Luftreinhaltung:Der Nordallianz stinkt's

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Eine Messaktion zeigt, dass unter anderem in Garching und Unterschleißheim Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub überschritten werden.

Von Irmengard Gnau, Ismaning

Die Stadt Garching hätte am liebsten, dass die A9 in einen Tunnel verlegt wird. Der Zusammenhang von Verkehrsbelastung und Belastung mit Stickstoffdioxid ist klar erwiesen. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Es war ein Pilotprojekt: Zwei Jahre lang haben eigens entwickelte Sensoren die Luftqualität an neuralgischen Punkten in den acht Mitgliedskommunen der Nordallianz im Norden Münchens gemessen. Die Ergebnisse zeigen nun schwarz auf weiß, was mancher Kommunalpolitiker schon lange predigt: Die Luft in Garching, Ismaning und Unterschleißheim bis nach Hallbergmoos und Eching ist mit Feinstaub und Stickstoffdioxid belastet - höher, als die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt. Und schuld daran sind zu einem großen Anteil die Tausenden Autos und Transporter, die jeden Tag durch die Region rollen.

Einer der von der Nordallianz installierten Sensoren zur Messung der Luftqualität. (Foto: privat)

An 35 Punkten in allen acht Kommunen hat die Nordallianz ihre Sensoren aufgestellt, an Masten unweit der Autobahn A9, die das Gebiet durchläuft, ebenso wie an der B471 und an den Hauptstraßen durch die Ortschaften; die grauen Kästen maßen die Luft über 24 Monate hin auf die Konzentration von Stickstoffdioxid, Feinstaub des Durchmessers von 2,5 und 10 Mikrometer sowie bodennahes Ozon hin und übermittelten die Daten an eine zentrale Stelle. Der Datenwissenschaftler Tom Zastrow, hauptamtlich beschäftigt am Max-Planck-Institut, hat die Daten für die Nordallianz ausgewertet, außerdem beauftragte die Allianz ein wissenschaftliches Gutachten der TU Graz. Eine Masterstudentin der TU München am Lehrstuhl für Verkehrstechnik bearbeitete die Daten für ihre Abschlussarbeit.

Mehr Verkehr, mehr Stickstoffdioxid

Darin zeigt die Absolventin einen klaren Zusammenhang zwischen dem Verkehrsaufkommen und dem Stickstoffdioxid in der Luft; die Verkehrsspitzen morgens und am Nachmittag verursachten deutlich erkennbare Spitzenwerte bei der gemessenen Konzentration von Stickstoffdioxid (NO₂). Zwischen der Verkehrsstärke und der Feinstaub-10-Konzentration ist in den Daten ein geringerer direkter Zusammenhang zu erkennen.

Die Nordallianz fühlt sich durch diese Ergebnisse bestätigt: Die Bürgermeister der acht Kommunen mahnen seit Jahren an, dass ihre Orte im Verkehr ersticken. Und das wirkt sich nicht nur auf das Nervenkostüm der Anwohnerinnen und Anwohner aus, die oft im Stau stehen, sondern offensichtlich auch auf ihre Gesundheit, wenn sie schlechte Luft atmen müssen.

Garchings Bürgermeister Dietmar Gruchmann beklagt die hohen deutschen Grenzwerte. (Foto: Robert Haas)

"Unsere Messungen haben bei keiner einzigen Messstation weniger als zehn Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft ergeben", sagt Garchings Bürgermeister Dietmar Gruchmann (SPD). In Garching und Hochbrück liegen die Werte sogar knapp unter 20. Die WHO empfiehlt einen Jahresgrenzwert von zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. "Da wären wir in allen Kommunen drüber", sagt Gruchmann. Allerdings, und das ist der Knackpunkt, orientiert sich die deutsche Gesetzgebung an einem anderen, weit großzügiger gefassten Grenzwert. Der 39. Bundesimmissionsschutzverordnung zufolge gilt Außenluft als akzeptabel, solange sie nicht einen Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel überschreitet.

Das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) als zuständige Behörde, welches die Nordallianz mit ihren Ergebnissen konfrontiert hat, hat zurückhaltend reagiert. Das LfU sehe sich leider nicht in der Pflicht, das Verkehrsaufkommen in der Region zu reduzieren oder weitere rechtlich bindende Luftmessungen durchzuführen, erklärt Nordallianz-Geschäftsführerin Anna-Laura Liebenstund. Auch eine Kontaktaufnahme zum Staatlichen Bauamt Freising sei ohne weiteres Interesse von Seiten der Behörde verlaufen.

Ohne Unterstützung von höherer Ebene aber können die Kommunen wenig unternehmen, wenn es um Bundes- oder Staatsstraßen geht. Ärgerlich für die Nordallianz. Die Mitgliedskommunen wünschen sich ein stärkeres Problembewusstsein von der großen Politik, wie belastet die Region im Norden Münchens ist in Sachen Autoverkehr. Immerhin, Gruchmann schaut nicht hoffnungslos in die Zukunft. "Die Frage ist, an welchen Werten wird sich die neue Bundesregierung orientieren?", gibt er zu bedenken. Ein paar konkrete Anregungen für verkehrliche Maßnahmen hätte der Bürgermeister schon.

Ein digitaler Zwilling

Die A9 in einen Tunnel zu verlegen zum Beispiel, zumindest auf Länge der Garchinger Wohngebiete. Gegen einen vierspurigen Ausbau der B471, wie er derzeit im Bundesverkehrswegeplan vorgesehen ist, protestieren die Garchinger und Ismaninger Lokalpolitiker schon lange erbittert. "Auf der B471 wäre eine echte Busspur viel sinnvoller, gerade jetzt für die neuen X-Busse", sagt Gruchmann. Auch ein Tempolimit auf mancher Staatsstraße käme den Kommunen zupass.

Inwieweit die neue Bundesregierung die Wünsche aus der Nordallianz erhören wird, bleibt vorerst abzuwarten. Fest steht aber, dass die Messung der Luftqualität nicht das letzte Datenprojekt der Nordallianz gewesen ist. Die Allianz wird als "smart region" gefördert und will weitere Möglichkeiten der Digitalisierung für die Kommunen ausloten. "Mit dem Projekt haben wir in Big Data hineingeschnuppert", sagt Franz-Josef Loscar, Leiter der Gemeindewerke Ismaning und Mitorganisator für die Nordallianz.

Als nächstes strebt der Verbund eine Kooperation mit der Stadt München an. "Es geht in Richtung "digitaler Zwilling", sagt Loscar. "Wir wollen versuchen, die Stadt mit Hilfe gesammelter Daten digital erfassbar zu machen, für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für kommunale Stellen."

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