Erlanger Poetenfest:Die Gruppe 21

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So ist das beim Poetenfest: Sasha Marianna Salzmann, Nava Ebrahimi, Sharon Dodua Otoo, Shida Bazyar und Mithu Sanyal (von links) treffen sich halbspontan zum Abendbrot in Erlangens Altstadt. (Foto: Olaf Przybilla)

Das Sommerfest der deutschen Literatur wird immer weiblicher. Den Erlanger Schlossgarten dominieren heuer Literatinnen - und das Festival diskutiert über "längst fällige Veränderungen im Literaturbetrieb".

Von Olaf Przybilla, Erlangen

Bilder vom sommerlichen Literatentreffen im Grünen kennt man vom Erlanger Poetenfest. Dazudenken muss man sich, dass die Autoren abends meist noch in der Altstadt flanieren, diese Altstadt überschaubar ist und es in dieser Republik also selten ein höheres Literat-pro-Kneipenbesucher-Aufkommen geben dürfte als an jenen speziellen vier Tagen Ende August in einer mittelfränkischen Universitätsstadt. An diesem Donnerstag beginnt das Poetenfest in seiner 42. Auflage, und es gibt Anlass, die Vorschau auf dieses Sommerfest der deutschen Literatur einmal nicht im Erlanger Schlossgarten beginnen zu lassen.

Stattdessen ein Blick zurück ins vergangene Jahr, in eine Erlanger Altstadtkneipe, und dies verbunden mit der Feststellung, dass der Anspruch auf ungestörten Verzehr des Abendbrotes auch für Literaten zu gelten hat. Auch in Erlangen. Andererseits gibt es Dokumentationspflichten - und wenn, wie sie hernach bekundeten, sich fünf der namhaftesten Autorinnen der Republik mehr oder minder zufällig in einem fränkischen Hotel treffen und zur Einnahme einer gemeinsamen Mahlzeit verabreden, mag das zwar erstmal kein Grund für Klimbim sein. Überschriebe man das dabei entstehende Bild im Kopf aber mit "Gruppe 21" und vergliche es innerlich mit der Gruppe 47, dann kommt so einem Spontantreffen am Erlanger Abendbrottisch eben doch etwas Exemplarisches (und also Dokumentationswürdiges) zu.

Jedenfalls wirken Sasha Marianna Salzmann, Nava Ebrahimi, Sharon Dodua Otoo, Shida Bazyar und Mithu Sanyal nicht nur phänotypisch einigermaßen anders als etwa Martin Walser, Heinrich Böll, Günter Grass, Siegfried Lenz oder Hans Magnus Enzensberger. Was auch Poetenfest-Leiter Bodo Birk so empfindet, der den letztjährigen Abendbrotschnappschuss zum Anlass für eine Veranstaltungsreihe genommen hat, die an diesem Samstag in Erlangen ihren Anfang nehmen soll. In der schmucken Orangerie im Schlossgarten werden drei der fünf Literatinnen vom letztjährigen Kneipentisch (Salzmann, Sanyal und Otoo) über die - so Birk - "längst fällige Veränderung des deutschsprachigen Literaturbetriebs" diskutieren.

Die gesellschaftlichen Realitäten des 21. Jahrhunderts haben auch die Geschlechterverteilung in der Literatur ereilt

Der langjährige Chef des Erlanger Festivals hat beobachtet, wie "die Literatur mit einiger Verspätung die gesellschaftlichen Realitäten des 21. Jahrhunderts" widerspiegele. Vor einigen Jahren noch habe das Festivalteam darauf achten müssen, "bei den Lesungen ein Gleichgewicht zwischen weiblichen und männlichen Gästen herzustellen". In diesem Jahr dagegen werden deutlich mehr Frauen als Männer bei den Nachmittagslesungen im Grünen zu erleben sein. Ohne dass man dies forciert habe, betont Birk. Dass dabei nicht zuletzt Autorinnen mit internationaler Geschichte in den Vordergrund treten - und darunter viele, deren Muttersprache nicht Deutsch war, tue ein Übriges.

Empfehlungen? Am Samstag wird Katerina Poladjan ihren Roman "Zukunftsmusik" vorstellen. Der ist nicht mehr ganz taufrisch, dafür gehört dieses fulminant komische Buch über den 11. März 1985 - den Tag, an dem das Sowjetreich zu bröckeln begann - zu jenen Texten, die bleiben werden aus den Zwanzigerjahren dieses Jahrhunderts. Weniger leichtgängig, dafür an tiefschürfender Rasanz schwer zu überbieten ist "Auf See"- das seit Langem erwartete Zweitwerk von Theresia Enzensberger. Wie schon beim Erstling "Blaupause" ist sie tief in Recherchen eingestiegen, ihr Blick ins Bauhaus war 2017 freilich bekömmlicher als ihr utopisch-dystopischer Gang auf eine visionäre Insel. An "Auf See" dürfte die Kritik trotzdem oder gerade deshalb nicht vorbeikommen.

Die kafkaeske Bürokratie in Deutschland als Unterhaltungsschlager

Abbas Khider ist fast schon Stammgast in Erlangen. Vom bevorstehenden Tod der Mutter zu erzählen und davon, wie einer an kafkaesker Bürokratie in Deutschland fast zerschellt - und dabei für gute Laune zu sorgen, das ist Kunst. Khider kann so etwas, nachzulesen in "Der Erinnerungsfälscher". Eine Entdeckung dagegen ist der Erstling von Slata Roschal, ihr Buch "153 Formen des Nichtseins" ist im Erlanger Homunculus Verlag erschienen, dem man gratulieren darf für dieses literarische Sammelsurium, das sich Roman nennt und abseitige Blicke an den Rand der Mehrheitsgesellschaft ermöglicht.

Für Fatma Aydemir gilt dasselbe wie für Poladjan - zu Aydemirs "Dschinns" werden Literarhistoriker greifen, wenn sie 2122 beschreiben wollen, wie man vor 100 Jahren in Deutschland geschrieben hat. Julia Schochs "Das Vorkommnis" wiederum bietet gute Gelegenheit, sich doch noch mit dem autofiktionalen Schreiben anzufreunden. Und dass Herta Müller, Jan Wagner, Wladimir Kaminer und Helga Schubert einen Besuch lohnen, dürfte sich von selbst verstehen. Ebenfalls in Erlangen dabei: Alexa Hennig von Lange, Simone Lappert, Tobias Haberl, Ulrike Draesner, Thommie Bayer, Nora Bossong, Norbert Gstrein, Jens Sparschuh, Daniela Dröscher, Gabriele Riedle, Ana Marwan und Ronja von Rönne.

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