Es war an einem Nachmittag vor einigen Monaten, als der Alarm schallte. Ein schrilles Klingeln des Telefons auf unserer Station - wenn dieser Ton erklingt, dann werden alle wepsig: Jetzt muss es schnell gehen. Denn irgendwo in der Klinik ist ein Notfall. Die Pflegekraft, die am ehesten ihre Arbeit liegenlassen kann, tut dies und nimmt den Hörer ab - an diesem Tag war ich das. "Notfall oder Reanimation auf Station 2 C, Zimmer zehn." Ich schnappte mir unseren Notfallwagen und lief los, ich musste nur ein Stockwerk tiefer. Dort angekommen erwartete mich eine Kollegin, die mir im Laufen zurief, wo Zimmer zehn genau ist.
Solche Notfälle geschehen unregelmäßig. Es ist vorgekommen, dass der Alarm an einem Tag zweimal schrillte. Dann wieder habe ich ihn über mehrere Tage hinweg gar nicht gehört. Wenn ich überschlage, dann müsste ich bei weit mehr als 100 Einsätzen dabei gewesen sein. Reanimationen, allergische Schocks, Krampfleiden, Ohnmachtsanfälle - die Palette ist bunt.
Das Prozedere läuft jedes Mal gleich ab: Während eine Pflegekraft die Infos am Notfalltelefon einholt, laufen Anästhesist und Internist von unserer Station bereits los, die Pflegekraft mit einem unserer zwei Notfallwagen dann hinterher - der zweite Wagen ist für Notfälle auf unserer Station. Das kommt übrigens seltener vor als Einsätze auf anderen Stationen. Wir überwachen die Patienten engmaschiger, wir sind eben die Intensiv. So etwas wie eine plötzliche Reanimation passiert da nicht so leicht.
Als ich im Zimmer ankam, habe ich den Defibrillator aus dem Notfallwagen am Patienten angebracht. Damit konnten wir Herzrhythmus und Sauerstoffsättigung überprüfen. Der Herzschlag war massiv verlangsamt - eine Bradykardie -, sodass wir eine Herzdruckmassage begonnen haben. 30 Mal habe ich auf den Brustkorb gedrückt, dann hat der Anästhesist zwei Mal beatmet. Währenddessen hat mich ein Chirurg abgelöst, sodass jemand mit frischer Kraft weiter drücken konnte. Das ist wichtig, denn sobald schwächer gedrückt wird, verliert die Behandlung an Effizienz.
SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 3:"Burschi, jetzt pass mal auf!"
Intensivpflegerin Julia Rettenberger berichtet von blöden Sprüchen über ihren Beruf - und wie sie dann reagiert.
Mein Job in solchen Situationen ist es, zu koordinieren - ich muss die Belange von Anästhesisten, Internisten und Chirurgen erfüllen: Medikamente verabreichen, Herzdruckmassage durchführen, Werte auf Monitoren im Blick behalten, Intubation vorbereiten. Das funktioniert nur mit einem sachlich fokussierten Blick. Ich sehe dann nicht mehr den Patienten vor mir, sondern eine brenzlige Situation, die gemanagt und überwunden werden muss. Das erfordert Flexibilität auf der Gefühlsebene: Ich muss von jetzt auf gleich in diesen Modus umspringen - mit was ich eigentlich beschäftigt war, spielt keine Rolle mehr. Den Patienten haben wir übrigens zu uns auf die Intensiv übernommen, wo sich sein Zustand zunehmend stabilisierte.
Julia Rettenberger ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 27-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte finden Sie unter sueddeutsche.de/thema/Auf_Station.