Eines ist so gut wie sicher: Es wird anders ablaufen als in Nürnberg und Augsburg. Dort haben gerade die örtlichen Oberbürgermeister verkündet, nicht mehr antreten zu wollen. Eine politische Zäsur. Derlei Gedanken hegt Dieter Reiter nicht. Münchens Rathaus-Chef will es in einem Jahr noch einmal wissen. Als Amtsinhaber hat er die Favoritenrolle inne, bange ist ihm trotzdem. Angesichts der Umfragewerte für seine SPD kann er sich nicht mehr sicher sein, ob er weiter mit Hilfe einer stabilen Machtbasis im Stadtrat regieren kann. Die Gewissheit, dass Kommunalwahlen in München andere Gesetze haben als die Landes- und Bundesebene, ist dahin.
Und so stürzt sich Reiter derzeit mit Feuereifer auf die ganz großen wie die ganz kleinen Themen. Spricht mit Bundespolitikern bei Hans-Jochen Vogel über eine Reform des Bodenrechts und wirbt für eine visionäre Verkehrspolitik. Gleichzeitig reformiert er den Blumenschmuck am Rathaus, der nun bienenfreundlicher ausfällt, setzt sich für öffentliche Toiletten ein und prangert die Verschwendung von Lebensmitteln an. Ein Mann für alle Fälle.
Ob es ihm hilft, ist unklar. Reiter gilt als bodenständig und populär, allerdings haben seine politischen Gegner mit Kristina Frank (CSU) und Katrin Habenschaden (Grüne) zwei ebenso eloquente wie sympathisch daherkommende Kandidatinnen ausgewählt. Ein Spaziergang wird die Kommunalwahl also nicht, und weil Reiter sich nicht allein auf seine Parteifreunde verlassen will, hat er sich umfangreiche Mitspracherechte bei der Aufstellung der Kandidatenliste für den Stadtrat gesichert. Seitdem bangen Teile des "Establishments" um ihre komfortablen Listenplätze.
Was natürlich nicht nur auf die SPD zutrifft. In den nächsten Monaten werden alle Rathausparteien ihre Listen aufstellen. Nach dem immer gleichen Prinzip: Genügend Junge und Kreative müssen dabei sein, aber natürlich auch erfahrene Zugpferde, deren Namen zumindest ein paar Münchnern bekannt sind. Es darf keinen Männer-Überhang geben und keine Schlechte-Laune-Garantie. Man wird ein paar Altgediente überzeugen müssen, dass es irgendwann Zeit zum Aufhören ist, und natürlich auch darauf achten, dass sich kein Stadtteil unterrepräsentiert fühlt. Keine leichte Aufgabe also, die es da zu schultern gilt. Intrigen, Motzerei und Beleidigtsein sind garantiert.
Der Stadtrat, das lässt sich einigermaßen seriös prophezeien, wird nach dem 15. März 2020 ganz anders aussehen als heute. Gut möglich, dass die Grünen auf Augenhöhe mit SPD und CSU geraten, die vermutlich ein paar Mandate abgeben müssen. Ob es dann noch reicht für ein Zweierbündnis nach dem Muster der jetzigen rot-schwarzen Kooperation, ist fraglich. Eventuell muss sich der neu gewählte Rathauschef dann mit zwei, drei oder noch mehr Partnern absprechen. Was das Regieren nicht wirklich einfacher macht.
Zumal es möglich ist, dass der aktuell schon aus elf Parteien und Gruppierungen zusammengesetzte Stadtrat noch kleinteiliger wird. Immer wieder versuchen auch Bürgerinitiativen, in die Kommunalparlamente zu kommen, in denen es ja keine Fünf-Prozent-Hürde gibt. 2014 ist das der Wählergruppe Hut gelungen. Aktuell bestimmen neben den Mieten auch initiativentaugliche Themen wie die Wachstumsdebatte, der Verkehr oder der Klimaschutz den Diskurs in der Stadt.
Nicht zu beneiden bei ihrer Listenaufstellung ist die Bayernpartei. 2014 errangen die separatistisch orientierten Konservativen mit 0,9 Prozent der Stimmen gerade mal ein einziges Mandat - für den stellvertretenden Parteichef Richard Progl. Inzwischen sitzen nach diversen Parteiübertritten stolze sechs Überzeugungs-Bayern im Stadtrat. Dass das nach der Wahl so bleibt, ist - vorsichtig ausgedrückt - fraglich. Es dürfte also einen großen Ansturm geben auf die guten Listenplätze.