument von 1725 belegt, taten sich die Wirtshausbesitzer aus Unterschleißheim, Neuherberg und Feldmoching zusammen, um sich beim Kurfürsten über die Pläne des neuen französischen Schlossverwalters zu beschweren. Dieser nämlich hatte beschlossen, sein Schankrecht auszuüben und beim Schloss eine Wirtschaft zu eröffnen. Die Hofkammer verfügte einen Kompromiss: Die Schlosswirtschaft durfte öffnen, jedoch nur Reisende aufnehmen und keine Bauernmahlzeiten anbieten, Hochzeiten oder ähnliches veranstalten.

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(Foto: Archiv Otto Bürger)

Bürgermeister Michael Haselsberger (ganz links) führte auch die Schlosswirtschaft. Das um 1910 aufgenommene Bild zeigt rechts die Bedienung Anna Riedmair, deren Gästebuch viel über die Geschichte der Gaststätte erzählt.

Eine Außenansicht etwa aus derselben Zeit.

Für alle geöffnet wurde die Wirtschaft wohl Anfang des 19. Jahrhunderts. Nicht nur "Pilger und Reisende", wie es in der Dokumentation des Oberschleißheimer Heimatmuseums heißt, nahmen das Angebot an Speisen und Getränken dankend an. Mit dem Bau der Eisenbahnstrecke von München nach Landshut im Jahr 1858, für die in Feldmoching, Schleißheim, Lohhof, Neufahrn und Freising Bahnhöfe errichtet wurden, zog es auch immer mehr Ausflügler aus der Residenzstadt in den Norden Münchens.

In einem Prospekt aus dem Jahr 1911 umwirbt der Verschönerungs-Verein Schleißheim die in "Scharen nach Schleißheim pilgernden Münchner, deren Trinksachverständigkeit wohl unbestritten ist" mit folgendem Lokaltipp: "Bald ist der schöne, von hochstämmigen, breitausladenden Bäumen beschattete Garten der Kgl. Schloßwirtschaft [...]überfüllt und bei frohem Wort und gutem Trunk geht es an des Leibes Atzung, wobei die Schleißheimer Spezialität ,Isarfische' eine große Rolle spielt." Inhaber der so gelobten Schlosswirtschaft war zu dieser Zeit der Gast- und Landwirt Michael Haselsberger, der Oberschleißheim von 1906 bis 1933 auch als Erster Bürgermeister vorstand und die Entwicklung des Ortes maßgeblich prägte.

Auch Künstlern hatte es die malerische Gegend rund um das Dachauer Moos angetan. Um die Jahrhundertwende entstand in Schleißheim eine regelrechte Künstlerkolonie. Maler wie Heinz Katzenberger, Max Hein-Neufeldt und Frank Behrens ließen sich von Naturmotiven inspirieren, Schriftsteller wie Waldemar Bonsels, Autor der "Biene Maja", oder Bernd Isemann, auch der norwegische Zeichner Olaf Gulbransson waren regelmäßig zu Gast.

Davon zeugen wiederum Trinksprüche, Skizzen und Grußbotschaften im Gästebuch der Schlosswirtschaft, welches die Bedienung Anna Riedmair über Jahre geführt hat. Auch die Angehörigen der Königlich Bayerischen Fliegertruppe verewigten sich darin. Von 1912 an waren die Soldaten auf dem Flugplatz in Oberschleißheim stationiert. Sie erkoren die Schlosswirtschaft zu ihrem Stammlokal. Im Gästebuch verabschiedet sich der Leutnant der Reserve Mingang am 11. April 1918 mit dem Eintrag: "Bei Verdun da wird's erst schö! Liebe Anna, drum Adiö!"

Haselsberger blieb über Jahrzehnte Schlosswirt. 1941 übernahm sein ehemaliger Mitarbeiter Hans Heiserer mit seiner Frau Maria den geschichtsträchtigen Betrieb. Nach deren Ruhestand war die Wirtschaft einige Jahre nicht mehr so angesagt. Erst 1990 wurde der schattige Biergarten für Ausflügler ebenso wie für die Schleißheimer und Touristen wieder zum beliebten Ausflugsziel. Als der damalige Wirt Karl Blass Ende 2013 unerwartet starb und gleichzeitig der Pachtvertrag auslief, nahm die Bayerische Schlösserverwaltung dies zum Anlass, die Wirtschaft zu schließen, um das Gebäude endlich umfassend zu renovieren.

Vor allem die Küche soll eine komplette Neuausrichtung erfahren; sie wird künftig auf zwei Etagen im Südflügel zu finden sein. Aus den bisherigen Küchenräumen im östlichen Teil des Gebäudes werden unterschiedlich große Gasträume mit Blick auf das Neue Schloss. Dabei wird gleich auch eine Generalinstandsetzung vorgenommen, so werden etwa die hölzernen Dachstühle ertüchtigt. 10,8 Millionen Euro hat der Freistaat für die Umbauten insgesamt freigegeben.

Seit Ende Oktober 2019 wird am Gebäude gearbeitet. Bei bauarchäologischen Grabungen kamen einige Fundamentmauern des Vorgängerbaus aus der Zeit Herzog Wilhelms V. zum Vorschein, die vorher nur teilweise bekannt waren. Beim Freimachen des Baufeldes stieß man auf Altlasten wie Ziegel mit Brandrückständen - offenbar Schutt aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, als Teile des Alten Schlosses zerstört wurden.

Unter den neueren Bodenbelägen sind zudem mehrere historische Böden aufgetaucht, in der ehemaligen Durchfahrt im heutigen Eingangsbereich der Wirtschaft beispielsweise gepflasterte Wagenspuren aus Naturstein, im Obergeschoss des Südflügels ein hölzerner Felderboden. "Es können jeden Tag neue Überraschungen auftauchen, das macht die Arbeit an so einem historischen Gebäude so spannend", sagt Bauleiter Andreas Biehl vom ausführenden Büro GS Architekten.

Auch für die Experten der Schlösserverwaltung ist es ein spannendes Unterfangen. Mit jeder Entdeckung während der Renovierungsarbeiten wird die bewegte Baugeschichte der Wirtschaft und des Schlosses um ein neues Puzzlestück ergänzt. Dabei gilt es, die Balance zu finden zwischen Praktikabilität und Denkmalschutz. "Unser Ziel ist, so viel Altes zu erhalten wie möglich. Das Neue soll funktionieren, aber muss sich anpassen", sagt Christoph Straßer.

Für die Stammgäste der Schlosswirtschaft steht vermutlich die praktische Seite im Vordergrund. Noch bis Ende dieses Jahres läuft der Behelfsbetrieb im Biergarten. Von Oktober 2021 an, so dürfen sie hoffen, werden Biergarten und Wirtschaft dann wieder mit vollem Angebot öffnen.

© SZ vom 08.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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