Markt Schwabener Asylverein:"Recht ist nicht immer Gesetz"

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Juni 2016: Das Team von Tobias Vorburg nimmt mit einem Beiboot der Sea Eye Kurs auf ein Flüchtlingsboot. (Foto: Privat)

Tobias Vorburg aus Markt Schwaben hat auf der Sea Eye Menschen aus dem Meer gerettet. Sein Verein "Seite an Seite" hat sich nun zur bayernweiten Anlaufstelle für Geflüchtete entwickelt, denen weiter Gefahr droht.

Von Korbinian Eisenberger, Markt Schwaben

"Wenn ein Mann das im Sinn hat, erkenne ich es an seinem Gesicht." Mit diesem Satz endet eine Geschichte, von der man nicht glauben will, dass sie stimmt. Es ist die Geschichte einer jungen Frau aus Ostafrika, die ihre Flucht über das Mittelmeer nach Italien bis nach Nordbayern wie durch ein Wunder überlebt hat. Die Details hat die Frau auf zwei Din-A-4-Seiten in enger Computerschrift zusammengefasst. Voll von Erlebnissen wie Krankheiten, Hunger, Gewalt und Vergewaltigung.

Schicksale, wie das der 19-jährigen Ostafrikanerin, sind Teil des Lebens von Rettunsassistent Tobias Vorburg und seinem Team geworden. Gemeinsam sind sie der Verein "Seite an Seite", ein Zusammenschluss von sieben Ehrenamtlichen mit Sitz in einem Raum im Nebengebäude des Markt Schwabener Rathauses. Vor ziemlich genau drei Jahren stand Vorburg noch an Deck der Sea-Eye und rettete vor der Küste Libyens Menschen vor dem Ertrinken. Nun kämpft er für seine Ideale an der Heimatfront. In einem Kammerl mit Kaffeemaschine hilft er Menschen, die ihn überzeugt haben. Menschen, denen nach deutschem Gesetz die Abschiebung droht, deren Schutzbedürftigkeit aus Sicht des Vereins jedoch dagegen spricht. So wie bei der Frau aus Afrika.

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Von Korbinian Eisenberger

Über Markt Schwaben senkt sich die Sonne, für Vorburg beginnt die Arbeit nach der Arbeit nach Feierabend. Oft sieht man den 29-Jährigen noch spätabends auf dem Markt Schwabner Schlossplatz stehen, eine Zigarette in der einen Hand, eine Tasse Kaffee in der anderen. Es sind die Abende, an denen Menschen aus ganz Bayern zu ihm ins Kammerl mit der Kaffeemaschine kommen, fast alle Afrikaner - und alle haben ein Problem. Gerade biegt ein Trio mit Baseballcaps um die Rathausecke. Ein Handshake mit Vorburg, ein letzter Zug an der Zigarette, dann geht's hinein ins Herz des Vereins. Ein Herzkammerl, das für viele so etwas wie die letzte Hoffnung ist.

Wenn im Herzkammerl die Tür zu geht, wird es ernst

Wenn im Herzkammerl die Tür zugeht, wird es ernst. Es geht dann um Paragrafen und Politik, um die Verhinderung einer Abschiebung, um dramatische Schicksale. Vorburg sitzt dann an einem Tisch, hört sich Geschichten an, macht Notizen. "Ob mir jemand was auftischt oder ehrlich ist, merke ich ziemlich schnell", sagt er. Nach vier Jahren in diesem Bereich bekommt man ein Gespür dafür. Wenn Vorburg überzeugt ist, bietet er Expertise wie Kontakte an. "Härtefälle", wie er sagt, die mit ihren Anträgen beim Bundesamt für Migration ohne Hilfe wenig Chancen haben dürften. Etwa weil sie aus einem sicheren Drittstaat einreisten, oder weil das Herkunftsland hier nicht als gefährlich genug angesehen ist. Vorburg bewertet die Fälle einzeln. Er sagt: "Recht ist nicht immer Gesetz."

Juni 2019: Judith Seibt und Tobias Vorburg zu Besuch in einem Haus, wo der Verein fünf geflohenen Männern aus Eritrea ein Zuhause bietet. (Foto: K. Eisenberger)

Er, der Verein und das kleine Kammerl sind so etwas wie eine Anlaufstelle, wenn andere Türen zugehen. Ein Ort, wo Menschen auf ihre Anhörung beim Bundesamt vorbereitet werden. Eine Kammer, in der Rüstzeug für die entscheidenden Momente verteilt wird. Wo Kontakte geknüpft werden, zu Politik und Kirche. Ein Ort, wo die rechtliche Grauzone Kirchenasyl ein Thema ist. Eine Hintertür mitten in Bayern.

Natürlich wabert über all dem Kritik an der Asylpolitik der Landesregierung Mit Markus Söder (CSU) als Antagonist hat der Verein vor einem Jahr Fahrt aufgenommen. Der Wahlkampfauftritt des designierte Ministerpräsidenten in Markt Schwaben führte Mitte Juni 2018 zum ersten großen Auftritt von Seite an Seite. Vor Söders Ansprache im Bierzelt kamen knapp hundert Menschen mit Bannern und Pfeifen am Straßenrand zusammen und bereiteten einen lauten Empfang. Mitten drin: Tobias Vorburg mit Megafon und hörbarer Kritik an Abschiebungen aus Bayern nach Afghanistan. Bis heute hängt der Verein Protestbanner im Landkreis auf, wann immer ein Abschiebe-Flug nach Kabul bekannt wird.

Seite an Seite ist eine Mischung aus Aktivisten und Spezialisten, allen voran Vorburg, der öffentlichkeitswirksame Frontmann aus Markt Schwaben. Der Bayerische Flüchtlingsrat in München zählt den 29-Jährigen zu einem Kreis von bayernweit 30 Personen mit besonderer Expertise, Sprecher Stephan Dünnwald sieht den Verein "herausragend bezüglich seiner Kenntnisse und seines Engagements".

Die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit in Bayern hat sich verändert

Zurück in Markt Schwaben. Die zweite Vorsitzende Judith Seibt ist zu Besuch in einer Reihenhaus-WG, wo fünf Eritreer zusammen leben. Seibt ist im Verein für Wohnungsvermittlung zuständig, das Haus haben die Mitglieder aufgetan, als sie sich noch "Aktivkreis" nannten. Bei der ersten Zusammenkunft 2015 trugen sich 180 Leute auf der Mitgliederliste ein. Sieben von ihnen sind vier Jahre später noch mit dabei.

Die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit in Bayern hat sich verändert: Die Helfer sind weniger geworden, "die Aufgaben jedoch komplizierter und komplexer", sagt Judith Seibt. Die Zeiten, als Unterstützung beim Einkaufen im Supermarkt gefragt war, sind vorbei. In der Flüchtlingsarbeit geht es längst um existenzielle Fragen: Familiengründung, Universitäts-Bewerbung, Wohnungssuche. Und bei so manchem geht es noch um viel mehr.

Wo ist seine Grenze? Tobias Vorburgs Hände wandern nach vorne, wie wenn man vor einer Wand steht und sich dagegen stemmt. Als Stünde hier die Mauer der Justiz mit ihren Paragrafen und Klauseln. "Wir sind keine Gesetzlosen", sagt Vorburg und erinnert in diesem Moment stark an jene, die sich in diesen Tagen für die Seenotretterin Carola Rackete stark machen.

Die Rettung von Menschenleben endet nicht auf einem Nothelferboot, deswegen macht Vorburg das. Deswegen half er der Frau aus Ostafrika, deren Geschichte so unerträglich klingt. Über den Verein hat sie mittlerweile einen sicheren Platz gefunden, im Kirchenasyl, irgendwo in Bayern. Um sie und die Kirchengemeinde zu schützen, sollen keine Details in der Zeitung stehen. Manches liegt besser hinter einer gut verschlossen Tür im Herzkammerl.

© SZ vom 04.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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