Hannes Ringlstetter:Neues Album zwischen Kunst und Krempel

Lesezeit: 4 min

Gesetzt: Hannes Ringlstetter sucht eine heile Welt. (Foto: storiestobetold)

Der Straubinger Kleinkunst-Riese hat seine neue Platte "Heile Welt" genannt. Doch intakt ist darauf gar nichts.

Von Michael Zirnstein

"Der Teufel hat weiße, rechteckige Augen", schrieb der Münchner Kolumnist Sigi Sommer. Hannes Ringlstetter sieht das nicht so eng. Ein Blankoblatt Papier löst bei dem Multi-Mediamannsbild keine Schreibblockade aus, sondern setzt Gedanken frei. "Ich finde das inspirierend, weil völlig unklar ist, was später draufsteht. Es ist immer die Null. Nichts ist festgelegt. Alles kann passieren." In seinem Fall wäre da Freiraum für eine Fernsehmoderation, eine Kabarettnummer, eine Buchseite oder den Text eines Liedes.

Es muss ja keines wie "Ein weißes Blattl Papier" von Relax sein, sagt der Straubinger, lacht, und stimmt die Schnulze an. "Uah, schrecklich", findet er. Es schaudert ihn etwas, nicht weil das die Achtziger waren, seine Jugend, nicht weil die Band Relax Pop in bayerischer Mundart sang, das tut er auch, sondern weil's ihm zu schmalzig ist. Schlager. "Ich bin kein Schlager", sagt er, damit das gleich mal klar ist. Weil man könnte beim Titel seines neuen Albums auf falsche Gedanken kommen: "Heile Welt".

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Wobei man wieder beim Papier wäre. Auf dem Cover der Platte reißt ein kleiner Ringlstetter den Karton auf, er zieht einen Riss mal über, mal durchs Land, der sich im Büchlein fortsetzt und zum Teil selbst seine Verse unlesbar macht. "Der Riss ist einfach Tatsache. In jedem Leben. Ich finde, sich damit auseinanderzusetzen, selbstironisch, weltoffen, ist Künstleraufgabe. Sonst wäre es Schlager", sagt er. Weil ihn in seiner "Summer of '69"-Coming-of-Age-Hymne "Radl am See" die Zeile "Und i war a Mo" zu sehr an Peter Maffays "Ich war kein Kind mehr" in "Es war Sommer" erinnerte, hätte er sie beinahe rausgeworfen. Dann dachte er: "Es kann ja nicht sein, dass über die Mannwerdung nur der Maffay singen darf. Also habe ich es dringelassen, aber selbstironisch eben."

Liebeslieder wie "Hinterher" beginnt er auch erst einmal mit Selbstkritik: "I bin ja wirklich a schweres Kaliber, lieg oft daneben und fahr über di drüber ..." Oder in "Iserlohn", da latscht er durch eine Vorstadt voller Watschg'sichter, die ihm allein schon mit ihrem Geschau den Tag versauen, wie vielleicht seit Konstantin Weckers "So a saudummer Tag" keiner mehr einem Musiker der Tag versaut hat, und sei es er sich selbst. Also: "Der Riss ist da."

So gespalten kennt man den Straubinger Kleinkunst-Riesen, der am 2. Juni 51 wird, gar nicht. Gar nicht mehr. Denn seit das Virus grassiert, sieht man den Ringlstetter kaum noch als nachdenklichen Kabarettisten oder Singer-Songwriter auf Bühnen vor Tausenden Zuschauern, sondern fast nur noch publikumslos in seiner vor fünf Jahren gestarteten Talk-Show im BR (der gerade an einem Film über den Musiker Ringlstetter dreht). Da albert er mit Caroline "Sidekick-Maschine" Matzko und prominenten Gästen wie jüngst Rita Falk und Peter "Major Tom" Schilling (noch so eine Achtzigerjahre-Anleihe).

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Die Gäste werden stets mit einer gezeichneten Biografie vorgestellt, und hier kommt wieder das weiße Papier ins Spiel. Ringlstetter ärgerte sich darüber, dass der Cartoonist Elias Hauck nie ihn karikiert für die Show, so hat er ihn jetzt für das Video von der Single "Heile Welt" engagiert. Mit dickem Filzer zeichnet Hauck da, was ihm zum Text einfällt: Häschen, Wolken, Kiwis, Fische, Trompeten und einen Bierflaschen verschlingende Schlund. Die Botschaft: Wir Egoisten kaufen und saufen uns das Klima kaputt. Und darauf Prost.

Auch der Entstehungsort der Platte war für Ringlstetter eine leere Fläche: Fuerte Ventura, für ihn eine "Non-Insel" aus Schutt und Wüste, "wo es eigentlich gar keine Landschaft gibt". Für ihn war es die letzte Reise seitdem und das beste Umfeld, kreativ zu werden. In der fernsehfreien Faschingswoche 2020 zog er mit seinen Band- und TV-Studio-Musikern Bernhard Frank und Lenz Retzer in ein Ferienhaus am Meer.

Nun könnte man sagen, das komme eben dabei heraus, wenn drei Männer und Musiknarren Musik machen: Zunächst mal prima Songs, ganz nach ihren wohl schon in der Jugend gebildeten Vorlieben mit gerade wieder angesagten Eighties-Touch: tänzelnder Ska ("Julinacht"), Piano-Walzer ("Hinterher"), folkrockiger Stampf ("Wo bin I?"), Schlaflied ("Endlich Nacht"), gern und oft Bayern-Power-Soul mit mächtig Gebläse ("Radl am See"), den Ringlstetter den Chef-Gitarristen Frank genüsslich von einem minutenlangen E-Gitarren-Solo zersägen lässt: "Ich habe ihm gesagt, er soll an ,November Rain' denken. Hehehe".

Gerade weil Ringlstetter gesanglich wieder den Brummbär gibt (und die wenigsten sich allein daran erfreuen dürften, in welchen Reibeisengraden zwischen Ambros, Celentano, Conte und Waits er dies tut), machen es die stilistischen Brüche spannend, am meisten im dreiteiligen Bonus-Part: Da folgt auf eine Live-Aufnahme von "So bin I" die Billy-Ray-Cyrus-artige Country-Hotelzimmer-Session "Dampf" und am Ende sogar ein "Auf der Heimfahrt"-Instrumental, das auch einem "Tatort"-Soundtrack gut stünde. Überhaupt hat dieses Hin und Her und Groß und Klein dann doch eine so hausgemachte Handschrift, dass es gut einen ganzen Rosenmüller-Neo-Heimatfilm beschallen könnte.

Männer allein zuhaus - das kann aber auch entgleisen, auf eine Mario-barthige Weise. Das tut es etwa dann, wenn die Fünf-Herren-Combo im Video zum Muntermacher-Hit "Heller Schein" eine Luftakrobatin im Badeanzug beim Ringelreigen beäugt. Wenn Ringlstetter singt, er könne "zickiger als jede Frau" sein, oder im unvermeidlichen Corona-Stück "Logistikersymphonie" seine Gedanken über eine Supermarktkassiererin preisgibt: "Mit ihrer Maske sitzt sie an der Kasse, und sie macht piep piep piep ... danach wischt sie feucht, dass nix mehr kreucht und fleucht, ja, sie kann jetzt auch Desinfektion." Das ist wohl nicht so gemein gemeint, kommt aber schofelig rüber und kann weg, mit einem Wisch.

Dabei macht Ringlstetter es allermeistens richtig, gerade weil er nicht witzelt und wortspielt. Während bei ihm Kabarett "immer die Beobachtung" und das Bücherschreiben "die maximale Entfernung vom Leben draußen" ist, geht es ihm bei Songs "immer um mich". Die größte Identifikationsfläche bietet er, wenn er wie in "Family" sein Leben teilt zwischen "Lehrerkind und Landbua", zwischen "Steaksemmeln und Regencapes" zwischen "Ministrant" und Rock'n'Roll" und ganz persönlich kein unbeschriebenes Blatt bleibt.

Hannes Ringlstetter, "Heile Welt" (F.A.M.E.); live : 29. Juni bis 1. Juli, Innenhof Deutsches Museum

© SZ vom 28.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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