Nach der russischen Invasion in  der Ukraine:"Beten und demonstrieren reicht nicht"

Lesezeit: 5 min

An der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf macht man sich große Sorgen um Mitarbeiter und Studierende an den sieben ukrainischen Partneruniversitäten. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Hochschule Weihenstephan erreichen beunruhigende Nachrichten aus den sieben ukrainischen Partneruniversitäten. Einige Studierende sollen auch schon gefallen sein. Nachgedacht wird über eine Art akademische Zuflucht in Freising.

Von Thilo Schröder, Freising

Vor vier Wochen war ein Wissenschaftler der National University of Life and Environmental Sciences of Ukraine, der führenden ukrainischen Universität im Bereich Agrarwissenschaften in Kiew, noch zu Gast an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT). An diesem Freitagmorgen, am Tag nach der russischen Invasion in der Ukraine, schreibt er seinem deutschen Kollegen Carsten Lorz in einer E-Mail, "dass er kämpfen wird". So schildert es der offenkundig erschütterte Vizepräsident für Internationales und Diversity an der HSWT am Telefon. "Da ist für mich persönlich eine Stresssituation."

Zu den sieben Partnerhochschulen in der Ukraine hat Lorz derzeit nur teilweise Kontakt, wenn, dann per E-Mail. "Wir versuchen den Kontakt zu halten, aber es ist total schwierig", sagt er. Zur Sumy National Agrarian University etwa, nur wenige Kilometer von der nordöstlichen Grenze zu Russland gelegen, habe er keinen Kontakt mehr. Sein Kollege Ralf Schlauderer, Vizepräsident für akademische nationale und internationale Weiterbildung, hat noch Kontakt zu einer Kollegin dort; sie schreibe, das Gebiet sei schon besetzt, man könne nur beten und hoffen. Eine Kollegin in Kiew schreibe, sie habe "Angst um ihre Kinder und Wut".

Carsten Lorz, Vizepräsident für Internationales und Diversity an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. (Foto: Josef Gangkofer/HSWT)

"Unvorstellbar, unfassbar" sei der plötzliche russische Angriff, sagt Lorz, von Deutschland aus nur zwei Flugstunden entfernt. "Es fehlen einem die Worte." Auch ukrainische Mitarbeitende und Studierende am Campus, vor allem in Triesdorf, seien momentan schwer erreichbar. "Das ist ein absolutes Chaos, da stehen natürlich andere Dinge gerade im Vordergrund." Sorgen macht Lorz sich auch um die Studierenden in der Ukraine. "Die sind ja alle im wehrfähigen Alter. In der Ostukraine wissen wir, dass da schon einige Studierende gefallen sind."

Erst vor zwei Tagen habe er einen Erasmus-Antrag gestellt, sagt Schlauderer. Ein gemeinsames Projekt zur Digitalisierung sollte im Mai enden, Studierende und Dozierende aus der Ukraine sollten dann nach Freising kommen. Ob das jetzt noch klappt, ist ungewiss. "Im Moment bin ich hilflos", sagt Schlauderer. Aber auch: "Wenn es irgendwie geht, möchte ich die hier haben. Wir haben über 20 Jahre Vertrauen aufgebaut mit Universitäten in Osteuropa - das ist ein Pfund. Wir verstehen das als Beitrag für die Entwicklung in ländlichen Gebieten dort, als Unterstützung über ideologische Grenzen hinweg. Dieser Krieg wird das nicht verhindern, wir lassen uns unsere Ideale nicht von Volksverbrechern nehmen. Wir dürfen uns davon nicht so sehr beeinflussen lassen und die Tür zuschlagen. Die letzte Tür, die zugeht, ist die der Wissenschaft. Wir müssen auch in schwierigen Situationen die Hand reichen - aber dürfen auch nicht weitermachen wie bisher."

HSWT-Vizepräsident Ralf Schlauderer ist für den Bereich Weiterbildung zuständig. (Foto: Josef Gangkofer/HSWT)

Akademische Zuflucht

Der genaue Umgang mit der Situation an der HSWT sei zwar noch unklar, sagt Lorz. Es sei aber denkbar, ukrainischen Kolleginnen und Kollegen ein einjähriges Gastwissenschaftsprogramm anzubieten. Eine Art akademische Zuflucht in Freising also. Eine Unterstützung direkt vor Ort sei von Seiten der Hochschule dagegen schwierig umzusetzen.

Klar ist für den Forstwissenschaftler derweil: "Wir stehen voll zu unseren Partnern und hoffen, dass die Lebensgefahr beseitigt wird und der Kontakt wieder möglich ist." Manche Partnerschaften bestünden schon seit 20 Jahren. "Das kann man nicht aussetzen, das wäre eine Katastrophe." Das gelte im Übrigen auch für die russischen Partneruniversitäten, trotz der "unglaublich schwierigen Situation" dort, wie Lorz sagt.

Solidarität mit der Ukraine
:"Wir machen uns große Sorgen"

Das Katholische Hilfswerk Renovabis in Freising ist vom russischen Vorgehen in Osteuropa alarmiert. Im Falle eines Krieges rechnet Hauptgeschäftsführer Thomas Schwartz mit großen Flüchtlingsströmen. Auf diese gilt es, vorbereitet zu sein.

Von Thilo Schröder

Bruch des Völkerrechts

Auch die Hochschulleitung veröffentlichte am Freitag ein Statement. "Der Bruch des Völkerrechts durch Russland bestürzt uns", heißt es darin. "Unsere Gedanken sind bei den Freund:innen, Kolleg:innen und ihren Familien an unseren Partnerhochschulen in Dnipro, Kiew, Mykolayiv, Rivne und Sumy, mit denen uns langjährige freundschaftliche Kooperationen verbinden." Mitarbeitende und Studierende an der HSWT aus der Ukraine und mit ukrainischen Wurzeln seien darin eingeschlossen.

Man prüfe, "wie wir unsere Partner kurz-, mittel- und langfristig unterstützen können. Sowohl mit den Hochschulen als auch mit dem DAAD und anderen Stellen werden wir uns zu möglichst hilfreichen Maßnahmen austauschen." Auch die Hochschulleitung unterstreicht das Wirken ihrer Institution als "Beitrag für Wohlstand, Frieden und Demokratie. Die HSWT wird allen Partnern, die Frieden und Demokratie als Grundwerte anerkennen, ein verlässlicher Partner auch in schweren Zeiten sein".

Trinkwasser und Lebensmittel fehlen

Über ein Spendenprojekt unterstützt derweil das in Freising ansässige Osteuropa-Hilfswerk Renovabis flüchtende Menschen in der Ukraine. Mit einer Fördersumme von 102 000 Euro soll der Kauf von vier geländetauglichen Transport-Lastwagen für die lokalen Caritas-Organisationen in Mariupol, Zaporizhzhia, Kramatorsk und Rubizhne ermöglicht werden, wie es auf der Homepage heißt. Sie sollen demnach in einer etwa 440 Kilometer langen und 20 Kilometer breiten Pufferzone zum Einsatz kommen, in der sich etwa 120 schwer zugängliche Dörfer und Ortschaften befinden und rund 435 000 Menschen leben. Es mangele dort vor allem an Trinkwasser, ausreichender medizinischer Versorgung und Lebensmitteln.

"Es ist furchtbar, wir sind fassungslos", sagt Renovabis-Sprecher Thomas Schumann. Man müsse beten und demonstrieren, "aber das allein reicht nicht". Die Internationale Katholische Friedensbewegung Pax Christi und das Katholische Kreisbildungswerk Freising luden am Freitagnachmittag am Marienplatz zu einer Mahnwache "gegen den Krieg in der Ukraine und für die Opfer von Unrecht und Aggression". Sie fordern "harte nicht-militärische Sanktionen", weiterhin "den Verzicht auf Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet", das Offenhalten von Gesprächskanälen und "alle Verengungen auf die nationalen Interessen oder die einer bestimmten Identität durch den Vorrang der internationalen Beziehungen und der Würde aller Menschen aufzugeben".

Angesichts der dramatischen Lage in der Ukraine hat die Organisation "Pax Christi" am Freitagabend kurzfristig zu einer Mahnwache auf dem Freisinger Marienplatz aufgerufen. (Foto: Marco Einfeldt)

In Moosburg bittet Pastoralreferent Markus John "alle Menschen guten Willens" an diesem Sonntag um 17 Uhr ins Kastulus-Münster, um zu beten. Die FDP im Kreistag bittet Landrat Helmut Petz (FW), das Landratsamt "als Zeichen der Solidarität" mit der Flagge der Ukraine zu beflaggen, wie auch an anderen öffentlichen Gebäuden bundesweit geschehen.

Es brauche auch konkrete Hilfe, sagt Renovabis-Sprecher Schumann. Wenn man die Bilder von verstopften Straßen in Richtung Westen sehe, werde deutlich: "Wir werden uns auf Flüchtlingsströme einstellen müssen. Die Menschen werden über kurz oder lang an unserer Grenze stehen. Die befinden sich unter der Lebensgefahr eines autokratischen Aggressors." Renovabis agiere zwar normalerweise nicht in Deutschland, man werde aber bei Bedarf sicherlich Expertise zur Verfügung stellen und zugleich die Partner in der Ukraine weiterhin stärken.

Vorbereitung auf Kriegsflüchtlinge

Das Freisinger Landratsamt wollte währenddessen noch am Freitag eine Koordinierungsgruppe initiieren, "die sich mit allen Fragestellungen und Aufgaben, die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine auf den Landkreis zukommen könnten, befassen wird", wie Sprecherin Susanne Zottmann mitteilt. Eingebunden seien darin unter anderem die Führungsgruppe Katastrophenschutz (FüGK), Kolleginnen und Kollegen aus der Asylunterbringung, dem Freisinger Gesundheitsamt und Hilfsorganisationen.

Thematisiert werden solle die eventuell notwendig werdende Unterbringung von Kriegsflüchtlingen. "In diesem Zusammenhang werden Pläne zur Unterbringung von Flüchtlingen geprüft, die eine Vielzahl von Möglichkeiten in Betracht ziehen", so Zottmann. Je nach der Anzahl der ankommenden Geflohenen kommt hierbei die Belegung von Schulturnhallen in Trägerschaft des Landkreises Freising in Betracht, wie der Landrat am Donnerstag im Kreisausschuss mitgeteilt hatte.

"Wir werden uns bereithalten"

Beim BRK-Kreisverband Freising verweist Geschäftsführer Albert Söhl auf Nachfrage an den Bundesverband. "Wir werden vorerst keine Waren in die Ukraine schicken, das ist ja Kriegsgebiet." Es gebe ein zentrales Spendenkonto des Deutschen Roten Kreuzes, das Hilfslieferungen schon einmal vorbereite. "Andere Dinge kommen dann schon. Wir sind jedenfalls bereit. Das ist ja ein bisschen wie beim Krieg in Syrien. Wenn die Leute hier aufschlagen, wird man die betreuen."

Auch beim Arbeitskreis Asyl Freising wartet man noch ab. "Wir können ja konkret mit Anlaufstellen noch nicht viel machen", sagt Sprecherin Elisabeth Stroh. "Wenn da jetzt Leute kommen, werden wir natürlich Ehrenamtliche mobilisieren. Wir werden das natürlich unterstützen, dass Geflüchtete aufgenommen werden. Wir werden uns bereithalten."

© SZ vom 26.02.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWladimir Putin
:Herr über Leben und Tod

In einer Kriegsrede rechtfertigt Russlands Präsident den Angriff auf die Ukraine und offenbart, dass er den wahren Feind ganz woanders sieht. Es ist eine erschreckender Einblick in eine Weltsicht, die selbst Russen erschauern lässt.

Von Silke Bigalke

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: