Digitalisierung:Gemeinderäte bald online

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Großer Saal, großer Abstand: Für Stadträte, wie hier in Garching, sind die Corona-Regeln durchaus anstrengend. (Foto: Florian Peljak)

Das Innenministerium will Stadt- und Gemeinderäten erlauben, online an Sitzungen teilzunehmen. Kommunalpolitiker, die zu Corona-Risikogruppen gehören, waren diesen zuletzt immer öfter ferngeblieben.

Von Iris Hilberth, Bernhard Lohr, Martin Mühlfenzl und Anna-Maria Salmen, Landkreis

Der Platz von Bettina Endriss-Herz (CSU) im Haarer Gemeinderat ist in jüngster Zeit oft leer geblieben. Letztens konnte sie nicht ins Bürgerhaus, weil viel Schnee lag und ein Durchkommen mit dem Rollstuhl nicht möglich war. Die Vorsitzende des Behindertenbeirats ist auf Hilfe angewiesen und gehört der Gruppe der durch das Coronavirus besonders gefährdeten Personen an. Deshalb hat sie in jüngster Zeit ihre seit längerem erhobene Forderung in der Pandemie verschärft, Sitzungen des Gemeinderats digital im Netz zu übertragen und auch die Teilnahme von Gemeinderäten online zu ermöglichen. Es sei ein "Kampf gegen Windmühlen", sagt sie. Appelle ans Rathaus, an die Kreisbehörde und im April 2020 an das bayerische Innenministerium verhallten.

Nun aber bereitet das Ressort von Minister Joachim Herrmann (CSU) eigenen Angaben zufolge einen Gesetzesentwurf vor, der es kommunalen Mandatsträgern ermöglichen soll, digital an Sitzungen teilzunehmen und auch abzustimmen. Bisher stellte das Innenministerium stets klar, dass virtuelle Sitzungen mit der "Beschlussfähigkeit nicht vereinbar" seien. Stadt- und Gemeinderäte sowie Kreistage seien nur dann beschlussfähig, wenn "die Mehrheit der Mitglieder anwesend ist" - und unter anwesend werde allgemein "körperlich anwesend" verstanden. Lediglich Online-Übertragungen der Sitzungen waren bisher möglich. Laut dem Gesetzentwurf soll sich das ändern: Künftig muss einzig der Sitzungsleiter - also der Landrat oder Bürgermeister - zwingend im Sitzungssaal Präsenz zeigen.

Großer Saal, großer Abstand: Für Stadträte, wie hier in Garching, sind die Corona-Regeln durchaus anstrengend. (Foto: Florian Peljak)

Die FDP-Fraktion im Kreistag war im November noch mit einem Antrag gescheitert, virtuelle Sitzungen zu ermöglichen und diese live im Internet zu übertragen. Umso mehr befürwortet es Kreisrat Manfred Riederle, dass nun Bewegung in die Sache kommt. "Ich freue mich, wenn jetzt die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, Online-Sitzungen zuzulassen. Das würde eine erhebliche Erleichterung und Verbesserung mit sich bringen und auch zum Schutz der Menschen beitragen." Riederle, der auch im Unterschleißheimer Stadtrat sitzt, erhofft sich eine gewisse Aufgeschlossenheit der Mandatsträger für diese neue Form von Sitzungen, die sich etwa in der Wirtschaft längst bewährt habe. "Wir müssen unsere Erfahrungen damit sammeln. Aber wir leben im Digitalzeitalter, da gehören diese Neuerungen dazu."

Für Veronika Kröniger kommt die Entwicklung zu spät. Vor einigen Wochen verließ die Grüne den Kirchheimer Gemeinderat - aus Sorge um die Gesundheit ihrer Familie war es ihr eigenen Angaben zufolge nicht mehr möglich, persönlich an den Sitzungen teilzunehmen. Ihren Antrag, sich per Video hinzuzuschalten, lehnte die Gemeindeverwaltung mit Verweis auf die Präsenzpflicht ab. Hätte sie damals gewusst, dass digitale Sitzungen nun doch bald möglich werden könnten, wäre ihre Entscheidung wohl anders ausgefallen, sagt Kröniger. In vielen Bereichen sollten die Menschen im Home-Office arbeiten, die ehrenamtlichen Gemeinderäte müssten hingegen persönlich anwesend sein - für Kröniger ein Widerspruch. Auch Max Walleitner (Grüne) führte dieses Argument vor Kurzem im Grasbrunner Gemeinderat an. Bund und Freistaat verpflichteten Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Home-Office, ehrenamtliche Gemeinderäte aber würden gezwungen, sich einem gesundheitlichen Risiko auszusetzen.

Kirchheims Bürgermeister Maximilian Böltl (CSU) ist nach eigenen Worten froh, dass die Frage nach den digitalen Sitzungen nun geklärt werden soll. Ihm ist nur die Einheitlichkeit wichtig: Entweder das gesamte Gremium solle per Videokonferenz tagen oder eben nicht. Dass einzelne Mitglieder sich digital einwählten, halte er für problematisch. Auch müssten Online-Sitzungen eine Ausnahme für Pandemie-Zeiten sein. "Nichts kann die persönliche Kommunikation ersetzen", findet Böltl. Ähnlich sieht es Grasbrunns Bürgermeister Klaus Korneder (SPD). Auch für ihn sind digitale Sitzungen als Notlösung vorstellbar. Derzeit seien Gemeinderatssitzungen anstrengend, da die Mitglieder wegen der großen Abstände im Ausweichquartier Bürgersaal sehr laut sprechen müssten. Auch Ottobrunns Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) begrüßt die Ankündigung der Staatsregierung, Online-Sitzungen ermöglichen zu wollen, wie sie etwa in kommunalen Gremien in Baden-Württemberg seit vergangenem Jahr möglich sind. "Wenn die Beschlussfähigkeit des Gremiums garantiert ist", schränkt Loderer allerdings ein. Es müsse also sichergestellt werden, das zu jedem Zeitpunkt der Sitzung erkennbar ist, dass die Mehrheit der Mitglieder anwesend ist.

In Unterhaching will man sich derzeit noch nicht mit einer solchen Möglichkeit befassen. "Wir warten erst noch mal, bis eine Gesetzesvorlage in den Gremien behandelt wird", sagt Rathaussprecher Simon Hötzl. Grundsätzlich vertrete man die Auffassung, dass die unmittelbare Auseinandersetzung wichtig sei. "Allerdings gibt es auch Situationen, in denen eine Ergänzung sinnvoll ist", so Hötzl. Derzeit tagt der Gemeinderat im großen Saal des Kultur- und Bildungszentrums Kubiz. Erst im vergangenen Jahr sei hier eine neue, moderne Lüftungsanlage eingebaut worden. "Ich denke, mit den Abständen, die wir dort zudem einhalten, sind wir sicher", sagt Hötzl.

Der Fraktionschef der CSU im Haarer Gemeinderat, Dietrich Keymer, warnte erst im Oktober in einem Schreiben an den Behindertenbeauftragten der Staatsregierung, dass das Beharren auf Präsenzpflicht dazu führen werde, dass sich Menschen mit Behinderung weniger politisch engagieren. Er forderte, der Freistaat solle den gesetzlichen Rahmen schaffen, damit eine Sitzungsteilnahme zu Hause am Bildschirm möglich wird. Keymers Fraktionskollegin Bettina Endriss-Herz nimmt die Aussicht, dass sich jetzt zumindest ein Stückweit etwas ändert, geradezu euphorisch auf. "Super", sagt sie. Die bisher vorgebrachten Argumente gegen eine Öffnung von Sitzungen ins Digitale hält sie für vorgeschoben. Rechtliche Fragen seien lösbar. Viele Skeptiker seien "oft nur nicht in der Lage, mit der Technik umzugehen".

© SZ vom 10.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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