Neulich habe ich einen Patienten versorgt, der Mann war Ende 40 oder Anfang 50. Er kam mit einem Blinddarmdurchbruch zu uns. Obwohl ich solche Fälle schon häufig gesehen habe, bin ich jedes Mal aufs Neue erstaunt. Denn man muss wissen: So ein Blinddarmdurchbruch, das passiert nicht holterdipolter.
Zunächst haben Betroffene Bauchschmerzen. Natürlich muss man nicht gleich ins Krankenhaus kommen, wenn es im Magen mal ein bisschen rumort. Aber wenn es sich tatsächlich um Schmerzen handelt und sie immer stärker werden, dann kann das ein Symptom für einen entzündeten Blinddarm sein. Erst recht, wenn sie irgendwann so stark sind, dass sie nur noch mit Schmerztabletten zu ertragen sind - so war es bei meinem Patienten. Wenn trotzdem weiterhin keine ärztliche Versorgung stattfindet, erst dann kommt es irgendwann zu einem Blinddarmdurchbruch.
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Ich habe meinen Patienten also gefragt, wie es denn so weit überhaupt kommen konnte. Er antwortete: "Ich hatte keine Zeit, zum Hausarzt zu gehen - ich musste für die Firma noch was fertig machen."
Leider war es nicht das erste Mal, dass ich eine solche Geschichte gehört habe. Viele Menschen denken, sie wären unersetzlich in ihrer Arbeit. Das geht oft zulasten der eigenen Gesundheit, weil Krankheiten erst viel später diagnostiziert werden: Blinddarmdurchbrüche, Herzinfarkte, Krebserkrankungen - alles schon gesehen.
Mein Patient musste nun mit einer Bauchfellentzündung operiert werden, eine Folge seines Blinddarmdurchbruchs: Die Entzündung des Blinddarms hatte sich ausgebreitet. Ohne Operation geht hier gar nichts. Wäre noch mehr Zeit ohne Behandlung vergangen, dann hätte die Bauchfellentzündung eine Sepsis auslösen können, also eine Blutvergiftung. Das kann im schlimmsten Fall tödlich enden.
Um eine OP wäre mein Patient nicht herumgekommen, denn die ist auch bei einem entzündeten Blinddarm notwendig. Aber ein solcher Eingriff ist eine Standardprozedur, geht schnell vonstatten und die Schonungszeit danach ist kurz. Hingegen eine Bauchfellentzündungs-Operation ist um einiges aufwändiger und länger, dadurch gefährlicher und an eine viel längere Erholungsphase geknüpft.
Selbst wenn man das gesundheitliche Risiko außer Acht lässt, bin ich sicher: Kein Arbeitgeber wird es demjenigen danken, der sich unter Schmerzen durch eine Arbeitswoche geschleppt hat. Denn wer nicht rechtzeitig zum Arzt geht, riskiert einen viel längeren Arbeitsausfall - und welcher Chef würde sich darüber schon freuen?
Wer unter extremen Stress steht, nimmt Schmerzen leider oft nicht so gut wahr - und das trifft auf diejenigen zu, die denken, sie hätten keine Zeit für einen Arztbesuch. Sie haben verlernt, auf den Körper zu hören und verdrängen Schmerzen. Das ist doppelt schlecht: Denn nicht nur verleitet das dazu, zu spät zum Arzt zu gehen, sondern bei gestressten Patienten sehen wir auch häufiger schwerere Krankheitsverläufe.
Kein Job ist es wert, dass man dafür seinen Körper und die eigene Gesundheit ignoriert.
Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.