Dax-Konzerne:Hoch im Kurs

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Infineon in Neubiberg ist einer der Global Player aus dem Landkreis München. (Foto: Claus Schunk)

Mit Wirecard in Aschheim steigt ein weiteres Unternehmen aus dem Landkreis in den wichtigsten deutschen Aktienindex auf

Von Martin Mühlfenzl, Aschheim

Es gibt die eine Art von Fortschritt, die sehr bald sehr sichtbar sein wird. Davon zumindest ist der Konzern Airbus überzeugt: Am Standort in Ottobrunn wird künftig ein kleines Forschungsteam an der Entwicklung von Lufttaxis für Megacitys arbeiten. Es gibt aber auch den eher unsichtbaren Fortschritt, den viele Menschen zwar nutzen, aber eigentlich nicht wahrnehmen. Wenn sie etwa online ein Buch oder Kleidung bestellen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die dafür notwendigen Zahlungsströme von einem Unternehmen abgewickelt werden, das bis vor kurzem nur wirklich wirtschaftsaffine Beobachter auf dem Zettel hatten: den Finanzdienstleister Wirecard mit Sitz in Aschheim.

Bis Monatsende soll das Unternehmen mit einem geschätzten Börsenwert von mehr als 20 Milliarden Euro dem illustren Kreis der deutschen Dax-Unternehmen angehören - und damit die Commerzbank aus dem bedeutendsten deutschen Aktienindex vertreiben. Diese Entscheidung wollte die Deutsche Börse am späten Mittwochabend verkünden. Damit werden künftig zwei der 30 Dax-Konzerne ihren Sitz im bevölkerungsreichsten Landkreis des Freistaats haben, dessen Umlagekraft in diesem Jahr erstmals mehr als eine Milliarde Euro beträgt.

Die Forschungseinrichtungen werden stetig ausgebaut

Neben Wirecard ist dies der Halbleiter-Hersteller Infineon aus Neubiberg. Weitere Weltkonzerne haben Standorte im Landkreis: die Allianz in Unterföhring, BMW in Unterschleißheim, Linde in Pullach und der Fernsehsender ProSieben Sat1 hat in Unterföhring seinen Sitz.

Diese Konzentration von Hochtechnologie- und Dienstleistungsunternehmen, die weit über die zwei Dax-Konzerne hinaus geht, sucht bayernweit ihresgleichen und lässt sich an beeindruckenden Zahlen und Beobachtungen ablesen: Mittlerweile gibt es in den 29 Städten und Gemeinden von Unterföhring über Ottobrunn bis Grünwald mehr als 220 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Allein in Unterföhring mit seinen etwas mehr als 11 000 Einwohnern existieren weit mehr als 22 000 Jobs - Tendenz weiter steigend.

In der Universitätsstadt Garching sind im vergangenen Jahrzehnt weit mehr als 10 000 neue Jobs entstanden, und durch den stetigen Ausbau der Forschungseinrichtungen werden auch in den kommenden Jahren Tausende neue Arbeitsplätze hinzukommen. In Unterschleißheim forscht mittlerweile der Automobilkonzern BMW am autonomen Fahren; Taufkirchen und Ottobrunn sind gemeinsam das Zentrum der deutschen Luft- und Raumfahrtforschung. An der Universität der Bundeswehr in Neubiberg sowie den Universitätsstandorten in Garching, Oberschleißheim und Martinsried werden die Forscher und Wissenschaftler der Zukunft ausgebildet - wichtige Fachkräfte, die gerade im prosperierenden Landkreis München so dringend benötigt werden.

Auch der Aufsteiger Wirecard ist ein Hochtechnologieunternehmen - mit einer ganz besonderen Vergangenheit. In seiner Anfangszeit hatte der Konzern vor allem mit Kunden aus der Porno- und Glücksspielbranche zu tun. Aus dieser Schmuddelecke ist Wirecard längst heraus und hat in den vergangenen Jahren einen erstaunlichen Wachstumsprozess hingelegt. Mittlerweile zählt das Unternehmen, das auf allen fünf Kontinenten agiert, mehr als 4000 Mitarbeiter. Im ersten Quartal dieses Jahres stieg der Gewinn um 46 Prozent auf etwa 70 Millionen Euro, 2017 lag der Umsatz von Wirecard bei etwa 1,5 Milliarden Euro.

Die IHK zählt mehr als 43 000 Unternehmen

Geld verdient der Konzern vor allem mit Lösungen im elektronischen Zahlungsverkehr, Bezahlmöglichkeiten im E-Commerce und auch mit der Herausgabe von Kreditkarten. Auf der Kundenliste des Konzerns finden sich etwa 90 Fluglinien, aber auch Konzernriesen wie Google, Apple oder Microsoft. Eigenen Angaben zufolge arbeitet Wirecard mit etwa 36 000 größeren und mittleren Kunden aus den verschiedensten Branchen zusammen - hinzu kommen Tausende Privatkunden.

In Aschheim selbst dürfte der rasche Aufstieg des Finanzdienstleisters auch mit etwas Verwunderung zur Kenntnis genommen worden sein. Denn von außen ist kaum zu erkennen, dass am Einsteinring 35 im Dornacher Gewerbegebiet ein Weltkonzern seinen Sitz hat. Wirecard residiert hier in einem wenig schmucken Bürobau, in dem auch ein Versicherungsunternehmen zuhause sein könnte. Für die Gemeinde selbst freilich ist Wirecard mittlerweile ein nicht zu unterschätzendes Aushängeschild und ein Name, der zum Zugpferd werden könnte.

Wirklich nötig hat dies der Landkreis als Wirtschaftsstandort aber nicht. Neben den zwei Dax-Konzernen sind es in den 29 Städten und Gemeinden vor allem die kleineren und mittleren Unternehmen - der Mittelstand - die den ökonomischen Erfolg des reichsten aller bayerischen Landkreise tragen. Allein die Industrie- und Handelskammer (IHK) zählt für den Landkreis mehr als 43 000 Unternehmen. Deren Chef Christoph Leicher aus Kirchheim aber wird nicht müde zu betonen, dass dieser Erfolg nur dann von Dauer sein kann, wenn die Politik die Rahmenbedingungen weiter ausbaut und verbessert: Hierzu zählt Leicher vor allem den Ausbau des schnellen Internets und der Verkehrsinfrastruktur. Nicht nur mit Lufttaxis, sondern vor allem im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs, der längst die Grenzen der Belastbarkeit erreicht hat.

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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